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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Drittes Quartal.

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Sie Entwicklung des Rechts in Deutschland.

bestehenden Gesellschaftsordnung hinwegzuschaffen. Die Rettung des Keinen
Bürgerthums in Stadt und Land, welches zwischen zwei Mühlsteinen zerrieben
wird, das ist das Programm und die Grundidee der Bismarckschen Oekonomie.
Der Kanzler will der erschreckenden Progression steuern, in welcher das Prole¬
tariat wächst. Dieses Wachsthum vermehrt die Feinde der bürgerlichen Gesell¬
schaft, die Kaste der Aussichtslosen, der Enterbten, welche nur an den Umsturz
denken, weil es für sie keine andre Hoffnung giebt.

Die deutschen Liberalen, die den Kanzler so vehement bekriegen, befinden
sich in einem verhängnißvollen Irrthume, sie gefährden durch ihre fehlerhafte
Wirthschaftsdoctrin des Imsssr iülsr ihre politische Mission, ihre Vertrauens¬
stellung beim Volke. An den Wahlurnen Baierns und Sachsens können sie
ermessen, daß sie in der öffentlichen Meinung einen weiten Rückschritt gemacht,
daß sie Stütze und Halt im Bürgerthume fast vollständig verloren haben."




Die Entwicklung des Rechts in Deutschland.

i
elleicht keiner Zeit mehr als der unsrigen, die sich immer wieder
zu neuer gesetzgeberischer Thätigkeit rüstet, ist die lohnende Frage
nach der Entwicklung des Rechts in Deutschland nahe gelegt.
Während die ältere Germanistik unsers Jahrhunderts den Aus¬
gangspunkt ihrer Untersuchungen über den Entwicklungsgang des
deutschen Rechts vou dem Sachsenspiegel und den mit diesem verwandten Rechts¬
quellen nahm und die Resultate, welche bei Beschränkung auf diesen Qucllenkreis
möglich sind, ziemlich erschöpfte, haben dagegen die neuern Forscher, wie Waitz
und P. Roth, ihren Standpunkt weiter zurück in die Erforschung des fränkischen
Rechts, der Volksrechte und Capitularien verlegt und damit für die geschichtliche
Erkenntniß des Ganges der deutschen Rechtscntwicklung eine an Qnellenmaterial
viel reichere Grundlage gewonnen, als der Erforschung bloß des sächsischen Rechts
zu Gebote stand. Bei diesem erweiterten Horizont ist natürlich Mühe und Arbeit
der Untersuchung bedeutend gewachsei:. Erst auf dem Gebiete des Verfassungs¬
rechts sind erfolgreiche Anfänge gemacht, die Zweige des Privatrechts, des Proze߬
rechts und des Strafrechts harren noch sehr der eingehenden Pflege und der
Verwerthung für die deutsche Rechtsgeschichte. Gleichwohl läßt sich schon jetzt
die große Bedeutung des fränkischen Rechts für diese erkennen, und Professor
So hin in Straßburg hat es vor kurzem in einer zuerst im ersten Bande der Zeit¬
schrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte abgedruckten, dann als separat-


Sie Entwicklung des Rechts in Deutschland.

bestehenden Gesellschaftsordnung hinwegzuschaffen. Die Rettung des Keinen
Bürgerthums in Stadt und Land, welches zwischen zwei Mühlsteinen zerrieben
wird, das ist das Programm und die Grundidee der Bismarckschen Oekonomie.
Der Kanzler will der erschreckenden Progression steuern, in welcher das Prole¬
tariat wächst. Dieses Wachsthum vermehrt die Feinde der bürgerlichen Gesell¬
schaft, die Kaste der Aussichtslosen, der Enterbten, welche nur an den Umsturz
denken, weil es für sie keine andre Hoffnung giebt.

Die deutschen Liberalen, die den Kanzler so vehement bekriegen, befinden
sich in einem verhängnißvollen Irrthume, sie gefährden durch ihre fehlerhafte
Wirthschaftsdoctrin des Imsssr iülsr ihre politische Mission, ihre Vertrauens¬
stellung beim Volke. An den Wahlurnen Baierns und Sachsens können sie
ermessen, daß sie in der öffentlichen Meinung einen weiten Rückschritt gemacht,
daß sie Stütze und Halt im Bürgerthume fast vollständig verloren haben."




Die Entwicklung des Rechts in Deutschland.

i
elleicht keiner Zeit mehr als der unsrigen, die sich immer wieder
zu neuer gesetzgeberischer Thätigkeit rüstet, ist die lohnende Frage
nach der Entwicklung des Rechts in Deutschland nahe gelegt.
Während die ältere Germanistik unsers Jahrhunderts den Aus¬
gangspunkt ihrer Untersuchungen über den Entwicklungsgang des
deutschen Rechts vou dem Sachsenspiegel und den mit diesem verwandten Rechts¬
quellen nahm und die Resultate, welche bei Beschränkung auf diesen Qucllenkreis
möglich sind, ziemlich erschöpfte, haben dagegen die neuern Forscher, wie Waitz
und P. Roth, ihren Standpunkt weiter zurück in die Erforschung des fränkischen
Rechts, der Volksrechte und Capitularien verlegt und damit für die geschichtliche
Erkenntniß des Ganges der deutschen Rechtscntwicklung eine an Qnellenmaterial
viel reichere Grundlage gewonnen, als der Erforschung bloß des sächsischen Rechts
zu Gebote stand. Bei diesem erweiterten Horizont ist natürlich Mühe und Arbeit
der Untersuchung bedeutend gewachsei:. Erst auf dem Gebiete des Verfassungs¬
rechts sind erfolgreiche Anfänge gemacht, die Zweige des Privatrechts, des Proze߬
rechts und des Strafrechts harren noch sehr der eingehenden Pflege und der
Verwerthung für die deutsche Rechtsgeschichte. Gleichwohl läßt sich schon jetzt
die große Bedeutung des fränkischen Rechts für diese erkennen, und Professor
So hin in Straßburg hat es vor kurzem in einer zuerst im ersten Bande der Zeit¬
schrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte abgedruckten, dann als separat-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157968/413>, abgerufen am 01.09.2024.