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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Drittes Quartal.

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Der Ausfall der Wahlen in Frankreich.

Scription für das Heer modificirt sehen will, und es wäre denkbar, daß er mit
der Zeit noch weiter ginge. Vielleicht hat er aber nur im Hinblick auf die
Wahlen den Schein angenommen, zu den radicalen Ansichten der äußersten
Linken hinzuneigen. Jedenfalls ist jenes im Interesse des Bestandes der Re¬
publik zu wünschen. Schon eine Umgestaltung des Senates würde sehr gefähr¬
lich sein, eine Beseitigung dieser Körperschaft aber würde geradezu den Anfang
vom Ende bedeuten.

In den letzten Wochen vor den Wahlen verriethen nicht wenige der An¬
hänger Gambettas, die sich auf die Jagd nach Mandaten begaben, sehr "vor-
geschrittne," d. h. sehr radicale Ideen. Die Linke bekannte sich zu der Politik
der republikanischen Union, und die Kandidaten des rechten Centrums sprachen
in vielen Fällen in ihren Wahlreden Meinungen aus, die man früher nie von
ihnen vernommen hatte. Kurz man beobachtete fast allenthalben eine mehr oder
weniger deutliche Bewegung vom Standpunkte des gemäßigten Republikanismus
zu dem der äußersten Linken hin. Halten die neueintretenden Mitglieder der
Dcpntirtenknmmer auch nur um der Hälfte dessen fest, was sie den Wählern
als ihr Glaubensbekenntniß bezeichnetet!, so wird man sehr bald das Resultat
gewahren. In diesem Falle wird das neue Abgeordnetenhaus mehr als je
vorher verschiedner Meinung sein gegenüber dem Senat, und wenn man vor
den Wahlen schon einen Zusammenstoß zwischen den beiden Körperschaften für
unvermeidlich hielt, so hätten sich dann die Aussichten hierauf verdreifacht.

Nun ist es zwar wahr, daß Abgeordnete, nachdem sie einmal behaglich ans
den Bänken der Kammer Platz genommen haben, im Gefühl des Besitzes dessen,
was sie erstrebt, und zugleich im Gefühl der Verantwortlichkeit für das, was
sie fürderhin reden und durch ihre Abstimmung unterstützen, es für erlaubt, ja
für Pflicht halten, gewisse Aeußerungen, die sie als Candidaten gethan, zu
vergesse" und, wie man zu sagen pflegt, "nicht mehr so gefährlich" zu sei".
Die Geschichte wiederholt sich in dieser wie in andern Beziehungen, und Bei¬
spiele solchen Zahmerwerdens in verantwortlicher Stellung sind oft (zuletzt an
Herrn Gladstone) beobachtet worden. Aber trotzdem ist es ein recht bezeichnendes
Symptom, daß Leute von vergleichsweise gemäßigten Ansichten es für noth¬
wendig gehalten haben, sich für ihre Wahlreden gewisse Formeln ans dem Pro¬
gramm ihrer Gegner weiter links zu borgen, und daß auf diesem Wege die ge¬
mäßigte "reine" Linke, deren Führer Jules Ferry ist, sich thatsächlich mit der
vorgeschrittnen Union Rchubliecune, der Fraction Gambettas, verschmolzen hat.
Ein Zusammenstoß zwischen diesen beiden Gruppen wurde auf diese Weise ver¬
mieden, und Ferrhs Motto "Keine Trennung!" erwies sich als Parole bei
der Wahl.

Bleibt es bei dieser Allianz zwischen jenen beiden Fractionen der Republi¬
kaner, so werden die Minister eine so starke Majorität (wenigstens von 330
Stimmen) hinter sich haben, daß sie imstande sein werden, jeder feindlichen


Der Ausfall der Wahlen in Frankreich.

Scription für das Heer modificirt sehen will, und es wäre denkbar, daß er mit
der Zeit noch weiter ginge. Vielleicht hat er aber nur im Hinblick auf die
Wahlen den Schein angenommen, zu den radicalen Ansichten der äußersten
Linken hinzuneigen. Jedenfalls ist jenes im Interesse des Bestandes der Re¬
publik zu wünschen. Schon eine Umgestaltung des Senates würde sehr gefähr¬
lich sein, eine Beseitigung dieser Körperschaft aber würde geradezu den Anfang
vom Ende bedeuten.

In den letzten Wochen vor den Wahlen verriethen nicht wenige der An¬
hänger Gambettas, die sich auf die Jagd nach Mandaten begaben, sehr „vor-
geschrittne," d. h. sehr radicale Ideen. Die Linke bekannte sich zu der Politik
der republikanischen Union, und die Kandidaten des rechten Centrums sprachen
in vielen Fällen in ihren Wahlreden Meinungen aus, die man früher nie von
ihnen vernommen hatte. Kurz man beobachtete fast allenthalben eine mehr oder
weniger deutliche Bewegung vom Standpunkte des gemäßigten Republikanismus
zu dem der äußersten Linken hin. Halten die neueintretenden Mitglieder der
Dcpntirtenknmmer auch nur um der Hälfte dessen fest, was sie den Wählern
als ihr Glaubensbekenntniß bezeichnetet!, so wird man sehr bald das Resultat
gewahren. In diesem Falle wird das neue Abgeordnetenhaus mehr als je
vorher verschiedner Meinung sein gegenüber dem Senat, und wenn man vor
den Wahlen schon einen Zusammenstoß zwischen den beiden Körperschaften für
unvermeidlich hielt, so hätten sich dann die Aussichten hierauf verdreifacht.

Nun ist es zwar wahr, daß Abgeordnete, nachdem sie einmal behaglich ans
den Bänken der Kammer Platz genommen haben, im Gefühl des Besitzes dessen,
was sie erstrebt, und zugleich im Gefühl der Verantwortlichkeit für das, was
sie fürderhin reden und durch ihre Abstimmung unterstützen, es für erlaubt, ja
für Pflicht halten, gewisse Aeußerungen, die sie als Candidaten gethan, zu
vergesse» und, wie man zu sagen pflegt, „nicht mehr so gefährlich" zu sei«.
Die Geschichte wiederholt sich in dieser wie in andern Beziehungen, und Bei¬
spiele solchen Zahmerwerdens in verantwortlicher Stellung sind oft (zuletzt an
Herrn Gladstone) beobachtet worden. Aber trotzdem ist es ein recht bezeichnendes
Symptom, daß Leute von vergleichsweise gemäßigten Ansichten es für noth¬
wendig gehalten haben, sich für ihre Wahlreden gewisse Formeln ans dem Pro¬
gramm ihrer Gegner weiter links zu borgen, und daß auf diesem Wege die ge¬
mäßigte „reine" Linke, deren Führer Jules Ferry ist, sich thatsächlich mit der
vorgeschrittnen Union Rchubliecune, der Fraction Gambettas, verschmolzen hat.
Ein Zusammenstoß zwischen diesen beiden Gruppen wurde auf diese Weise ver¬
mieden, und Ferrhs Motto „Keine Trennung!" erwies sich als Parole bei
der Wahl.

Bleibt es bei dieser Allianz zwischen jenen beiden Fractionen der Republi¬
kaner, so werden die Minister eine so starke Majorität (wenigstens von 330
Stimmen) hinter sich haben, daß sie imstande sein werden, jeder feindlichen


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[0405] Der Ausfall der Wahlen in Frankreich. Scription für das Heer modificirt sehen will, und es wäre denkbar, daß er mit der Zeit noch weiter ginge. Vielleicht hat er aber nur im Hinblick auf die Wahlen den Schein angenommen, zu den radicalen Ansichten der äußersten Linken hinzuneigen. Jedenfalls ist jenes im Interesse des Bestandes der Re¬ publik zu wünschen. Schon eine Umgestaltung des Senates würde sehr gefähr¬ lich sein, eine Beseitigung dieser Körperschaft aber würde geradezu den Anfang vom Ende bedeuten. In den letzten Wochen vor den Wahlen verriethen nicht wenige der An¬ hänger Gambettas, die sich auf die Jagd nach Mandaten begaben, sehr „vor- geschrittne," d. h. sehr radicale Ideen. Die Linke bekannte sich zu der Politik der republikanischen Union, und die Kandidaten des rechten Centrums sprachen in vielen Fällen in ihren Wahlreden Meinungen aus, die man früher nie von ihnen vernommen hatte. Kurz man beobachtete fast allenthalben eine mehr oder weniger deutliche Bewegung vom Standpunkte des gemäßigten Republikanismus zu dem der äußersten Linken hin. Halten die neueintretenden Mitglieder der Dcpntirtenknmmer auch nur um der Hälfte dessen fest, was sie den Wählern als ihr Glaubensbekenntniß bezeichnetet!, so wird man sehr bald das Resultat gewahren. In diesem Falle wird das neue Abgeordnetenhaus mehr als je vorher verschiedner Meinung sein gegenüber dem Senat, und wenn man vor den Wahlen schon einen Zusammenstoß zwischen den beiden Körperschaften für unvermeidlich hielt, so hätten sich dann die Aussichten hierauf verdreifacht. Nun ist es zwar wahr, daß Abgeordnete, nachdem sie einmal behaglich ans den Bänken der Kammer Platz genommen haben, im Gefühl des Besitzes dessen, was sie erstrebt, und zugleich im Gefühl der Verantwortlichkeit für das, was sie fürderhin reden und durch ihre Abstimmung unterstützen, es für erlaubt, ja für Pflicht halten, gewisse Aeußerungen, die sie als Candidaten gethan, zu vergesse» und, wie man zu sagen pflegt, „nicht mehr so gefährlich" zu sei«. Die Geschichte wiederholt sich in dieser wie in andern Beziehungen, und Bei¬ spiele solchen Zahmerwerdens in verantwortlicher Stellung sind oft (zuletzt an Herrn Gladstone) beobachtet worden. Aber trotzdem ist es ein recht bezeichnendes Symptom, daß Leute von vergleichsweise gemäßigten Ansichten es für noth¬ wendig gehalten haben, sich für ihre Wahlreden gewisse Formeln ans dem Pro¬ gramm ihrer Gegner weiter links zu borgen, und daß auf diesem Wege die ge¬ mäßigte „reine" Linke, deren Führer Jules Ferry ist, sich thatsächlich mit der vorgeschrittnen Union Rchubliecune, der Fraction Gambettas, verschmolzen hat. Ein Zusammenstoß zwischen diesen beiden Gruppen wurde auf diese Weise ver¬ mieden, und Ferrhs Motto „Keine Trennung!" erwies sich als Parole bei der Wahl. Bleibt es bei dieser Allianz zwischen jenen beiden Fractionen der Republi¬ kaner, so werden die Minister eine so starke Majorität (wenigstens von 330 Stimmen) hinter sich haben, daß sie imstande sein werden, jeder feindlichen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157968/405>, abgerufen am 01.09.2024.