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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Drittes Quartal.

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Das deutsche Lied seit Robert Schumann.

einen Musikanten oder dergleichen vorführt. So in den beiden vorzüglichsten
Nummern, die er für diese Gattung geliefert hat, dem "Hidalgo" und der
"Mnsikantin." Die letztre ist von den vielen Kompositionen, die das Gedicht
"Klinge, mein Pandero" gefunden hat, die beste in Bezug auf die Wiedergabe
des schneidenden Contrastes, der zwischen Fühlen und Thu" des armen Mädchens
herrscht, welches die gaffenden Herren cunüsiren muß und von Herzeleid zerrissen
wird, Rubinstein malt ihren innern Schmerz eindringlicher, aber Lassen läßt
die äußere Situation mehr wirken: die Wuth und Wildheit, mit der sie nach
dem Augenblick der Klage und Selbstbetrachtung auf das Tamburin losführt.
Mau sieht aus diesem Stücke sehr deutlich, wie Lassen ein Mann der .Knappheit
und der Pointen ist.

Nach der Menge der Lieder dürfte nun zunächst Joachim Raff kommen.
Er theilt verschwenderisch aus. Hat doch sein Opus 98 allein 30 Lieder, große
und kleine und allerlei Inhalts. Sehr populär sind von ihm zwei kleine Nummern
"Sei still dem Herrn" und "Keine Sorg' um den Weg." Das erstre hört
man zuweilen bei kirchlichen Aufführungen. Es handelt von der Nichtigkeit der
menschlichen Existenz und klingt erstaunlich müde und lebenssatt. Mau würde
nach einem Texte suchen, wie der vom Componisten verwendete, auch wenn der
Satz ein reines Jnstrumcntalstiick wäre. Raff hat für dasselbe die Farbe einer
condensirten Melancholie in solcher Schärfe getroffen, daß er nur ganz kleine
Dosen aufzulegen brauchte, um durchaus verständlich zu sein. Es sind Zeichen
wie Punkte so unbedeutend, ein paar Terzeuschritte in der Melodie, die über
das Ganze einen schwarzen Schatten werfen und dem kleinen Liede eine so aus¬
geprägt starke Stimmung geben, daß man sich die Bevorzugung, deren sich der
kurze Gesang erfreut, sehr wohl erklären kann. Ein paar gute, wohlberechnete
Stimmeffccte -- notadons für einen Sänger mit voller.Höhe -- thun noch das
übrige. Das andre "Keine Sorg' um den Weg" verdankt seine Beliebtheit dem
heitern Text, sein musikalischer Gehalt ist nur durch die eiugemischteu Jodler-
Partie" bemerkenswerth. Es ist in den Raffschen Liedern manche gute Gesang-
Wirkung zu finden, Wie z.B. in "Schön Aermchen"; den Musiker interessirt er
oft durch gewählte Details, hier durch eine hübsche Baßführnug wie in dem
"Ungetreuen", dort durch ein hervortretendes McliSma wie in der "Nonne."
Manchmal verräth die Anlage des ganzen (ein gut eingeführter Mittelsalz) den
in der großen Form geübten Musiker. Viele seiner Lieder zeigen in der Stimmung
etwas Phlegma, Nummern wie "Betrogen", so zugvoll, gedrängt und ungeduldig,
bilden nicht die Regel. Sein Fach als Gesangcvmponist könnte die Ballade sein;
als Virtuos der instrumentalen Malerei bringt er für dieselbe viel mit, was
andre nicht haben. Einzelne seiner vorliegenden größern Gesänge erzählenden
Inhalts bestätigen dies. Ich nenne nur "Maria Stuart" (Opus 172) und
die "Hochzeitsnacht." Wie wirksam ist in diesem letzten Stück das verworrne
Hörnerrufeu hereingebracht!


Das deutsche Lied seit Robert Schumann.

einen Musikanten oder dergleichen vorführt. So in den beiden vorzüglichsten
Nummern, die er für diese Gattung geliefert hat, dem „Hidalgo" und der
„Mnsikantin." Die letztre ist von den vielen Kompositionen, die das Gedicht
„Klinge, mein Pandero" gefunden hat, die beste in Bezug auf die Wiedergabe
des schneidenden Contrastes, der zwischen Fühlen und Thu» des armen Mädchens
herrscht, welches die gaffenden Herren cunüsiren muß und von Herzeleid zerrissen
wird, Rubinstein malt ihren innern Schmerz eindringlicher, aber Lassen läßt
die äußere Situation mehr wirken: die Wuth und Wildheit, mit der sie nach
dem Augenblick der Klage und Selbstbetrachtung auf das Tamburin losführt.
Mau sieht aus diesem Stücke sehr deutlich, wie Lassen ein Mann der .Knappheit
und der Pointen ist.

Nach der Menge der Lieder dürfte nun zunächst Joachim Raff kommen.
Er theilt verschwenderisch aus. Hat doch sein Opus 98 allein 30 Lieder, große
und kleine und allerlei Inhalts. Sehr populär sind von ihm zwei kleine Nummern
„Sei still dem Herrn" und „Keine Sorg' um den Weg." Das erstre hört
man zuweilen bei kirchlichen Aufführungen. Es handelt von der Nichtigkeit der
menschlichen Existenz und klingt erstaunlich müde und lebenssatt. Mau würde
nach einem Texte suchen, wie der vom Componisten verwendete, auch wenn der
Satz ein reines Jnstrumcntalstiick wäre. Raff hat für dasselbe die Farbe einer
condensirten Melancholie in solcher Schärfe getroffen, daß er nur ganz kleine
Dosen aufzulegen brauchte, um durchaus verständlich zu sein. Es sind Zeichen
wie Punkte so unbedeutend, ein paar Terzeuschritte in der Melodie, die über
das Ganze einen schwarzen Schatten werfen und dem kleinen Liede eine so aus¬
geprägt starke Stimmung geben, daß man sich die Bevorzugung, deren sich der
kurze Gesang erfreut, sehr wohl erklären kann. Ein paar gute, wohlberechnete
Stimmeffccte — notadons für einen Sänger mit voller.Höhe — thun noch das
übrige. Das andre „Keine Sorg' um den Weg" verdankt seine Beliebtheit dem
heitern Text, sein musikalischer Gehalt ist nur durch die eiugemischteu Jodler-
Partie» bemerkenswerth. Es ist in den Raffschen Liedern manche gute Gesang-
Wirkung zu finden, Wie z.B. in „Schön Aermchen"; den Musiker interessirt er
oft durch gewählte Details, hier durch eine hübsche Baßführnug wie in dem
„Ungetreuen", dort durch ein hervortretendes McliSma wie in der „Nonne."
Manchmal verräth die Anlage des ganzen (ein gut eingeführter Mittelsalz) den
in der großen Form geübten Musiker. Viele seiner Lieder zeigen in der Stimmung
etwas Phlegma, Nummern wie „Betrogen", so zugvoll, gedrängt und ungeduldig,
bilden nicht die Regel. Sein Fach als Gesangcvmponist könnte die Ballade sein;
als Virtuos der instrumentalen Malerei bringt er für dieselbe viel mit, was
andre nicht haben. Einzelne seiner vorliegenden größern Gesänge erzählenden
Inhalts bestätigen dies. Ich nenne nur „Maria Stuart" (Opus 172) und
die „Hochzeitsnacht." Wie wirksam ist in diesem letzten Stück das verworrne
Hörnerrufeu hereingebracht!


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157968/39>, abgerufen am 01.09.2024.