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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Drittes Quartal.

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Er bringt wohl einmal einen Nachtigallenschlag an, imitirt ein andermal das
Geplauder der schwatzenden Mädchen und zeichnet da und dort eine Kleinigkeit
an den Rand; im ganzen aber ist er in dieser Beziehung sehr zurückhaltend.

Eigen ist seine Melodik, vielfach das treue Abbild eines heißblütigen, dem
Fieberhasten zuneigenden Naturells. Da huschen und schleichen die Töne in
kleine" Schritten; kein Verweilen, auf jede" Ton eine neue Silbe, als wäre es
sehr eilig. Dann auf einmal bricht es los, wie man es aus dem allbekannten
"Ach wenn es doch immer so bliebe" kennt, das übrigens in einem andern Liede
"Gelb rollt mir zu Füßen der brausende Kur" nochmals und zwar noch viel
urwüchsiger auftritt. Viele seiner Gesänge haben in dieser hastigen und leichten
Art die Silben aufzubrauchen etwas Psalmvdirendes, sie lehnen sich mehr an
die Rede an als an die festen überlieferten Formen des Kunstgesauges, sie sind
der Natur näher als der Schablone, und diese sind es, welche in der Regel seine
glücklichern Arbeiten bilden. Mit diesem frei künstlerischen Zuge in seinem Wesen
vertragen sich auch die uubegleiteten und recitativischen Partien gut, die man
in seinen Liedern häufig antrifft.

Eine eigne Gruppe in der neuen Liedliteratur hat Rubinstein mit seinen
Persischen und russischen Gesängen*) aufgestellt. Diese haben die Gattung mit
einem nationalen (orientalischen) Element bereichert. Dasselbe äußert sich mu¬
sikalisch in sanft bewegten Trivlcufignren, welche schönen Ketten gleich die kleinen
Lieder schließen und schmücken. Es sind Ausschweifungen der reinen Freude am
Klang, wie das alte Reuma oder der moderne Jodler, aber maßvoll und von schön
melancholischen Gepräge. Sie stammen aus der Heimat des Componisten und
werden von den Burschen und Mädchen dem Solofänger als Autwort zuge-
snngen; Hand in Hand nahen die Reihen dabei in tanzender Bewegung. Der
fremdartige Charakter dieser Triolettfiguren wird durch die übermüßigen Secunden
hervorgebracht, welche in den leichten Fluß der Melodie eingestreut siud. Zu¬
weilen klingen diese übermäßigen Secunden, in dem schnellen Rhythmus heraus-
gestoßen und hingeworfen, verzweifelt genug, an der Stelle im "Asra" z. B, wo
es heißt: "welche sterben, wenn sie lieben." Der Vortrag dieser ornamentalen
Triolenpartieu muß leicht und of-W voov sein, ganz in der Art des soge¬
nannten Trällerns. Der starke Klang der Stimme verdirbt den Effect. Das
schönste unter den Liedern dieser Klasse ist: "Gelb rollt mir zu Füßen der
brausende Kur."

Einer der fleißigsten und beliebtesten Liedereomponisten unter den hervor¬
ragendem Tonsetzern ist Eduard Lassen, der weimarische Hvfeapellmeister. Hört
mau seinen Namen, so denkt man gleich an die beiden Gesänge vom "Gefangnen
Admiral" und "Ich hatte einst ein schönes Vaterland." Beide Nummern
werden für unsre Enkel interessant sein; diese werden mit Kopfschütteln über den



*) Die Kriloffschen Fabeln gehören darunter nicht.

Er bringt wohl einmal einen Nachtigallenschlag an, imitirt ein andermal das
Geplauder der schwatzenden Mädchen und zeichnet da und dort eine Kleinigkeit
an den Rand; im ganzen aber ist er in dieser Beziehung sehr zurückhaltend.

Eigen ist seine Melodik, vielfach das treue Abbild eines heißblütigen, dem
Fieberhasten zuneigenden Naturells. Da huschen und schleichen die Töne in
kleine» Schritten; kein Verweilen, auf jede» Ton eine neue Silbe, als wäre es
sehr eilig. Dann auf einmal bricht es los, wie man es aus dem allbekannten
„Ach wenn es doch immer so bliebe" kennt, das übrigens in einem andern Liede
„Gelb rollt mir zu Füßen der brausende Kur" nochmals und zwar noch viel
urwüchsiger auftritt. Viele seiner Gesänge haben in dieser hastigen und leichten
Art die Silben aufzubrauchen etwas Psalmvdirendes, sie lehnen sich mehr an
die Rede an als an die festen überlieferten Formen des Kunstgesauges, sie sind
der Natur näher als der Schablone, und diese sind es, welche in der Regel seine
glücklichern Arbeiten bilden. Mit diesem frei künstlerischen Zuge in seinem Wesen
vertragen sich auch die uubegleiteten und recitativischen Partien gut, die man
in seinen Liedern häufig antrifft.

Eine eigne Gruppe in der neuen Liedliteratur hat Rubinstein mit seinen
Persischen und russischen Gesängen*) aufgestellt. Diese haben die Gattung mit
einem nationalen (orientalischen) Element bereichert. Dasselbe äußert sich mu¬
sikalisch in sanft bewegten Trivlcufignren, welche schönen Ketten gleich die kleinen
Lieder schließen und schmücken. Es sind Ausschweifungen der reinen Freude am
Klang, wie das alte Reuma oder der moderne Jodler, aber maßvoll und von schön
melancholischen Gepräge. Sie stammen aus der Heimat des Componisten und
werden von den Burschen und Mädchen dem Solofänger als Autwort zuge-
snngen; Hand in Hand nahen die Reihen dabei in tanzender Bewegung. Der
fremdartige Charakter dieser Triolettfiguren wird durch die übermüßigen Secunden
hervorgebracht, welche in den leichten Fluß der Melodie eingestreut siud. Zu¬
weilen klingen diese übermäßigen Secunden, in dem schnellen Rhythmus heraus-
gestoßen und hingeworfen, verzweifelt genug, an der Stelle im „Asra" z. B, wo
es heißt: „welche sterben, wenn sie lieben." Der Vortrag dieser ornamentalen
Triolenpartieu muß leicht und of-W voov sein, ganz in der Art des soge¬
nannten Trällerns. Der starke Klang der Stimme verdirbt den Effect. Das
schönste unter den Liedern dieser Klasse ist: „Gelb rollt mir zu Füßen der
brausende Kur."

Einer der fleißigsten und beliebtesten Liedereomponisten unter den hervor¬
ragendem Tonsetzern ist Eduard Lassen, der weimarische Hvfeapellmeister. Hört
mau seinen Namen, so denkt man gleich an die beiden Gesänge vom „Gefangnen
Admiral" und „Ich hatte einst ein schönes Vaterland." Beide Nummern
werden für unsre Enkel interessant sein; diese werden mit Kopfschütteln über den



*) Die Kriloffschen Fabeln gehören darunter nicht.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157968/37>, abgerufen am 26.11.2024.