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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Drittes Quartal.

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Zur Charakteristik des Manchesterthums.

lehr von dieser ungeheuerlichen Thorheit unsrer Industrie bald wieder die alte
Gesundheit zurückgeben wird, wie selbstbewußt und laut auch die Freihändler
das Gegentheil prophezeien mögen.

"Sehen wir uns Rußland um, prüfen wir den Schutzzoll dieses riesigen,
wenn auch noch im Kindesalter wirthschaftlicher Entwicklung stehenden Staates.
Halten wir uns dabei an die Aussage Cvbdeus, gewiß des nnverwerflichsten
Zeugen in solchen Angelegenheiten. Er hatte die geschützten Textilfabriken des
russischen Reichs besucht, die ohne Protection nie entstanden sein würden, und
was sagte er nach seiner Zurttcktunft? Etwa, daß die Russen den Engländern
ihre Banmwvllenfabrikate abkaufen und sie im Tausch gegen unendliche Zu¬
fuhren von Getreide aus deu Häfen Südrußlands annehmen würden? Ente
Täuschung! Nach ihm waren diese geschützten Manufacturen, die nach herkömmlicher
Theorie kränklich und verkümmert sein mußten, vielmehr so fortgeschritten und so
blühend, das; sie sogar Großbritannien mit ihrer Bewerbung um den Markt be¬
drohten. Und jeder Zweig des menschlichen Gewerbfleißes beginnt in dein gewaltige"
Reiche, das sich über den ganzen Osten Europas und den ganzen Norden Asiens
vou Archangel bis fast nach Konstantinopel und vom sibirischen Eismeer bis
beinahe an die Grenzen Indiens erstreckt und neben dürren Wüsten und Steppe"
auch zahlreiche Striche mit dem besten Klima und dem fruchtbarsten Boden ein¬
schließt, die von Jahr zu Jahr "lehr durch Eisenbahnen mit einander verbunden
worden sind, zu blühen und sich auszudehnen. Innerhalb seiner Grenzen werden
die Producte aller Länder naturalisirt. Wir haben," erzählt unsre Quelle,
"Proben des feinste" Stahls aus russischem Eisen gesehen, der in Rußland fabricirt
war, und zwar nicht bloß Degen, Lanzenspitzen und Bahounette, sonder" auch
Messer, Gabeln und Werkzeuge, sodaß man Arbeiten aus Birmingham und
Sheffield vor sich zu haben glaubte, und daneben sahen wir Gold- und Silber¬
geschirr, Juwelierwaaren, Brocat und andre kostbare Gewebe von russischer Ar¬
beit, die der Industrie von Paris und Lhon den Rang streitig machten. Der
Nativnalökonom Storch bewog die russische Regierung um das Jahr 1816, einen
Versuch mit den: Freihandelssystem zu machen. Derselbe schlug kläglich fehl
und wurde aufgegeben. Alle Welt stimmt jetzt darin überein, daß heiniische
Prvductio" die wahre Politik Rußlands ist, weil alle finde", daß sie, wie überall
auderwcirts, auch hier der sichere Weg zu Wohlstand und wirthschaftlicher
Größe ist..

Wie steht es mit Belgien? Im Vergleiche zu seinem Flächeninhalt ist seine
Fabrikindustrie vielleicht bedeutender als die irgend eines andern Landes, Eng¬
land nicht ausgenommen. Hier aber hat nicht nur das Schutzzollsystem lange
Zeit geherrscht, sondern seine Zölle sind sogar höher als je vorher. Belgien ist
das wahre Paradies der Schutzzölle. Ja es giebt hier sogar eine Prämie für
Ausfuhrartikel. Oberflächliche Beobachter nennen sie eine Steuer auf die Menge
zu Gunsten einiger wenigen. Aber die, welche die Thatsachen kenne" und sich


Zur Charakteristik des Manchesterthums.

lehr von dieser ungeheuerlichen Thorheit unsrer Industrie bald wieder die alte
Gesundheit zurückgeben wird, wie selbstbewußt und laut auch die Freihändler
das Gegentheil prophezeien mögen.

„Sehen wir uns Rußland um, prüfen wir den Schutzzoll dieses riesigen,
wenn auch noch im Kindesalter wirthschaftlicher Entwicklung stehenden Staates.
Halten wir uns dabei an die Aussage Cvbdeus, gewiß des nnverwerflichsten
Zeugen in solchen Angelegenheiten. Er hatte die geschützten Textilfabriken des
russischen Reichs besucht, die ohne Protection nie entstanden sein würden, und
was sagte er nach seiner Zurttcktunft? Etwa, daß die Russen den Engländern
ihre Banmwvllenfabrikate abkaufen und sie im Tausch gegen unendliche Zu¬
fuhren von Getreide aus deu Häfen Südrußlands annehmen würden? Ente
Täuschung! Nach ihm waren diese geschützten Manufacturen, die nach herkömmlicher
Theorie kränklich und verkümmert sein mußten, vielmehr so fortgeschritten und so
blühend, das; sie sogar Großbritannien mit ihrer Bewerbung um den Markt be¬
drohten. Und jeder Zweig des menschlichen Gewerbfleißes beginnt in dein gewaltige»
Reiche, das sich über den ganzen Osten Europas und den ganzen Norden Asiens
vou Archangel bis fast nach Konstantinopel und vom sibirischen Eismeer bis
beinahe an die Grenzen Indiens erstreckt und neben dürren Wüsten und Steppe»
auch zahlreiche Striche mit dem besten Klima und dem fruchtbarsten Boden ein¬
schließt, die von Jahr zu Jahr »lehr durch Eisenbahnen mit einander verbunden
worden sind, zu blühen und sich auszudehnen. Innerhalb seiner Grenzen werden
die Producte aller Länder naturalisirt. Wir haben," erzählt unsre Quelle,
„Proben des feinste» Stahls aus russischem Eisen gesehen, der in Rußland fabricirt
war, und zwar nicht bloß Degen, Lanzenspitzen und Bahounette, sonder» auch
Messer, Gabeln und Werkzeuge, sodaß man Arbeiten aus Birmingham und
Sheffield vor sich zu haben glaubte, und daneben sahen wir Gold- und Silber¬
geschirr, Juwelierwaaren, Brocat und andre kostbare Gewebe von russischer Ar¬
beit, die der Industrie von Paris und Lhon den Rang streitig machten. Der
Nativnalökonom Storch bewog die russische Regierung um das Jahr 1816, einen
Versuch mit den: Freihandelssystem zu machen. Derselbe schlug kläglich fehl
und wurde aufgegeben. Alle Welt stimmt jetzt darin überein, daß heiniische
Prvductio» die wahre Politik Rußlands ist, weil alle finde», daß sie, wie überall
auderwcirts, auch hier der sichere Weg zu Wohlstand und wirthschaftlicher
Größe ist..

Wie steht es mit Belgien? Im Vergleiche zu seinem Flächeninhalt ist seine
Fabrikindustrie vielleicht bedeutender als die irgend eines andern Landes, Eng¬
land nicht ausgenommen. Hier aber hat nicht nur das Schutzzollsystem lange
Zeit geherrscht, sondern seine Zölle sind sogar höher als je vorher. Belgien ist
das wahre Paradies der Schutzzölle. Ja es giebt hier sogar eine Prämie für
Ausfuhrartikel. Oberflächliche Beobachter nennen sie eine Steuer auf die Menge
zu Gunsten einiger wenigen. Aber die, welche die Thatsachen kenne» und sich


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[0362] Zur Charakteristik des Manchesterthums. lehr von dieser ungeheuerlichen Thorheit unsrer Industrie bald wieder die alte Gesundheit zurückgeben wird, wie selbstbewußt und laut auch die Freihändler das Gegentheil prophezeien mögen. „Sehen wir uns Rußland um, prüfen wir den Schutzzoll dieses riesigen, wenn auch noch im Kindesalter wirthschaftlicher Entwicklung stehenden Staates. Halten wir uns dabei an die Aussage Cvbdeus, gewiß des nnverwerflichsten Zeugen in solchen Angelegenheiten. Er hatte die geschützten Textilfabriken des russischen Reichs besucht, die ohne Protection nie entstanden sein würden, und was sagte er nach seiner Zurttcktunft? Etwa, daß die Russen den Engländern ihre Banmwvllenfabrikate abkaufen und sie im Tausch gegen unendliche Zu¬ fuhren von Getreide aus deu Häfen Südrußlands annehmen würden? Ente Täuschung! Nach ihm waren diese geschützten Manufacturen, die nach herkömmlicher Theorie kränklich und verkümmert sein mußten, vielmehr so fortgeschritten und so blühend, das; sie sogar Großbritannien mit ihrer Bewerbung um den Markt be¬ drohten. Und jeder Zweig des menschlichen Gewerbfleißes beginnt in dein gewaltige» Reiche, das sich über den ganzen Osten Europas und den ganzen Norden Asiens vou Archangel bis fast nach Konstantinopel und vom sibirischen Eismeer bis beinahe an die Grenzen Indiens erstreckt und neben dürren Wüsten und Steppe» auch zahlreiche Striche mit dem besten Klima und dem fruchtbarsten Boden ein¬ schließt, die von Jahr zu Jahr »lehr durch Eisenbahnen mit einander verbunden worden sind, zu blühen und sich auszudehnen. Innerhalb seiner Grenzen werden die Producte aller Länder naturalisirt. Wir haben," erzählt unsre Quelle, „Proben des feinste» Stahls aus russischem Eisen gesehen, der in Rußland fabricirt war, und zwar nicht bloß Degen, Lanzenspitzen und Bahounette, sonder» auch Messer, Gabeln und Werkzeuge, sodaß man Arbeiten aus Birmingham und Sheffield vor sich zu haben glaubte, und daneben sahen wir Gold- und Silber¬ geschirr, Juwelierwaaren, Brocat und andre kostbare Gewebe von russischer Ar¬ beit, die der Industrie von Paris und Lhon den Rang streitig machten. Der Nativnalökonom Storch bewog die russische Regierung um das Jahr 1816, einen Versuch mit den: Freihandelssystem zu machen. Derselbe schlug kläglich fehl und wurde aufgegeben. Alle Welt stimmt jetzt darin überein, daß heiniische Prvductio» die wahre Politik Rußlands ist, weil alle finde», daß sie, wie überall auderwcirts, auch hier der sichere Weg zu Wohlstand und wirthschaftlicher Größe ist.. Wie steht es mit Belgien? Im Vergleiche zu seinem Flächeninhalt ist seine Fabrikindustrie vielleicht bedeutender als die irgend eines andern Landes, Eng¬ land nicht ausgenommen. Hier aber hat nicht nur das Schutzzollsystem lange Zeit geherrscht, sondern seine Zölle sind sogar höher als je vorher. Belgien ist das wahre Paradies der Schutzzölle. Ja es giebt hier sogar eine Prämie für Ausfuhrartikel. Oberflächliche Beobachter nennen sie eine Steuer auf die Menge zu Gunsten einiger wenigen. Aber die, welche die Thatsachen kenne» und sich

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157968/362>, abgerufen am 01.09.2024.