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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Drittes Quartal.

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Zur Charakteristik des Manchesterthiuns.

Aber jener Satz ist soweit von der Wahrheit entfernt, daß schon ein flüch¬
tiger Blick auf die Geschichte der Fabrikthätigkeit des einen oder des andern
Landes ihn widerlegt. "Alle großen Manufacturen haben ihren Ursprung im
System des Schutzes. Auch die englischen, die größten und die, welche bis auf
die letzten Jahre am wenigsten kränkelten, entstanden uuter einem Systeme von
Schutzzöllen, die so hoch bemessen waren, daß sie in ihrer Wirkung einem Ver¬
bot der Einfuhr gleichkamen. Dazu kam, daß infolge der Kriege, welche vor
1815 fast ein Vierteljahrhundert wütheten, Großbritannien sich eines fernern
zufälligen Monopols in der Weltindustrie erfreute. Und dieser strenge Schutz
hat nicht nur Manufacturen überhaupt, sondern auch da geschaffen, wo sie von
Natur nicht entstanden sein würden, trotz großer natürlicher Hindernisse. Andre
Nationen haben Kohlen und Eisen wie die Engländer, die Amerikaner sind in
dieser Hinsicht sogar weit reicher. Aber andre Nationen haben auch, was Eng¬
land nicht hat: sie erzeugen gewisse Rohstoffe. England ist, wie man mit Recht
bemerkt hat, arm an den meisten Materialien, welche die Basis seiner Fabrik¬
thätigkeit bilden. Es hat keine feine Wolle, keine Seide und vor allem keine
Baumwolle. Sein bestes Eisen für die Herstellung von Messerschmiedearbeiten
kommt ans Schweden, seine Oele, Harze, Farben und Hölzer müssen aus weiter
Ferne bezogen werden.

Der englischen Industrie am nächsten steht die französische. Dieselbe ist
nicht so bedeutend als jene, hat aber seit dem Frieden von 1815 in größeren
Maße zugenommen und zwar unter einem Systeme strengen und eifersüchtigen
Schutzes. Keine politische Partei kann sich in ihren Ansichten weiter von den
Republikanern entfernen als die AnHanger des Hauses Bourbon, und die Re¬
publikaner scheidet wieder eine breite Kluft von den Bonapartisten und den Orlea-
nisten. Aber im Punkte des Schutzes der Industrie stimmen alle diese Par¬
teien, wenn wir einige Theoretiker wie Bastiat und eine Anzahl Weinproducenten
des Südens ausnehmen, im wesentlichen überein. Schutz des französischen Ge-
werbfleißes war von der Zeit Colbcrts an bis auf die Gegenwart mit geringen
Abweichungen ein Hauptbestreben jeder Partei, welche die Oberhand hatte. Nur
dieses Bestreben ist der Unterstützung aller Parteien sicher." Wenn Napoleon III.
mit England einen Handelsvertrag schloß, der sich von dieser Politik entfernte,
so bestimmten ihn andre als wirthschaftliche Gründe dazu, und die unveränderte
Erneuerung des Vertrags, über den jetzt verhandelt wird, wird sicher nicht er¬
folgen. Die wenigen französischen Freihändler sind entweder Speculanten oder
Stubengelehrte. Die Mehrzahl der französischen Preßorgane vertritt prvtectio-
niftische Grundsätze, auch die liberalen Journale stehen auf diesem Standpunkte.
In der That, fast in allen Schichten des Volkes und in allen Theilen des
Landes, in der Hauptstadt, in den großen Fabrikstädten und unter den Bauern,
so weit sie denken und ihre Gedanken äußern, herrscht die Ueberzeugung, daß
die französische Güterprvduction von feiten des Staates geschützt werden müsse.


Zur Charakteristik des Manchesterthiuns.

Aber jener Satz ist soweit von der Wahrheit entfernt, daß schon ein flüch¬
tiger Blick auf die Geschichte der Fabrikthätigkeit des einen oder des andern
Landes ihn widerlegt. „Alle großen Manufacturen haben ihren Ursprung im
System des Schutzes. Auch die englischen, die größten und die, welche bis auf
die letzten Jahre am wenigsten kränkelten, entstanden uuter einem Systeme von
Schutzzöllen, die so hoch bemessen waren, daß sie in ihrer Wirkung einem Ver¬
bot der Einfuhr gleichkamen. Dazu kam, daß infolge der Kriege, welche vor
1815 fast ein Vierteljahrhundert wütheten, Großbritannien sich eines fernern
zufälligen Monopols in der Weltindustrie erfreute. Und dieser strenge Schutz
hat nicht nur Manufacturen überhaupt, sondern auch da geschaffen, wo sie von
Natur nicht entstanden sein würden, trotz großer natürlicher Hindernisse. Andre
Nationen haben Kohlen und Eisen wie die Engländer, die Amerikaner sind in
dieser Hinsicht sogar weit reicher. Aber andre Nationen haben auch, was Eng¬
land nicht hat: sie erzeugen gewisse Rohstoffe. England ist, wie man mit Recht
bemerkt hat, arm an den meisten Materialien, welche die Basis seiner Fabrik¬
thätigkeit bilden. Es hat keine feine Wolle, keine Seide und vor allem keine
Baumwolle. Sein bestes Eisen für die Herstellung von Messerschmiedearbeiten
kommt ans Schweden, seine Oele, Harze, Farben und Hölzer müssen aus weiter
Ferne bezogen werden.

Der englischen Industrie am nächsten steht die französische. Dieselbe ist
nicht so bedeutend als jene, hat aber seit dem Frieden von 1815 in größeren
Maße zugenommen und zwar unter einem Systeme strengen und eifersüchtigen
Schutzes. Keine politische Partei kann sich in ihren Ansichten weiter von den
Republikanern entfernen als die AnHanger des Hauses Bourbon, und die Re¬
publikaner scheidet wieder eine breite Kluft von den Bonapartisten und den Orlea-
nisten. Aber im Punkte des Schutzes der Industrie stimmen alle diese Par¬
teien, wenn wir einige Theoretiker wie Bastiat und eine Anzahl Weinproducenten
des Südens ausnehmen, im wesentlichen überein. Schutz des französischen Ge-
werbfleißes war von der Zeit Colbcrts an bis auf die Gegenwart mit geringen
Abweichungen ein Hauptbestreben jeder Partei, welche die Oberhand hatte. Nur
dieses Bestreben ist der Unterstützung aller Parteien sicher." Wenn Napoleon III.
mit England einen Handelsvertrag schloß, der sich von dieser Politik entfernte,
so bestimmten ihn andre als wirthschaftliche Gründe dazu, und die unveränderte
Erneuerung des Vertrags, über den jetzt verhandelt wird, wird sicher nicht er¬
folgen. Die wenigen französischen Freihändler sind entweder Speculanten oder
Stubengelehrte. Die Mehrzahl der französischen Preßorgane vertritt prvtectio-
niftische Grundsätze, auch die liberalen Journale stehen auf diesem Standpunkte.
In der That, fast in allen Schichten des Volkes und in allen Theilen des
Landes, in der Hauptstadt, in den großen Fabrikstädten und unter den Bauern,
so weit sie denken und ihre Gedanken äußern, herrscht die Ueberzeugung, daß
die französische Güterprvduction von feiten des Staates geschützt werden müsse.


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[0360] Zur Charakteristik des Manchesterthiuns. Aber jener Satz ist soweit von der Wahrheit entfernt, daß schon ein flüch¬ tiger Blick auf die Geschichte der Fabrikthätigkeit des einen oder des andern Landes ihn widerlegt. „Alle großen Manufacturen haben ihren Ursprung im System des Schutzes. Auch die englischen, die größten und die, welche bis auf die letzten Jahre am wenigsten kränkelten, entstanden uuter einem Systeme von Schutzzöllen, die so hoch bemessen waren, daß sie in ihrer Wirkung einem Ver¬ bot der Einfuhr gleichkamen. Dazu kam, daß infolge der Kriege, welche vor 1815 fast ein Vierteljahrhundert wütheten, Großbritannien sich eines fernern zufälligen Monopols in der Weltindustrie erfreute. Und dieser strenge Schutz hat nicht nur Manufacturen überhaupt, sondern auch da geschaffen, wo sie von Natur nicht entstanden sein würden, trotz großer natürlicher Hindernisse. Andre Nationen haben Kohlen und Eisen wie die Engländer, die Amerikaner sind in dieser Hinsicht sogar weit reicher. Aber andre Nationen haben auch, was Eng¬ land nicht hat: sie erzeugen gewisse Rohstoffe. England ist, wie man mit Recht bemerkt hat, arm an den meisten Materialien, welche die Basis seiner Fabrik¬ thätigkeit bilden. Es hat keine feine Wolle, keine Seide und vor allem keine Baumwolle. Sein bestes Eisen für die Herstellung von Messerschmiedearbeiten kommt ans Schweden, seine Oele, Harze, Farben und Hölzer müssen aus weiter Ferne bezogen werden. Der englischen Industrie am nächsten steht die französische. Dieselbe ist nicht so bedeutend als jene, hat aber seit dem Frieden von 1815 in größeren Maße zugenommen und zwar unter einem Systeme strengen und eifersüchtigen Schutzes. Keine politische Partei kann sich in ihren Ansichten weiter von den Republikanern entfernen als die AnHanger des Hauses Bourbon, und die Re¬ publikaner scheidet wieder eine breite Kluft von den Bonapartisten und den Orlea- nisten. Aber im Punkte des Schutzes der Industrie stimmen alle diese Par¬ teien, wenn wir einige Theoretiker wie Bastiat und eine Anzahl Weinproducenten des Südens ausnehmen, im wesentlichen überein. Schutz des französischen Ge- werbfleißes war von der Zeit Colbcrts an bis auf die Gegenwart mit geringen Abweichungen ein Hauptbestreben jeder Partei, welche die Oberhand hatte. Nur dieses Bestreben ist der Unterstützung aller Parteien sicher." Wenn Napoleon III. mit England einen Handelsvertrag schloß, der sich von dieser Politik entfernte, so bestimmten ihn andre als wirthschaftliche Gründe dazu, und die unveränderte Erneuerung des Vertrags, über den jetzt verhandelt wird, wird sicher nicht er¬ folgen. Die wenigen französischen Freihändler sind entweder Speculanten oder Stubengelehrte. Die Mehrzahl der französischen Preßorgane vertritt prvtectio- niftische Grundsätze, auch die liberalen Journale stehen auf diesem Standpunkte. In der That, fast in allen Schichten des Volkes und in allen Theilen des Landes, in der Hauptstadt, in den großen Fabrikstädten und unter den Bauern, so weit sie denken und ihre Gedanken äußern, herrscht die Ueberzeugung, daß die französische Güterprvduction von feiten des Staates geschützt werden müsse.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157968/360>, abgerufen am 01.09.2024.