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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Drittes Quartal.

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Zur Charakteristik des Manchesterthums.

Aber, so wirft man ein, wenn freier Waarenaustausch zwischen zwei Pro¬
vinzen desselben Landes gut ist, warum nicht anch zwischen verschiednen Ländern?
Wenn er zwischen der Rheinprovinz und Hannover, zwischen dein Pas de Calais
und demi Departement du Nord, zwischen Suffolk und Norfolk vortheilhaft ist,
weshalb nicht auch zwischen Deutschland und Großbritannien oder zwischen
Frankreich und England?

Dieser EinWurf ist ein Beispiel jenes dreisten und hartnäckigen Generalisirens,
welches, um eine Doctrin auszuführen, breit klaffende Unterschiede übersieht und
überspringt. Setzen wir zunächst den Fall, daß eine Provinz verlöre und eine andre
Provinz desselben Landes gewänne, was hat das für das Land zu bedeuten, zu dem
beide gehören? Sein Gesmnmtgewiuu ist genau derselbe. Aber gesetzt den Fall,
Deutschland und Frankreich verlieren, und England gewinnt bei nicht gehörig ge¬
regeltem Güteraustausch, so ist das zwar recht angenehm für England, aber nicht
fiir Deutschland und Frankreich. Aber es giebt gute Gründe dafür, daß in ge¬
wöhnlichen Fällen von zwei Provinzen desselben Landes durch freien und unge¬
regelten Güteraustausch beide gewinnen werden, obwohl von zwei politisch und geo¬
graphisch verschiedenen Ländern eins oder beide verlieren. Zur Production in
großem Maßstabe bedarf es einer ausgedehnten Fläche für gegenseitigen Aus¬
tausch, Die Besteuerung, das Klima, der Boden, die Lebensweise, die Höhe
der Löhne find in zwei Provinzen desselben Landes im wesentlichen dieselben,
beide Provinzen arbeiten also ungefähr unter gleichen Bedingungen. Aber es
ist ein Unterschied zwischen einer ausgedehnten und einer unbegrenzten Fläche
für ungeregelten Güteraustausch. Jene ist nothwendig für die Entwicklung der
Production in großem Maßstabe und zu billigem Preise, diese nicht. Im Gegen¬
theil, eine unbegrenzte gefährdet die Sicherheit des heimischen Absatzes und die
Löhne der Arbeiter. Der Zusammentritt der deutschen Staaten zum Zollverein
stärkte deren Industrie, wären sie aber weitergegangen und hätten sie ihre Zoll¬
grenzen England geöffnet, so hätten sie sich zu Grunde gerichtet." Schon das,
was nach dieser Richtung unter der Aera Delbrück geschah, war, wie bemerkt,
schädlich genug.

"Uebrigens ist selbst die Regel, daß freier Austausch zwischen Provinzen
desselben Reiches gut ist, nicht ohne Ausnahmen. Vor der Union zwischen
England und Irland gab es in letzterm nicht nur Leinwandfabrilanteu, sondern
Wollkämmer, Teppichweber, Verfertiger wvllner Decken, Strumpfwirker, Seiden¬
weber und Kattundrucker; denn vor der Union war Irland gegen die Concur-
renz der englischen Manufacturen geschützt. Jetzt, wo dies aufgehört hat, sind
jene Industriezweige längst alle verschwunden. Irland hat dabei unzweifelhaft
etwas eingebüßt. Hat England gewonnen? Man kann es bezweifeln. Irland
ist jetzt nicht sowohl ein Kunde Englands als ein Empfänger englischen Almosens.

Wollte man also schließen, weil eine ausgedehnte Fläche für wechselseitigen
Austausch wohlthätig sei, so müsse sie um so wohlthätiger sein, je ausgedehnter


Zur Charakteristik des Manchesterthums.

Aber, so wirft man ein, wenn freier Waarenaustausch zwischen zwei Pro¬
vinzen desselben Landes gut ist, warum nicht anch zwischen verschiednen Ländern?
Wenn er zwischen der Rheinprovinz und Hannover, zwischen dein Pas de Calais
und demi Departement du Nord, zwischen Suffolk und Norfolk vortheilhaft ist,
weshalb nicht auch zwischen Deutschland und Großbritannien oder zwischen
Frankreich und England?

Dieser EinWurf ist ein Beispiel jenes dreisten und hartnäckigen Generalisirens,
welches, um eine Doctrin auszuführen, breit klaffende Unterschiede übersieht und
überspringt. Setzen wir zunächst den Fall, daß eine Provinz verlöre und eine andre
Provinz desselben Landes gewänne, was hat das für das Land zu bedeuten, zu dem
beide gehören? Sein Gesmnmtgewiuu ist genau derselbe. Aber gesetzt den Fall,
Deutschland und Frankreich verlieren, und England gewinnt bei nicht gehörig ge¬
regeltem Güteraustausch, so ist das zwar recht angenehm für England, aber nicht
fiir Deutschland und Frankreich. Aber es giebt gute Gründe dafür, daß in ge¬
wöhnlichen Fällen von zwei Provinzen desselben Landes durch freien und unge¬
regelten Güteraustausch beide gewinnen werden, obwohl von zwei politisch und geo¬
graphisch verschiedenen Ländern eins oder beide verlieren. Zur Production in
großem Maßstabe bedarf es einer ausgedehnten Fläche für gegenseitigen Aus¬
tausch, Die Besteuerung, das Klima, der Boden, die Lebensweise, die Höhe
der Löhne find in zwei Provinzen desselben Landes im wesentlichen dieselben,
beide Provinzen arbeiten also ungefähr unter gleichen Bedingungen. Aber es
ist ein Unterschied zwischen einer ausgedehnten und einer unbegrenzten Fläche
für ungeregelten Güteraustausch. Jene ist nothwendig für die Entwicklung der
Production in großem Maßstabe und zu billigem Preise, diese nicht. Im Gegen¬
theil, eine unbegrenzte gefährdet die Sicherheit des heimischen Absatzes und die
Löhne der Arbeiter. Der Zusammentritt der deutschen Staaten zum Zollverein
stärkte deren Industrie, wären sie aber weitergegangen und hätten sie ihre Zoll¬
grenzen England geöffnet, so hätten sie sich zu Grunde gerichtet." Schon das,
was nach dieser Richtung unter der Aera Delbrück geschah, war, wie bemerkt,
schädlich genug.

„Uebrigens ist selbst die Regel, daß freier Austausch zwischen Provinzen
desselben Reiches gut ist, nicht ohne Ausnahmen. Vor der Union zwischen
England und Irland gab es in letzterm nicht nur Leinwandfabrilanteu, sondern
Wollkämmer, Teppichweber, Verfertiger wvllner Decken, Strumpfwirker, Seiden¬
weber und Kattundrucker; denn vor der Union war Irland gegen die Concur-
renz der englischen Manufacturen geschützt. Jetzt, wo dies aufgehört hat, sind
jene Industriezweige längst alle verschwunden. Irland hat dabei unzweifelhaft
etwas eingebüßt. Hat England gewonnen? Man kann es bezweifeln. Irland
ist jetzt nicht sowohl ein Kunde Englands als ein Empfänger englischen Almosens.

Wollte man also schließen, weil eine ausgedehnte Fläche für wechselseitigen
Austausch wohlthätig sei, so müsse sie um so wohlthätiger sein, je ausgedehnter


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[0357] Zur Charakteristik des Manchesterthums. Aber, so wirft man ein, wenn freier Waarenaustausch zwischen zwei Pro¬ vinzen desselben Landes gut ist, warum nicht anch zwischen verschiednen Ländern? Wenn er zwischen der Rheinprovinz und Hannover, zwischen dein Pas de Calais und demi Departement du Nord, zwischen Suffolk und Norfolk vortheilhaft ist, weshalb nicht auch zwischen Deutschland und Großbritannien oder zwischen Frankreich und England? Dieser EinWurf ist ein Beispiel jenes dreisten und hartnäckigen Generalisirens, welches, um eine Doctrin auszuführen, breit klaffende Unterschiede übersieht und überspringt. Setzen wir zunächst den Fall, daß eine Provinz verlöre und eine andre Provinz desselben Landes gewänne, was hat das für das Land zu bedeuten, zu dem beide gehören? Sein Gesmnmtgewiuu ist genau derselbe. Aber gesetzt den Fall, Deutschland und Frankreich verlieren, und England gewinnt bei nicht gehörig ge¬ regeltem Güteraustausch, so ist das zwar recht angenehm für England, aber nicht fiir Deutschland und Frankreich. Aber es giebt gute Gründe dafür, daß in ge¬ wöhnlichen Fällen von zwei Provinzen desselben Landes durch freien und unge¬ regelten Güteraustausch beide gewinnen werden, obwohl von zwei politisch und geo¬ graphisch verschiedenen Ländern eins oder beide verlieren. Zur Production in großem Maßstabe bedarf es einer ausgedehnten Fläche für gegenseitigen Aus¬ tausch, Die Besteuerung, das Klima, der Boden, die Lebensweise, die Höhe der Löhne find in zwei Provinzen desselben Landes im wesentlichen dieselben, beide Provinzen arbeiten also ungefähr unter gleichen Bedingungen. Aber es ist ein Unterschied zwischen einer ausgedehnten und einer unbegrenzten Fläche für ungeregelten Güteraustausch. Jene ist nothwendig für die Entwicklung der Production in großem Maßstabe und zu billigem Preise, diese nicht. Im Gegen¬ theil, eine unbegrenzte gefährdet die Sicherheit des heimischen Absatzes und die Löhne der Arbeiter. Der Zusammentritt der deutschen Staaten zum Zollverein stärkte deren Industrie, wären sie aber weitergegangen und hätten sie ihre Zoll¬ grenzen England geöffnet, so hätten sie sich zu Grunde gerichtet." Schon das, was nach dieser Richtung unter der Aera Delbrück geschah, war, wie bemerkt, schädlich genug. „Uebrigens ist selbst die Regel, daß freier Austausch zwischen Provinzen desselben Reiches gut ist, nicht ohne Ausnahmen. Vor der Union zwischen England und Irland gab es in letzterm nicht nur Leinwandfabrilanteu, sondern Wollkämmer, Teppichweber, Verfertiger wvllner Decken, Strumpfwirker, Seiden¬ weber und Kattundrucker; denn vor der Union war Irland gegen die Concur- renz der englischen Manufacturen geschützt. Jetzt, wo dies aufgehört hat, sind jene Industriezweige längst alle verschwunden. Irland hat dabei unzweifelhaft etwas eingebüßt. Hat England gewonnen? Man kann es bezweifeln. Irland ist jetzt nicht sowohl ein Kunde Englands als ein Empfänger englischen Almosens. Wollte man also schließen, weil eine ausgedehnte Fläche für wechselseitigen Austausch wohlthätig sei, so müsse sie um so wohlthätiger sein, je ausgedehnter

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157968/357>, abgerufen am 25.11.2024.