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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Drittes Quartal.

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Das deutsche Lied seit Robert Schumann.

El" gutes Lied zu schreiben ist eine Sache, die sich nicht so zwischendurch
erledigen läßt. Sie verlangt einen wirklichen Meister und kann einen Meister
reizen. So sehen wir, daß alle unsre großen Komponisten, auch die vor Schubert,
gerne ein Lied geschrieben haben. Und meist kann man davon sagen: nnZuo
Ivonöin. So finden wir auch die namhaften Tonsetzer der Gegenwart viel beim
Liede beschäftigt. Nicht immer mit Erfolg. Man legt manches Heft unsrer
namhafte" Komponisten mit dem Gefühle aus der Hand, daß man es mit einer
sehr leichte" Arbeit zu thun gehabt hat, mit schleuderischer Waare. Absolut
auszunehme" von diesem Vorwurf ist Johannes Brcihms, dessen Lieder sast
alle den Stempel seiner gewaltigen Persönlichkeit tragen und durch ihre compacte
Masse schon vor der Vergänglichkeit geschützt erscheinen. Gingen die Lieder
von Brahms verloren, so wäre der Kunstschatz des neunzehnten Jahrhunderts
einer seiner schönsten Zierden bar. Sie bilden nicht den Gegenstand des Tages¬
interesses wie eine Oper von Wagner, aber viele unter ihnen sind in ihrer Art
gerade so einzig. Einzelnen Nummern unter den Magelonen-Romanzen -- ich
nenne nur: "Sind es Schmerzen, sind es Freuden," "Wie soll ich die Freude,
die Wonne denn tragen" oder "Ruhe, süß Liebchen" -- haben wir in der Ge¬
sangsliteratur absolut nichts an die Seite zu setzen. Das sind Liebeslieder, die
um, immer wieder aufschlagen kann, wenn man des Schmachteus und Tobens
der andern überdrüssig geworden ist. Darin ist alles groß, die Empfindung
und der Ausdruck, nirgends eine kleinliche Wendung auf die äußere Wirkung,
der Mcisterkünstler immer vom Menschen geleitet und Reichthum und Einfach¬
heit beisammen. Der Zug ins Große, die Herkunft aus dem Vollen ist auch
den kleinern Liedern von Brahms eigen. Auch in so knappen Gesängen wie
beispielsweise die "Schwermuth" begegnet man jenen weitgespannten Melodien,
die wie Brückenbogen von Tiefe zu Tiefe führen. Seine Bahnen sind reich an
Steigerung, bald kühn, bald mäßig lehnen; hält er damit an der Höhe, so
giebts einen überwältigenden Anblick. Man denke an bekannte Stellen wie in
der Mainacht: "Aber ich wende mich." Seinen Riesentritt behält er auch bei,
wenn es Contrasten gilt; niemand unter den modernen weiß gelegentlich so
energisch umzuwenden: "Suche dunklere Schatten." Geht er ebne Wege, so ist
er immer interessant; da kommen kleine Harmvnicvrnamente, da kommen Melodie-
Wendungen, ein Einsatz oder Aufschlag der Stimme, ein rhythmischer Wechsel, wie
nur er es thun kann. Wer ein Beispiel davon haben will, wie Brahms es versteht
mit dem gewöhnlichsten Material apart zu bleiben, der sehe an "Auf dem See."
Auch seine kleinen Eigenheiten hat er in der Textbchandlung. Er bleibt manchmal
unerwartet stehen und faßt einen Gegenstand ins Auge, der für die Reise keine
directe Bedeutung hat. Man sehe zum Beispiel in dem Liede "An die Nachtigall",
wie er auf einmal die Worte "tonrcichen Schall" mit langen halben Noten markirt.

Nebenbei sei bemerkt, daß Brahms fast der einzige ist. der in seinen Liedern
auch dem Bedürfnisse der Gesanglehrer nach getragnen Stücken entgegenkommt,


Das deutsche Lied seit Robert Schumann.

El» gutes Lied zu schreiben ist eine Sache, die sich nicht so zwischendurch
erledigen läßt. Sie verlangt einen wirklichen Meister und kann einen Meister
reizen. So sehen wir, daß alle unsre großen Komponisten, auch die vor Schubert,
gerne ein Lied geschrieben haben. Und meist kann man davon sagen: nnZuo
Ivonöin. So finden wir auch die namhaften Tonsetzer der Gegenwart viel beim
Liede beschäftigt. Nicht immer mit Erfolg. Man legt manches Heft unsrer
namhafte» Komponisten mit dem Gefühle aus der Hand, daß man es mit einer
sehr leichte» Arbeit zu thun gehabt hat, mit schleuderischer Waare. Absolut
auszunehme» von diesem Vorwurf ist Johannes Brcihms, dessen Lieder sast
alle den Stempel seiner gewaltigen Persönlichkeit tragen und durch ihre compacte
Masse schon vor der Vergänglichkeit geschützt erscheinen. Gingen die Lieder
von Brahms verloren, so wäre der Kunstschatz des neunzehnten Jahrhunderts
einer seiner schönsten Zierden bar. Sie bilden nicht den Gegenstand des Tages¬
interesses wie eine Oper von Wagner, aber viele unter ihnen sind in ihrer Art
gerade so einzig. Einzelnen Nummern unter den Magelonen-Romanzen — ich
nenne nur: „Sind es Schmerzen, sind es Freuden," „Wie soll ich die Freude,
die Wonne denn tragen" oder „Ruhe, süß Liebchen" — haben wir in der Ge¬
sangsliteratur absolut nichts an die Seite zu setzen. Das sind Liebeslieder, die
um, immer wieder aufschlagen kann, wenn man des Schmachteus und Tobens
der andern überdrüssig geworden ist. Darin ist alles groß, die Empfindung
und der Ausdruck, nirgends eine kleinliche Wendung auf die äußere Wirkung,
der Mcisterkünstler immer vom Menschen geleitet und Reichthum und Einfach¬
heit beisammen. Der Zug ins Große, die Herkunft aus dem Vollen ist auch
den kleinern Liedern von Brahms eigen. Auch in so knappen Gesängen wie
beispielsweise die „Schwermuth" begegnet man jenen weitgespannten Melodien,
die wie Brückenbogen von Tiefe zu Tiefe führen. Seine Bahnen sind reich an
Steigerung, bald kühn, bald mäßig lehnen; hält er damit an der Höhe, so
giebts einen überwältigenden Anblick. Man denke an bekannte Stellen wie in
der Mainacht: „Aber ich wende mich." Seinen Riesentritt behält er auch bei,
wenn es Contrasten gilt; niemand unter den modernen weiß gelegentlich so
energisch umzuwenden: „Suche dunklere Schatten." Geht er ebne Wege, so ist
er immer interessant; da kommen kleine Harmvnicvrnamente, da kommen Melodie-
Wendungen, ein Einsatz oder Aufschlag der Stimme, ein rhythmischer Wechsel, wie
nur er es thun kann. Wer ein Beispiel davon haben will, wie Brahms es versteht
mit dem gewöhnlichsten Material apart zu bleiben, der sehe an „Auf dem See."
Auch seine kleinen Eigenheiten hat er in der Textbchandlung. Er bleibt manchmal
unerwartet stehen und faßt einen Gegenstand ins Auge, der für die Reise keine
directe Bedeutung hat. Man sehe zum Beispiel in dem Liede „An die Nachtigall",
wie er auf einmal die Worte „tonrcichen Schall" mit langen halben Noten markirt.

Nebenbei sei bemerkt, daß Brahms fast der einzige ist. der in seinen Liedern
auch dem Bedürfnisse der Gesanglehrer nach getragnen Stücken entgegenkommt,


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[0035] Das deutsche Lied seit Robert Schumann. El» gutes Lied zu schreiben ist eine Sache, die sich nicht so zwischendurch erledigen läßt. Sie verlangt einen wirklichen Meister und kann einen Meister reizen. So sehen wir, daß alle unsre großen Komponisten, auch die vor Schubert, gerne ein Lied geschrieben haben. Und meist kann man davon sagen: nnZuo Ivonöin. So finden wir auch die namhaften Tonsetzer der Gegenwart viel beim Liede beschäftigt. Nicht immer mit Erfolg. Man legt manches Heft unsrer namhafte» Komponisten mit dem Gefühle aus der Hand, daß man es mit einer sehr leichte» Arbeit zu thun gehabt hat, mit schleuderischer Waare. Absolut auszunehme» von diesem Vorwurf ist Johannes Brcihms, dessen Lieder sast alle den Stempel seiner gewaltigen Persönlichkeit tragen und durch ihre compacte Masse schon vor der Vergänglichkeit geschützt erscheinen. Gingen die Lieder von Brahms verloren, so wäre der Kunstschatz des neunzehnten Jahrhunderts einer seiner schönsten Zierden bar. Sie bilden nicht den Gegenstand des Tages¬ interesses wie eine Oper von Wagner, aber viele unter ihnen sind in ihrer Art gerade so einzig. Einzelnen Nummern unter den Magelonen-Romanzen — ich nenne nur: „Sind es Schmerzen, sind es Freuden," „Wie soll ich die Freude, die Wonne denn tragen" oder „Ruhe, süß Liebchen" — haben wir in der Ge¬ sangsliteratur absolut nichts an die Seite zu setzen. Das sind Liebeslieder, die um, immer wieder aufschlagen kann, wenn man des Schmachteus und Tobens der andern überdrüssig geworden ist. Darin ist alles groß, die Empfindung und der Ausdruck, nirgends eine kleinliche Wendung auf die äußere Wirkung, der Mcisterkünstler immer vom Menschen geleitet und Reichthum und Einfach¬ heit beisammen. Der Zug ins Große, die Herkunft aus dem Vollen ist auch den kleinern Liedern von Brahms eigen. Auch in so knappen Gesängen wie beispielsweise die „Schwermuth" begegnet man jenen weitgespannten Melodien, die wie Brückenbogen von Tiefe zu Tiefe führen. Seine Bahnen sind reich an Steigerung, bald kühn, bald mäßig lehnen; hält er damit an der Höhe, so giebts einen überwältigenden Anblick. Man denke an bekannte Stellen wie in der Mainacht: „Aber ich wende mich." Seinen Riesentritt behält er auch bei, wenn es Contrasten gilt; niemand unter den modernen weiß gelegentlich so energisch umzuwenden: „Suche dunklere Schatten." Geht er ebne Wege, so ist er immer interessant; da kommen kleine Harmvnicvrnamente, da kommen Melodie- Wendungen, ein Einsatz oder Aufschlag der Stimme, ein rhythmischer Wechsel, wie nur er es thun kann. Wer ein Beispiel davon haben will, wie Brahms es versteht mit dem gewöhnlichsten Material apart zu bleiben, der sehe an „Auf dem See." Auch seine kleinen Eigenheiten hat er in der Textbchandlung. Er bleibt manchmal unerwartet stehen und faßt einen Gegenstand ins Auge, der für die Reise keine directe Bedeutung hat. Man sehe zum Beispiel in dem Liede „An die Nachtigall", wie er auf einmal die Worte „tonrcichen Schall" mit langen halben Noten markirt. Nebenbei sei bemerkt, daß Brahms fast der einzige ist. der in seinen Liedern auch dem Bedürfnisse der Gesanglehrer nach getragnen Stücken entgegenkommt,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157968/35>, abgerufen am 01.09.2024.