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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Drittes Quartal.

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bleiben. Mein Ruf, wenn es zum Angriff geht, wird sein: Es lebe Se. Denis
Voltaire, es sterbe George Shakespeare!"

Voltaire kommt in seiner Schrift zunächst wieder auf seine Verdienste um
die Einführung der englischen Literatur und Shakespeares zurück, worauf er zu
den Anfeindungen übergeht, die dieses damals ihm eingetragen. Seine Bemühungen
seien gleichwohl erfolgreich gewesen, nur sei man dabei in Uebertreibung gerathen.
Er wendet sich nun dem Angriffe ans die Shakespearischen Dichtungen zu, indem
er die drei Einheiten wieder ins Feld führt, um sich dann schließlich gegen den
neuesten Uebersetzer zu erheben, den er beschuldigt, die Franzosen und ihr Theater
herabgewürdigt zu haben. Im zweiten Abschnitte geht er zunächst auf einige
der genialen Einzelheiten der Shakespearischen Dramen ein. Er vergleicht sie
mit dene" Lope de Vegas. Er reißt andre Stellen aus dem Zusammenhange
heraus, die er in herabziehender Weise übersetzt und interpretirt. Am Schluß
aber heißt es: "Stellen Sie sich um Ludwig XIH. in seiner Galerie zu Versailles
bor, umgeben von seinem glänzenden Hofe, und einen Gilles, mit Lumpen bedeckt,
der sich durch die Menge der Helden, der großen Männer, der Schönheiten
drängt, die diesen Hof bilden. Er schlägt ihnen vor, Corneille zu verlassen,
Racine und Molivre für einen Marktschreier preiszugeben, der einige glückliche
Einfälle hat. Wie glauben Sie wohl, daß man diesen Vorschlag aufnehmen würde?"

Der Erfolg des Tages, der Beifall der Akademie, die Nachfolge seiner blinden
Verehrer, La Harpe an der Spitze, sie freilich waren gewonnen, allein bei der
Nation im großen und ganzen war das Interesse für den Gegenstand des Streite'
nur noch allgemeiner und tiefer angeregt worden. Man suchte darin zwar zum
Theil, wie Voltaire gewünscht, nach angeblichen Gemeinheiten, wurde aber fast
immer mir von der eigenthümlichen Größe und Schönheit der Dichtungen an¬
gezogen. Die Uebersetzungen Lctonrneurs, so mangelhaft sie immer noch waren,
übten daher eine große Wirkung aus. Sie läßt sich aus dem Eindrucke er¬
messen, welchen ein Dichter wie Svdaine von ihnen empfing, der sie mit Begierde
verschlang. Grimm, welcher Zeuge seiner Aufregung war, sagte: "Ihre Ent¬
zückungen setzen mich nicht in Erstaunen. Es ist die Freude eiues Sohnes, der
einen Vater findet, den er noch niemals gesehen." Letonrncur fuhr daher in
seinen Uebersetzungen und seiner Verherrlichung Shakespeares, Dueis in seinen
^earbcitnngcn shakespearischer Dramen fort. Jener veröffentlichte sein Vis ac
^imIiP8pe;M<z, sein .ludilv as LlmKöspgMiz, die Dpitr" Äöäivatoiro Uol und die
Disvours lies xr6lÄc;es, dieser trat 1783 mit I>v Roi 1784 mit Niil-theil
und mitten in der Revolution mit Otnsllo hervor.

Voltaire fühlte die Niederlage, welche anfänglich von dem scheinbaren Siege
verhüllt wurde. Von allen Seiten sah er sich in Versen und Prosa verspottet.
^>>es das Ausland blieb in diesem Streite nicht stumm. 1777 erschien der
^isv0ur8 sur LlmKösxsMk se sur Voltnirs von Giuseppe Baretti, kurze Zeit
später die ^xol0<?v of sita^^in^ von Lady Montagne, sowie die OdsvrvMous


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bleiben. Mein Ruf, wenn es zum Angriff geht, wird sein: Es lebe Se. Denis
Voltaire, es sterbe George Shakespeare!"

Voltaire kommt in seiner Schrift zunächst wieder auf seine Verdienste um
die Einführung der englischen Literatur und Shakespeares zurück, worauf er zu
den Anfeindungen übergeht, die dieses damals ihm eingetragen. Seine Bemühungen
seien gleichwohl erfolgreich gewesen, nur sei man dabei in Uebertreibung gerathen.
Er wendet sich nun dem Angriffe ans die Shakespearischen Dichtungen zu, indem
er die drei Einheiten wieder ins Feld führt, um sich dann schließlich gegen den
neuesten Uebersetzer zu erheben, den er beschuldigt, die Franzosen und ihr Theater
herabgewürdigt zu haben. Im zweiten Abschnitte geht er zunächst auf einige
der genialen Einzelheiten der Shakespearischen Dramen ein. Er vergleicht sie
mit dene» Lope de Vegas. Er reißt andre Stellen aus dem Zusammenhange
heraus, die er in herabziehender Weise übersetzt und interpretirt. Am Schluß
aber heißt es: „Stellen Sie sich um Ludwig XIH. in seiner Galerie zu Versailles
bor, umgeben von seinem glänzenden Hofe, und einen Gilles, mit Lumpen bedeckt,
der sich durch die Menge der Helden, der großen Männer, der Schönheiten
drängt, die diesen Hof bilden. Er schlägt ihnen vor, Corneille zu verlassen,
Racine und Molivre für einen Marktschreier preiszugeben, der einige glückliche
Einfälle hat. Wie glauben Sie wohl, daß man diesen Vorschlag aufnehmen würde?"

Der Erfolg des Tages, der Beifall der Akademie, die Nachfolge seiner blinden
Verehrer, La Harpe an der Spitze, sie freilich waren gewonnen, allein bei der
Nation im großen und ganzen war das Interesse für den Gegenstand des Streite'
nur noch allgemeiner und tiefer angeregt worden. Man suchte darin zwar zum
Theil, wie Voltaire gewünscht, nach angeblichen Gemeinheiten, wurde aber fast
immer mir von der eigenthümlichen Größe und Schönheit der Dichtungen an¬
gezogen. Die Uebersetzungen Lctonrneurs, so mangelhaft sie immer noch waren,
übten daher eine große Wirkung aus. Sie läßt sich aus dem Eindrucke er¬
messen, welchen ein Dichter wie Svdaine von ihnen empfing, der sie mit Begierde
verschlang. Grimm, welcher Zeuge seiner Aufregung war, sagte: „Ihre Ent¬
zückungen setzen mich nicht in Erstaunen. Es ist die Freude eiues Sohnes, der
einen Vater findet, den er noch niemals gesehen." Letonrncur fuhr daher in
seinen Uebersetzungen und seiner Verherrlichung Shakespeares, Dueis in seinen
^earbcitnngcn shakespearischer Dramen fort. Jener veröffentlichte sein Vis ac
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Disvours lies xr6lÄc;es, dieser trat 1783 mit I>v Roi 1784 mit Niil-theil
und mitten in der Revolution mit Otnsllo hervor.

Voltaire fühlte die Niederlage, welche anfänglich von dem scheinbaren Siege
verhüllt wurde. Von allen Seiten sah er sich in Versen und Prosa verspottet.
^>>es das Ausland blieb in diesem Streite nicht stumm. 1777 erschien der
^isv0ur8 sur LlmKösxsMk se sur Voltnirs von Giuseppe Baretti, kurze Zeit
später die ^xol0<?v of sita^^in^ von Lady Montagne, sowie die OdsvrvMous


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157968/345>, abgerufen am 01.09.2024.