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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Drittes Quartal.

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Shakespeare in Frankreich.

mente gegenüberstellen, heißt Madame Gigvgne an die Seite von Mademoiselle
Clairon setzen." Die Akademie hatte Voltaires Uebersetzung des "Julius Cäsar"
zwar mit Vergnügen gelesen, d'Alembert konnte aber seinerseits kaum glauben,
daß das Original so schlechte Stellen habe, wie es in der Uebersetzung erschiene.
Aber selbst hier lobt Voltaire noch vieles im einzelnen und erklärt alles,
was er daran fehlerhaft, abstoßend, lächerlich findet -- und dies ist freilich das
meiste -- nicht aus einem Mangel an Genie, sondern aus einem Mangel an
Bildung und Geschmack, aus der Rohheit und Unwissenheit des Zeitalters.

Die Uebersetzung hatte aber keineswegs den erwünschten Erfolg. Die Stimme!,
für Shakespeare mehrten sich. 1768 erschien eine Bearbeitung des "Kaufmanns
von Venedig" von einem Unbekannten, und 1769 eröffnete Ducis die Reihe
seiner Bearbeitungen shakespearischer Dramen mit seinem "Hamlet". So wenig
dieser Dichter auch in den Geist des großen Briten gedrungen war, und zu
welchen Abstraktionen dessen reiche und lebensvolle Schöpfungen auch unter
seinen Händen, im Zwange des Alexandriners und der akademischen Einheiten
wurden: immer trugen sie bei dem ungeheuren Erfolge, den sie selbst noch in
dieser Gestalt ans der Bühne ausübten, und durch den Enthusiasmus, mit welchem
Ducis in den Vorreden zu seinen Bearbeitungen für Shakespeare eintrat, außer-
ordentlich zur Verbreitung der Kenntniß des letztern bei. Auch Arnaud de
Bacular war in den drei viseonrs, die er seiner Tragödie I^o oomw as <üo-
iriinMs (1769) vorausschickte, voll Bewunderung für den britischen Dichter, der
Aeschylos näher als irgend ein andrer Tragiker gekommen sei. 1772 folgte dann
Barthe mit einer Bearbeitung der "Luftiger Weiber von Windsor" in seinen
I'Änssos mliäölitos, 1773 Ducis mit Rowöo et ^ulisttö, sowie Douin mit I/o inoro
sa Vsniss und 1744 Mercier mit I^hö toindsMx et"z Vororuz. Letzterer wirkte in
seinem 1773 erschienenen Uouvsl ssWi sur 1'g.re, arg.irig.t,iMS aber noch besonders
für die Popularisirung des Shakespearischen Namens, in dem er die, auch schon
von La Place bemerkte, Volksthümlichkeit und Kraft der Individualisirung hervor¬
hob, die Shakespeare allein die Unsterblichkeit sichern müßte. "Shakespeare --
heißt es -- erscheint in Frankreich nur lächerlich, weil er vom Neide, der Be¬
schränktheit und dem bösen Willen entstellt wird. Seinen Landsleuten aber ist
er theuer, weil er das Geheimniß entdeckte, ohne Unterschied zu allen Indivi¬
duen zu sprechen, aus denen diese achtunggebietende Nation zusammengesetzt ist.
Die Vertraulichkeit, die man ihm vorwirft, ist eine kostbare Natürlichkeit. Alle
seine Helden sind Menschen, und diese Verbindung des schlichten mit dem Er¬
habenen steigert nur das Interesse. Shakespeare ist für den Engländer ein in
ganz anderen Sinne nationaler Dichter, als es Corneille für uns ist. Jede
Individualität hat ihre besondre Eigenthümlichkeit. Lese Richardson, lest Shake¬
speare und seht, was alles in der Seele nur eines einzigen Menschen vorgeht
und ob es deren zwei giebt, die genau dasselbe Gesicht und dieselbe Haltung
haben."


Shakespeare in Frankreich.

mente gegenüberstellen, heißt Madame Gigvgne an die Seite von Mademoiselle
Clairon setzen." Die Akademie hatte Voltaires Uebersetzung des „Julius Cäsar"
zwar mit Vergnügen gelesen, d'Alembert konnte aber seinerseits kaum glauben,
daß das Original so schlechte Stellen habe, wie es in der Uebersetzung erschiene.
Aber selbst hier lobt Voltaire noch vieles im einzelnen und erklärt alles,
was er daran fehlerhaft, abstoßend, lächerlich findet — und dies ist freilich das
meiste — nicht aus einem Mangel an Genie, sondern aus einem Mangel an
Bildung und Geschmack, aus der Rohheit und Unwissenheit des Zeitalters.

Die Uebersetzung hatte aber keineswegs den erwünschten Erfolg. Die Stimme!,
für Shakespeare mehrten sich. 1768 erschien eine Bearbeitung des „Kaufmanns
von Venedig" von einem Unbekannten, und 1769 eröffnete Ducis die Reihe
seiner Bearbeitungen shakespearischer Dramen mit seinem „Hamlet". So wenig
dieser Dichter auch in den Geist des großen Briten gedrungen war, und zu
welchen Abstraktionen dessen reiche und lebensvolle Schöpfungen auch unter
seinen Händen, im Zwange des Alexandriners und der akademischen Einheiten
wurden: immer trugen sie bei dem ungeheuren Erfolge, den sie selbst noch in
dieser Gestalt ans der Bühne ausübten, und durch den Enthusiasmus, mit welchem
Ducis in den Vorreden zu seinen Bearbeitungen für Shakespeare eintrat, außer-
ordentlich zur Verbreitung der Kenntniß des letztern bei. Auch Arnaud de
Bacular war in den drei viseonrs, die er seiner Tragödie I^o oomw as <üo-
iriinMs (1769) vorausschickte, voll Bewunderung für den britischen Dichter, der
Aeschylos näher als irgend ein andrer Tragiker gekommen sei. 1772 folgte dann
Barthe mit einer Bearbeitung der „Luftiger Weiber von Windsor" in seinen
I'Änssos mliäölitos, 1773 Ducis mit Rowöo et ^ulisttö, sowie Douin mit I/o inoro
sa Vsniss und 1744 Mercier mit I^hö toindsMx et«z Vororuz. Letzterer wirkte in
seinem 1773 erschienenen Uouvsl ssWi sur 1'g.re, arg.irig.t,iMS aber noch besonders
für die Popularisirung des Shakespearischen Namens, in dem er die, auch schon
von La Place bemerkte, Volksthümlichkeit und Kraft der Individualisirung hervor¬
hob, die Shakespeare allein die Unsterblichkeit sichern müßte. „Shakespeare —
heißt es — erscheint in Frankreich nur lächerlich, weil er vom Neide, der Be¬
schränktheit und dem bösen Willen entstellt wird. Seinen Landsleuten aber ist
er theuer, weil er das Geheimniß entdeckte, ohne Unterschied zu allen Indivi¬
duen zu sprechen, aus denen diese achtunggebietende Nation zusammengesetzt ist.
Die Vertraulichkeit, die man ihm vorwirft, ist eine kostbare Natürlichkeit. Alle
seine Helden sind Menschen, und diese Verbindung des schlichten mit dem Er¬
habenen steigert nur das Interesse. Shakespeare ist für den Engländer ein in
ganz anderen Sinne nationaler Dichter, als es Corneille für uns ist. Jede
Individualität hat ihre besondre Eigenthümlichkeit. Lese Richardson, lest Shake¬
speare und seht, was alles in der Seele nur eines einzigen Menschen vorgeht
und ob es deren zwei giebt, die genau dasselbe Gesicht und dieselbe Haltung
haben."


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157968/342>, abgerufen am 01.09.2024.