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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Drittes Quartal.

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Shakespeare in Frankreich.

jedes Stück dem Gelächter preisgeben kann. Seine Unkenntniß oder Ent¬
stellung desselben läßt sich genugsam daraus erkennen, daß er behauptet, es sei
weiter nichts als die dialogisirte Erzählung des Saxo Grammaticus. Das
Räthsel, wie gleichwohl ein solches Stück solche Bewunderung erregen könne,
löst er auf folgende Weise: "Die Chaisenträger, Matrosen, Lohnkutscher, Laden¬
jungen, Fleischer und Schreiber lieben, wie man weiß, das Theater aufs leiden¬
schaftlichste. Gebt ihnen Hahnenkämpfe oder Stiergefechte, oder Gladiatoren,
Leichenbegängnisse, Duelle, Galgen, Verzauberungen, Gespenster, und sie laufen
in Menge herbei. Auch giebt es mehr als einen großen Herrn, der ebenso
neugierig ist wie der Pöbel. Die Bürger Londons fanden eben alles, was
ihre Neugierde befriedigen konnte, in den Shakespearischen Tragödien. Die
Hofleute waren gezwungen, dem allgemeinen Strome zu folgen. Wie sollte
man nicht bewundern, was der gesündeste Theil der ganzen Stadt bewunderte?
Gab es doch innerhalb 1ö0 Jahren nichts besseres. Die Bewunderung steigerte
sich, sie wurde Abgötterei. Einige geniale Züge, einige glückliche Verse voll
Kraft und Natur, die man ohne zu wollen im Gedächtniß behielt, forderten
Gnade für alles übrige, so daß nun das Ganze wegen einiger einzelnen Schön¬
heiten Glück machte."

Voltaire-Carrs geht, um die schönsten Scenen des Dichters der Beurtheilung
vorzulegen, auch auf einige Stellen des "Othello" ein. Er stellt seiner Ueber-
setzung derselben die von La Place entgegen, wobei er seinem lange zurückge¬
haltenen Unmuthe gegen diesen endlich auch einmal Luft macht. "Kein einziges
Wort hiervon -- sagt er über die von ihm aufgehobenen Stelle -- ist im Ori¬
ginale enthalten. Die Worte n'oft eg.it xour rooi sind vielmehr der
Aiüre entnommen, weiter aber auch nichts." Voltaire hätte hinzusetzen können:
der Aglrs, in der ich Othello nachgeahmt haben soll und die ihm doch so sehr
überlegen ist -- denn zwischen den Zeilen liest man es doch. Allein er ist
bescheiden und begnügt sich zu sagen: "Der Leser ist jetzt imstande, den Proceß
zwischen der Londoner und der Pariser Tragödie zu entscheiden."

Dies war die Disposition des Geistes, in welcher Voltaire nun auch die
Ausgabe der Werke Corneilles unter dem Schutze der Akademie zum besten
der von ihm adoptirteu Enkelnichte des großen Dichters unternahm. Voltaire
glaubte hier eine treffliche Gelegenheit zu finden, der schlechten Uebersetzung
des La Place die vorzügliche, wenn auch nur eines einzigen Stückes, entgegen und
einem der gepriesensten Meisterwerke Corneilles an die Seite zu setzen. Er wählte
dort den "Julius Cäsar", hier den (Zinns, dazu. In welchem Sinne es aber
geschah, geht aus folgenden, am 5. Juni 1762 an d'Argental gerichteten Worten
hervor: "Sie werden sehen, ob ich Corneille lobe und über Shakespeare werden
Sie lachen müssen. De la Place hat nicht ein einziges Wort von Shakespeare
treu übersetzt." Bezeichnend dafür ist noch eine andre, in einem zwei Tage
später von ihm geschriebenen Briefe enthaltene Stelle: "Shakespeare dem Cor-


Shakespeare in Frankreich.

jedes Stück dem Gelächter preisgeben kann. Seine Unkenntniß oder Ent¬
stellung desselben läßt sich genugsam daraus erkennen, daß er behauptet, es sei
weiter nichts als die dialogisirte Erzählung des Saxo Grammaticus. Das
Räthsel, wie gleichwohl ein solches Stück solche Bewunderung erregen könne,
löst er auf folgende Weise: „Die Chaisenträger, Matrosen, Lohnkutscher, Laden¬
jungen, Fleischer und Schreiber lieben, wie man weiß, das Theater aufs leiden¬
schaftlichste. Gebt ihnen Hahnenkämpfe oder Stiergefechte, oder Gladiatoren,
Leichenbegängnisse, Duelle, Galgen, Verzauberungen, Gespenster, und sie laufen
in Menge herbei. Auch giebt es mehr als einen großen Herrn, der ebenso
neugierig ist wie der Pöbel. Die Bürger Londons fanden eben alles, was
ihre Neugierde befriedigen konnte, in den Shakespearischen Tragödien. Die
Hofleute waren gezwungen, dem allgemeinen Strome zu folgen. Wie sollte
man nicht bewundern, was der gesündeste Theil der ganzen Stadt bewunderte?
Gab es doch innerhalb 1ö0 Jahren nichts besseres. Die Bewunderung steigerte
sich, sie wurde Abgötterei. Einige geniale Züge, einige glückliche Verse voll
Kraft und Natur, die man ohne zu wollen im Gedächtniß behielt, forderten
Gnade für alles übrige, so daß nun das Ganze wegen einiger einzelnen Schön¬
heiten Glück machte."

Voltaire-Carrs geht, um die schönsten Scenen des Dichters der Beurtheilung
vorzulegen, auch auf einige Stellen des „Othello" ein. Er stellt seiner Ueber-
setzung derselben die von La Place entgegen, wobei er seinem lange zurückge¬
haltenen Unmuthe gegen diesen endlich auch einmal Luft macht. „Kein einziges
Wort hiervon — sagt er über die von ihm aufgehobenen Stelle — ist im Ori¬
ginale enthalten. Die Worte n'oft eg.it xour rooi sind vielmehr der
Aiüre entnommen, weiter aber auch nichts." Voltaire hätte hinzusetzen können:
der Aglrs, in der ich Othello nachgeahmt haben soll und die ihm doch so sehr
überlegen ist — denn zwischen den Zeilen liest man es doch. Allein er ist
bescheiden und begnügt sich zu sagen: „Der Leser ist jetzt imstande, den Proceß
zwischen der Londoner und der Pariser Tragödie zu entscheiden."

Dies war die Disposition des Geistes, in welcher Voltaire nun auch die
Ausgabe der Werke Corneilles unter dem Schutze der Akademie zum besten
der von ihm adoptirteu Enkelnichte des großen Dichters unternahm. Voltaire
glaubte hier eine treffliche Gelegenheit zu finden, der schlechten Uebersetzung
des La Place die vorzügliche, wenn auch nur eines einzigen Stückes, entgegen und
einem der gepriesensten Meisterwerke Corneilles an die Seite zu setzen. Er wählte
dort den „Julius Cäsar", hier den (Zinns, dazu. In welchem Sinne es aber
geschah, geht aus folgenden, am 5. Juni 1762 an d'Argental gerichteten Worten
hervor: „Sie werden sehen, ob ich Corneille lobe und über Shakespeare werden
Sie lachen müssen. De la Place hat nicht ein einziges Wort von Shakespeare
treu übersetzt." Bezeichnend dafür ist noch eine andre, in einem zwei Tage
später von ihm geschriebenen Briefe enthaltene Stelle: „Shakespeare dem Cor-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157968/341>, abgerufen am 25.11.2024.