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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Drittes Quartal.

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Das deutsche Lied seit Robert Schumann.

welche mit der Instrumentalmusik immer etwas höheres vorgehabt hat als eine
Erregung von Beinen und Ohren. Wir können es von Schubert bis auf Bach
verfolgen, daß die deutschen Componisten mit dem Gesaugaccompagnement sich
nicht auf die Angabe von Tact und Harmonien beschränkt haben, sondern auch
eine Reihe von selbständigen Ideen darin gaben.

Der Einfluß der Dichter ist in unsrer Periode des musikalischen Liedes ein
geringer. Einst als Klopstock, auch als die Romantiker auftraten, spürte man
im Kunstliebe bald neue Töne. Heute wo unsre Componisten mitten in einem
dichterischen Ueberflusse sitzen, gehen auch bedeutende neue Dichtergestalten ziemlich
spurlos vorüber. Wo merkt man im Liede etwas von den neuen Ideen, von
der realistischen Geistesrichtung, die von Hamerling, Lingg und Scheffel ausgehen
sollte? Nur in Max Bruch hat sich eine den beiden letztgenannten ziemlich adäquate
Musikernatur gefunden. Die meisten Noten werden nach wie vor auf das alte
Lieblings- und Leibthema von der Liebe geschrieben. Es wird einem zuweilen
zuviel von den blauen Augen, von den prangenden Wangen, von den rosenrothen
Lippen, von dem Sehnen und den Thränen, die der Frau Musica immer wieder
in den Mund gelegt werden, und erstaunt fragt man sich, ob die Natur mit
ihren Millionen Wundern sür diese ewig liebenden Musiker verhängt ist, ob es
nicht Heimat, Vaterland, Heldenthaten und andre Weltbegebenheiten giebt, die
einen Mann auch zum Gesange begeistern können. Aber man thut gut, dies zu
nehmen wie es ist und sich darüber zu freuen, daß wir wenigstens in unsern
Liedern die Daphnes und Phyllis und andre Schäfer- und Götterpuppen los¬
geworden find.

In diesem Ueberwiegen der erotischen Liedertexte dürfen wir das Symptom
einer Schwäche erblicken, die noch aus einer Zeit herrührt, deren geistiges Leben
vorwiegend in literarischen, philosophischen und künstlerischen Tändeleien aufging.
Ihr weichliches Wesen äußert sich nicht bloß in den Texten unsrer Lieder, sondern
auch in der Musik dazu, soweit wir wenigstens die Durchschnittseomponisten in
Betracht ziehen. Ihnen allen ist ein Hang zur Sentimentalität gemeinsam. Ohne
es nöthig zu haben, sprechen sie gern in jenem Patientcnton, der durch Meister
wie Chopin interessant, ja fast classisch geworden ist, und lieben es, auch in den
Jnbelbecher einen Wermuthstropfen fallen zu lassen. Bei vielen beruht das
auf einem rein äußerlichen Ungeschick. Es kommen ihnen die verminderten und
mit Vorhalten gewürzten Septimenaeeorde in die Hand, weil sie nichts andres
als die paar landläufigen Handgriffe gelernt, weil sie weder den Contrapunkt
und damit den selbständigen Stil geübt noch die Meister der Kraft und Kunst
wie Beethoven, Bach und namentlich Händel gründlich studirt haben. Denn
an ein Lied getraut sich eben mancher, der noch gar nicht flügge ist. Aber
etlichen hängt der ganze Sinn etwas ins Weinerliche. Sie können nicht anders,
sie sind nicht gerade die Kinder unsrer Zeit, aber doch die Enkel der vorher¬
gehenden.


Das deutsche Lied seit Robert Schumann.

welche mit der Instrumentalmusik immer etwas höheres vorgehabt hat als eine
Erregung von Beinen und Ohren. Wir können es von Schubert bis auf Bach
verfolgen, daß die deutschen Componisten mit dem Gesaugaccompagnement sich
nicht auf die Angabe von Tact und Harmonien beschränkt haben, sondern auch
eine Reihe von selbständigen Ideen darin gaben.

Der Einfluß der Dichter ist in unsrer Periode des musikalischen Liedes ein
geringer. Einst als Klopstock, auch als die Romantiker auftraten, spürte man
im Kunstliebe bald neue Töne. Heute wo unsre Componisten mitten in einem
dichterischen Ueberflusse sitzen, gehen auch bedeutende neue Dichtergestalten ziemlich
spurlos vorüber. Wo merkt man im Liede etwas von den neuen Ideen, von
der realistischen Geistesrichtung, die von Hamerling, Lingg und Scheffel ausgehen
sollte? Nur in Max Bruch hat sich eine den beiden letztgenannten ziemlich adäquate
Musikernatur gefunden. Die meisten Noten werden nach wie vor auf das alte
Lieblings- und Leibthema von der Liebe geschrieben. Es wird einem zuweilen
zuviel von den blauen Augen, von den prangenden Wangen, von den rosenrothen
Lippen, von dem Sehnen und den Thränen, die der Frau Musica immer wieder
in den Mund gelegt werden, und erstaunt fragt man sich, ob die Natur mit
ihren Millionen Wundern sür diese ewig liebenden Musiker verhängt ist, ob es
nicht Heimat, Vaterland, Heldenthaten und andre Weltbegebenheiten giebt, die
einen Mann auch zum Gesange begeistern können. Aber man thut gut, dies zu
nehmen wie es ist und sich darüber zu freuen, daß wir wenigstens in unsern
Liedern die Daphnes und Phyllis und andre Schäfer- und Götterpuppen los¬
geworden find.

In diesem Ueberwiegen der erotischen Liedertexte dürfen wir das Symptom
einer Schwäche erblicken, die noch aus einer Zeit herrührt, deren geistiges Leben
vorwiegend in literarischen, philosophischen und künstlerischen Tändeleien aufging.
Ihr weichliches Wesen äußert sich nicht bloß in den Texten unsrer Lieder, sondern
auch in der Musik dazu, soweit wir wenigstens die Durchschnittseomponisten in
Betracht ziehen. Ihnen allen ist ein Hang zur Sentimentalität gemeinsam. Ohne
es nöthig zu haben, sprechen sie gern in jenem Patientcnton, der durch Meister
wie Chopin interessant, ja fast classisch geworden ist, und lieben es, auch in den
Jnbelbecher einen Wermuthstropfen fallen zu lassen. Bei vielen beruht das
auf einem rein äußerlichen Ungeschick. Es kommen ihnen die verminderten und
mit Vorhalten gewürzten Septimenaeeorde in die Hand, weil sie nichts andres
als die paar landläufigen Handgriffe gelernt, weil sie weder den Contrapunkt
und damit den selbständigen Stil geübt noch die Meister der Kraft und Kunst
wie Beethoven, Bach und namentlich Händel gründlich studirt haben. Denn
an ein Lied getraut sich eben mancher, der noch gar nicht flügge ist. Aber
etlichen hängt der ganze Sinn etwas ins Weinerliche. Sie können nicht anders,
sie sind nicht gerade die Kinder unsrer Zeit, aber doch die Enkel der vorher¬
gehenden.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157968/34>, abgerufen am 01.09.2024.