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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Drittes Quartal.

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Shakespeare in Frankreich.

bewundern, welche keinen genügenden Eindruck auf den Geist machen," Es hatte
sich also schon zu dieser Zeit in Frankreich ein Urtheil über das englische Drama
gebildet.

Doch war es keineswegs bloß der hier hervorgehobene Gegensatz zwischen
dem Bühneugcschmack beider Länder, welcher das französische Drama, das bis
dahin ganz unter dem Einflüsse des antiken Theaters und dem der Italiener
und Spanier gestanden hatte, der Einwirkung des englischen Dramas verschloß;
ein weiterer Grund dafür war, daß gerade, als das altenglische Drama dnrch
die Revolution seinem Untergange zugeführt wurde, das französische sich plötzlich
zu einem ungeahnten Glänze, zu einer langandauernde" Bedeutung erhob.

Die Behauptung, daß die Verehrung und Bewunderung Shakespeares in
England damals keine Unterbrechung erlitten habe, ist eben so unrichtig, wie die
andre, daß diese Unterbrechung für längere Zeit eine vollständige gewesen sei
und Shakespeare geradezu erst wieder habe entdeckt werden müssen. Gegen die
erste dieser Behauptungen braucht man sich nur darauf zu berufe", daß es mehr
als dreißig Jahre bedürfte, ehe ein Buchhändler wieder eine Speculation aus
einer neuen Ausgabe Shakespeares zu macheu wagte, und daß zwischen dieser,
welche 1664 endlich erschien, und derjenigen Rowes vom Jahre 1709 nur noch
eine einzige, die von 1686, mitten inne liegt. Auch erklärt es sich noch hin¬
reichend theils aus der ablehnenden, feindlichen Haltung, welche die Puritaner
fort und fort gegen das Theater einnahmen, theils aus dem Umstände, daß mit
der Restauration des englischen Königthums der französische Geschmack in Auf¬
nahme kam und dem Theater eine ganz neue Einrichtung gab, in deren Nahmen
die alten Stücke nicht paßten, die daher, um zur Aufführung auf demselben ge¬
lange" zu könne", meist überarbeitet wurden. Auch waren es uoch mehr als
die Stücke Shakespeares diejenigen Ben Jonsons und die Beaumont-FletcherS,
welche dieser zweifelhaften Ehre zunächst theilhaftig wurden. Wer diese Stücke
damals nur von der Bühne her kannte, und das waren die "leisten, konnte
mithin nur einen sehr mangelhafte" und dabei falschen Begriff von ihnen und
ihren Dichtern besitzen. Doch anch die, welche sie lasen, waren vor dieser Fälschung
nicht völlig bewahrt, weil die umgearbeiteten Stücke ebenfalls noch durch den
Druck verbreitet wurden. Das geistige Bild, welches damals in England von
Shakespeare bestand, war also "reist el" gefälschtes, weshalb auch der Einfluß,
der damals von ihm auf das französische Drama etwa ausgegangen sei" möchte,
weder ein besonders großer noch el" besonders reiner gewesen sein könnte. Er
würde jetzt aber auch uoch durch die innern politischen Verhältnisse Frankreichs
gehindert worden sein. Denn die kirchliche Reaction, welche hier platzgegriffen
und das Verbot der Schriften Descartes', die Aufhebung des Ediets von Nantes,
die Unterdrückung der Jansenisten zur Folge gehabt, rief auch Maßregeln gegen
das Eindringen der von Holland und England ausgehenden freisinnigen Schriften
hervor, was den geistigen Verkehr beider Länder überhaupt und zwar um so


Shakespeare in Frankreich.

bewundern, welche keinen genügenden Eindruck auf den Geist machen," Es hatte
sich also schon zu dieser Zeit in Frankreich ein Urtheil über das englische Drama
gebildet.

Doch war es keineswegs bloß der hier hervorgehobene Gegensatz zwischen
dem Bühneugcschmack beider Länder, welcher das französische Drama, das bis
dahin ganz unter dem Einflüsse des antiken Theaters und dem der Italiener
und Spanier gestanden hatte, der Einwirkung des englischen Dramas verschloß;
ein weiterer Grund dafür war, daß gerade, als das altenglische Drama dnrch
die Revolution seinem Untergange zugeführt wurde, das französische sich plötzlich
zu einem ungeahnten Glänze, zu einer langandauernde» Bedeutung erhob.

Die Behauptung, daß die Verehrung und Bewunderung Shakespeares in
England damals keine Unterbrechung erlitten habe, ist eben so unrichtig, wie die
andre, daß diese Unterbrechung für längere Zeit eine vollständige gewesen sei
und Shakespeare geradezu erst wieder habe entdeckt werden müssen. Gegen die
erste dieser Behauptungen braucht man sich nur darauf zu berufe», daß es mehr
als dreißig Jahre bedürfte, ehe ein Buchhändler wieder eine Speculation aus
einer neuen Ausgabe Shakespeares zu macheu wagte, und daß zwischen dieser,
welche 1664 endlich erschien, und derjenigen Rowes vom Jahre 1709 nur noch
eine einzige, die von 1686, mitten inne liegt. Auch erklärt es sich noch hin¬
reichend theils aus der ablehnenden, feindlichen Haltung, welche die Puritaner
fort und fort gegen das Theater einnahmen, theils aus dem Umstände, daß mit
der Restauration des englischen Königthums der französische Geschmack in Auf¬
nahme kam und dem Theater eine ganz neue Einrichtung gab, in deren Nahmen
die alten Stücke nicht paßten, die daher, um zur Aufführung auf demselben ge¬
lange» zu könne», meist überarbeitet wurden. Auch waren es uoch mehr als
die Stücke Shakespeares diejenigen Ben Jonsons und die Beaumont-FletcherS,
welche dieser zweifelhaften Ehre zunächst theilhaftig wurden. Wer diese Stücke
damals nur von der Bühne her kannte, und das waren die »leisten, konnte
mithin nur einen sehr mangelhafte» und dabei falschen Begriff von ihnen und
ihren Dichtern besitzen. Doch anch die, welche sie lasen, waren vor dieser Fälschung
nicht völlig bewahrt, weil die umgearbeiteten Stücke ebenfalls noch durch den
Druck verbreitet wurden. Das geistige Bild, welches damals in England von
Shakespeare bestand, war also »reist el» gefälschtes, weshalb auch der Einfluß,
der damals von ihm auf das französische Drama etwa ausgegangen sei» möchte,
weder ein besonders großer noch el» besonders reiner gewesen sein könnte. Er
würde jetzt aber auch uoch durch die innern politischen Verhältnisse Frankreichs
gehindert worden sein. Denn die kirchliche Reaction, welche hier platzgegriffen
und das Verbot der Schriften Descartes', die Aufhebung des Ediets von Nantes,
die Unterdrückung der Jansenisten zur Folge gehabt, rief auch Maßregeln gegen
das Eindringen der von Holland und England ausgehenden freisinnigen Schriften
hervor, was den geistigen Verkehr beider Länder überhaupt und zwar um so


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[0328] Shakespeare in Frankreich. bewundern, welche keinen genügenden Eindruck auf den Geist machen," Es hatte sich also schon zu dieser Zeit in Frankreich ein Urtheil über das englische Drama gebildet. Doch war es keineswegs bloß der hier hervorgehobene Gegensatz zwischen dem Bühneugcschmack beider Länder, welcher das französische Drama, das bis dahin ganz unter dem Einflüsse des antiken Theaters und dem der Italiener und Spanier gestanden hatte, der Einwirkung des englischen Dramas verschloß; ein weiterer Grund dafür war, daß gerade, als das altenglische Drama dnrch die Revolution seinem Untergange zugeführt wurde, das französische sich plötzlich zu einem ungeahnten Glänze, zu einer langandauernde» Bedeutung erhob. Die Behauptung, daß die Verehrung und Bewunderung Shakespeares in England damals keine Unterbrechung erlitten habe, ist eben so unrichtig, wie die andre, daß diese Unterbrechung für längere Zeit eine vollständige gewesen sei und Shakespeare geradezu erst wieder habe entdeckt werden müssen. Gegen die erste dieser Behauptungen braucht man sich nur darauf zu berufe», daß es mehr als dreißig Jahre bedürfte, ehe ein Buchhändler wieder eine Speculation aus einer neuen Ausgabe Shakespeares zu macheu wagte, und daß zwischen dieser, welche 1664 endlich erschien, und derjenigen Rowes vom Jahre 1709 nur noch eine einzige, die von 1686, mitten inne liegt. Auch erklärt es sich noch hin¬ reichend theils aus der ablehnenden, feindlichen Haltung, welche die Puritaner fort und fort gegen das Theater einnahmen, theils aus dem Umstände, daß mit der Restauration des englischen Königthums der französische Geschmack in Auf¬ nahme kam und dem Theater eine ganz neue Einrichtung gab, in deren Nahmen die alten Stücke nicht paßten, die daher, um zur Aufführung auf demselben ge¬ lange» zu könne», meist überarbeitet wurden. Auch waren es uoch mehr als die Stücke Shakespeares diejenigen Ben Jonsons und die Beaumont-FletcherS, welche dieser zweifelhaften Ehre zunächst theilhaftig wurden. Wer diese Stücke damals nur von der Bühne her kannte, und das waren die »leisten, konnte mithin nur einen sehr mangelhafte» und dabei falschen Begriff von ihnen und ihren Dichtern besitzen. Doch anch die, welche sie lasen, waren vor dieser Fälschung nicht völlig bewahrt, weil die umgearbeiteten Stücke ebenfalls noch durch den Druck verbreitet wurden. Das geistige Bild, welches damals in England von Shakespeare bestand, war also »reist el» gefälschtes, weshalb auch der Einfluß, der damals von ihm auf das französische Drama etwa ausgegangen sei» möchte, weder ein besonders großer noch el» besonders reiner gewesen sein könnte. Er würde jetzt aber auch uoch durch die innern politischen Verhältnisse Frankreichs gehindert worden sein. Denn die kirchliche Reaction, welche hier platzgegriffen und das Verbot der Schriften Descartes', die Aufhebung des Ediets von Nantes, die Unterdrückung der Jansenisten zur Folge gehabt, rief auch Maßregeln gegen das Eindringen der von Holland und England ausgehenden freisinnigen Schriften hervor, was den geistigen Verkehr beider Länder überhaupt und zwar um so

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157968/328>, abgerufen am 01.09.2024.