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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Drittes Quartal.

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Shakespeare in Frankreich.

unter Louis Napoleons Herrschaft und Preßregime in Paris lebte. Es war,
wie wenn mein unter der Glocke einer Luftpumpe säße und merkte, daß letztere
geräuschlos einen Bestandtheil der Atmosphäre entfernte .




Shakespeare in Frankreich.
von Robert prölß. 1.

oliörc und sein Studiengenosse Cyrcno de Vergerns sind die ersten
Dramatiker Frankreichs, bei denen man gewisse Anklänge um
Shakespeare erkannt haben will. Dieselben sind aber zu unbe¬
deutend, als daß von ihnen ans eine wirkliche Bekanntschaft mit
dem englischen Dramatiker zu schließen wäre. Dagegen wird man
bei dem Verkehr beider Länder wohl mit einiger Sicherheit voraussetzen dürfen,
daß die Shakespearischen Dichtungen, wie überhaupt das englische Drama, zur
Zeit ihrer Blüthe nicht ganz unbekannt in Frankreich geblieben, daß von deu
verschiednen Allsgaben derselben anch hierher einzelne Exemplare gekommen sein
werden. Eine, wenngleich noch beschränkte Bekanntschaft der Franzosen mit dem
Drama der Engländer geht auch aus einer kleinen Abhandlung über die Tragödie
hervor, welche von Evremond, wie es scheint nicht lauge nach seiner Uebersiedelung
nach England (1661) geschrieben worden. Sie dürfte vielleicht als der erste
Versilch anzusehen sein, die Aufmerksamkeit der Franzosen in größerem Umfange
ans das Drama der Engländer hinzulenken. "Es giebt -- heißt es dort --
vier oder fünf Tragödien, an denen man zwar sehr vieles aussondern müßte,
die aber dann auch sehr schön erscheinen würden. Im übrigen bieten sie freilich
nichts als eine unförmliche, schlecht geordnete Masse dar, eine wüste Anhäufung
von Begebenheiten und nirgends eine Beobachtung der Einheit von Ort und
von Zeit, noch voir Schicklichkeit, da die auf die Grausamkeit der Schauspiele
gierigen Auge" des Volks hier nur Mordthaten und blutende Körper zu sehe"
verlangen. Die Schrecke" derselben, so wie in Frankreich, nur berichten zu lassen,
würde ihnen in den Augen desselben gerade das rauben, was es am tiefsten ergreift.
Sterben ist sür den Engländer etwas zu geringes, so daß man, um ihn zu rühren,
weit düsterer Bilder als des Todes bedarf, woher es denn kommt, daß wir
ihnen mit Recht vorwerfen, von ihrer Bühne zu stark auf die Sinne zu
wirke", wogegen wir uns von ihnen den Vorwurf gefallen lassen müssen, in
das andre Extrem zu verfallen und in unsern Tragödien sanfte Rührungen zu


Shakespeare in Frankreich.

unter Louis Napoleons Herrschaft und Preßregime in Paris lebte. Es war,
wie wenn mein unter der Glocke einer Luftpumpe säße und merkte, daß letztere
geräuschlos einen Bestandtheil der Atmosphäre entfernte .




Shakespeare in Frankreich.
von Robert prölß. 1.

oliörc und sein Studiengenosse Cyrcno de Vergerns sind die ersten
Dramatiker Frankreichs, bei denen man gewisse Anklänge um
Shakespeare erkannt haben will. Dieselben sind aber zu unbe¬
deutend, als daß von ihnen ans eine wirkliche Bekanntschaft mit
dem englischen Dramatiker zu schließen wäre. Dagegen wird man
bei dem Verkehr beider Länder wohl mit einiger Sicherheit voraussetzen dürfen,
daß die Shakespearischen Dichtungen, wie überhaupt das englische Drama, zur
Zeit ihrer Blüthe nicht ganz unbekannt in Frankreich geblieben, daß von deu
verschiednen Allsgaben derselben anch hierher einzelne Exemplare gekommen sein
werden. Eine, wenngleich noch beschränkte Bekanntschaft der Franzosen mit dem
Drama der Engländer geht auch aus einer kleinen Abhandlung über die Tragödie
hervor, welche von Evremond, wie es scheint nicht lauge nach seiner Uebersiedelung
nach England (1661) geschrieben worden. Sie dürfte vielleicht als der erste
Versilch anzusehen sein, die Aufmerksamkeit der Franzosen in größerem Umfange
ans das Drama der Engländer hinzulenken. „Es giebt — heißt es dort —
vier oder fünf Tragödien, an denen man zwar sehr vieles aussondern müßte,
die aber dann auch sehr schön erscheinen würden. Im übrigen bieten sie freilich
nichts als eine unförmliche, schlecht geordnete Masse dar, eine wüste Anhäufung
von Begebenheiten und nirgends eine Beobachtung der Einheit von Ort und
von Zeit, noch voir Schicklichkeit, da die auf die Grausamkeit der Schauspiele
gierigen Auge» des Volks hier nur Mordthaten und blutende Körper zu sehe»
verlangen. Die Schrecke» derselben, so wie in Frankreich, nur berichten zu lassen,
würde ihnen in den Augen desselben gerade das rauben, was es am tiefsten ergreift.
Sterben ist sür den Engländer etwas zu geringes, so daß man, um ihn zu rühren,
weit düsterer Bilder als des Todes bedarf, woher es denn kommt, daß wir
ihnen mit Recht vorwerfen, von ihrer Bühne zu stark auf die Sinne zu
wirke», wogegen wir uns von ihnen den Vorwurf gefallen lassen müssen, in
das andre Extrem zu verfallen und in unsern Tragödien sanfte Rührungen zu


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[0327] Shakespeare in Frankreich. unter Louis Napoleons Herrschaft und Preßregime in Paris lebte. Es war, wie wenn mein unter der Glocke einer Luftpumpe säße und merkte, daß letztere geräuschlos einen Bestandtheil der Atmosphäre entfernte . Shakespeare in Frankreich. von Robert prölß. 1. oliörc und sein Studiengenosse Cyrcno de Vergerns sind die ersten Dramatiker Frankreichs, bei denen man gewisse Anklänge um Shakespeare erkannt haben will. Dieselben sind aber zu unbe¬ deutend, als daß von ihnen ans eine wirkliche Bekanntschaft mit dem englischen Dramatiker zu schließen wäre. Dagegen wird man bei dem Verkehr beider Länder wohl mit einiger Sicherheit voraussetzen dürfen, daß die Shakespearischen Dichtungen, wie überhaupt das englische Drama, zur Zeit ihrer Blüthe nicht ganz unbekannt in Frankreich geblieben, daß von deu verschiednen Allsgaben derselben anch hierher einzelne Exemplare gekommen sein werden. Eine, wenngleich noch beschränkte Bekanntschaft der Franzosen mit dem Drama der Engländer geht auch aus einer kleinen Abhandlung über die Tragödie hervor, welche von Evremond, wie es scheint nicht lauge nach seiner Uebersiedelung nach England (1661) geschrieben worden. Sie dürfte vielleicht als der erste Versilch anzusehen sein, die Aufmerksamkeit der Franzosen in größerem Umfange ans das Drama der Engländer hinzulenken. „Es giebt — heißt es dort — vier oder fünf Tragödien, an denen man zwar sehr vieles aussondern müßte, die aber dann auch sehr schön erscheinen würden. Im übrigen bieten sie freilich nichts als eine unförmliche, schlecht geordnete Masse dar, eine wüste Anhäufung von Begebenheiten und nirgends eine Beobachtung der Einheit von Ort und von Zeit, noch voir Schicklichkeit, da die auf die Grausamkeit der Schauspiele gierigen Auge» des Volks hier nur Mordthaten und blutende Körper zu sehe» verlangen. Die Schrecke» derselben, so wie in Frankreich, nur berichten zu lassen, würde ihnen in den Augen desselben gerade das rauben, was es am tiefsten ergreift. Sterben ist sür den Engländer etwas zu geringes, so daß man, um ihn zu rühren, weit düsterer Bilder als des Todes bedarf, woher es denn kommt, daß wir ihnen mit Recht vorwerfen, von ihrer Bühne zu stark auf die Sinne zu wirke», wogegen wir uns von ihnen den Vorwurf gefallen lassen müssen, in das andre Extrem zu verfallen und in unsern Tragödien sanfte Rührungen zu

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157968/327>, abgerufen am 26.11.2024.