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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Drittes Quartal.

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Franz Schuberts Müllerliedtir,

porträtirt. Der Meister, die Tochter, sie geben nur wenig Töne -- aber man
kennt sie nach denselben. Der Wechsel von Aoll und our -- alles ist genial,
und um gar die Poesie des Schlusses: wie dein armen, milden Müllerburschen
die Gedanken zu vergehen scheinen und er noch wie aus dem Schlafe von seiner
"schönen Müllerin" kalte!

In den folgenden fünf Nummern wird es mit der Liebe des Müllers ernst.
Die bekannteste von ihnen ist die "Ungeduld," ein Meisterstück so groß als kurz.
Es enthalt Fieber und Genesung zusammen, Wettergestöber und die breiten Strahlen
der Sonne, Zum Schluß: "Dein ist mein Herz," Der Ausdruck einer innern
Hast, eines vollen Uebermanntseins, welcher diesem Liede eigen ist, begegnet uns
noch, in andern Nummern der Müllerlieder, im "Jäger" und etwas schwächer
in "Eifersucht und Stolz" mit einer dunkle" Färbung; hell und strahlend in
"Mein." Diese nervöse Nüance paßt sehr gut zu dem weichen, leidenden Gemüth.
Ohne solche Allsbrüche einer starken Seelenbewegung wäre die Natur des Müllers
zu mädchenhaft zart; erst dadurch, daß wir ihn auch von dieser Seite kennen
lernen, wird seine sanfte Art so liebenslviirdig. Beiläufig bemerkt, gehören gerade
diese Nummern zu den schwierigsten für den Sänger, namentlich in "Mein"
bringen ihn die überstürzenden Figuren in die Gefahr, aus der Sphäre der
Kunst ganz herauszutreten. Die "Ungeduld" steht zu den übrigen Liedern der
Werblmgszeit in einem bedeutenden Gegensatze; sie bringt das einzige Zeichen,
daß Hoffnung und Muth in der Blase des Burschen lebt. Die ander" erfüllt
ein rührender Ton vo" Resignation und Traurigkeit, der ganz allein auf Rechnung
von Schuberts eigenthümlicher Auffassung der Miillergeschichte zu setze" ist. Den
Compvniste" in"ß die Dichtung gleich beim ersten Lesen vorwiegend wehmüthig
ergriffen haben, und so ist es gekommen, daß er in seiner musikalische" Schilderung
den traurigen Ausgang nie ans dem Auge verlor und auch den Zuhörer immer
daran hat erinnern wollen. Das Mitleid erweckende Element macht sich infolge
dessen auch in demjenigen Stadium der Geschichte geltend, wo Nur den Müller
nur im reinsten Glücke vermuthen dürfen und wo ihn der Dichter auch dieses
ungetrübt genieße" läßt, Schubert hat aber eine kleine melancholische Episode
selbst in "Mein" angebracht, deren Wirkung über das humoristische hinausgreift.
Sie ist bei den Worten "Ach so muß ich ganz allein :e." zu finden. Noch
deutlicher dringt dieser Klang der Melancholie aus der "Pause" hervor, hier
fast zu tief gestimmt für das ganze seelische Organ des einfachen Mannes. Ohne
Zweifel im Verlauf der Arbeit hat Schubert den Müllerlmrschen etwas aus dem
Auge verloren und ist mit der Empfindsamkeit etwas über das Niveau solcher
arbeitsamen und geiillithsgesnndcn Kreise hinausgegangen. Eine auffällige Stelle
hierfür findet sich schon in "Des Müllers Blumen" am Versschluß, Das ist
eine ergreifende, hinreißende Wendung, aber für die Situation zu ernst und zu
hoch. Wir finden in dieser Gegend des Werkes noch mehrere Stellen, an denen
der schlichte Mttllerton nicht getroffen ist; erst am Schlüsse des Cyclus stellt er


Franz Schuberts Müllerliedtir,

porträtirt. Der Meister, die Tochter, sie geben nur wenig Töne — aber man
kennt sie nach denselben. Der Wechsel von Aoll und our — alles ist genial,
und um gar die Poesie des Schlusses: wie dein armen, milden Müllerburschen
die Gedanken zu vergehen scheinen und er noch wie aus dem Schlafe von seiner
„schönen Müllerin" kalte!

In den folgenden fünf Nummern wird es mit der Liebe des Müllers ernst.
Die bekannteste von ihnen ist die „Ungeduld," ein Meisterstück so groß als kurz.
Es enthalt Fieber und Genesung zusammen, Wettergestöber und die breiten Strahlen
der Sonne, Zum Schluß: „Dein ist mein Herz," Der Ausdruck einer innern
Hast, eines vollen Uebermanntseins, welcher diesem Liede eigen ist, begegnet uns
noch, in andern Nummern der Müllerlieder, im „Jäger" und etwas schwächer
in „Eifersucht und Stolz" mit einer dunkle» Färbung; hell und strahlend in
„Mein." Diese nervöse Nüance paßt sehr gut zu dem weichen, leidenden Gemüth.
Ohne solche Allsbrüche einer starken Seelenbewegung wäre die Natur des Müllers
zu mädchenhaft zart; erst dadurch, daß wir ihn auch von dieser Seite kennen
lernen, wird seine sanfte Art so liebenslviirdig. Beiläufig bemerkt, gehören gerade
diese Nummern zu den schwierigsten für den Sänger, namentlich in „Mein"
bringen ihn die überstürzenden Figuren in die Gefahr, aus der Sphäre der
Kunst ganz herauszutreten. Die „Ungeduld" steht zu den übrigen Liedern der
Werblmgszeit in einem bedeutenden Gegensatze; sie bringt das einzige Zeichen,
daß Hoffnung und Muth in der Blase des Burschen lebt. Die ander» erfüllt
ein rührender Ton vo» Resignation und Traurigkeit, der ganz allein auf Rechnung
von Schuberts eigenthümlicher Auffassung der Miillergeschichte zu setze» ist. Den
Compvniste» in»ß die Dichtung gleich beim ersten Lesen vorwiegend wehmüthig
ergriffen haben, und so ist es gekommen, daß er in seiner musikalische» Schilderung
den traurigen Ausgang nie ans dem Auge verlor und auch den Zuhörer immer
daran hat erinnern wollen. Das Mitleid erweckende Element macht sich infolge
dessen auch in demjenigen Stadium der Geschichte geltend, wo Nur den Müller
nur im reinsten Glücke vermuthen dürfen und wo ihn der Dichter auch dieses
ungetrübt genieße» läßt, Schubert hat aber eine kleine melancholische Episode
selbst in „Mein" angebracht, deren Wirkung über das humoristische hinausgreift.
Sie ist bei den Worten „Ach so muß ich ganz allein :e." zu finden. Noch
deutlicher dringt dieser Klang der Melancholie aus der „Pause" hervor, hier
fast zu tief gestimmt für das ganze seelische Organ des einfachen Mannes. Ohne
Zweifel im Verlauf der Arbeit hat Schubert den Müllerlmrschen etwas aus dem
Auge verloren und ist mit der Empfindsamkeit etwas über das Niveau solcher
arbeitsamen und geiillithsgesnndcn Kreise hinausgegangen. Eine auffällige Stelle
hierfür findet sich schon in „Des Müllers Blumen" am Versschluß, Das ist
eine ergreifende, hinreißende Wendung, aber für die Situation zu ernst und zu
hoch. Wir finden in dieser Gegend des Werkes noch mehrere Stellen, an denen
der schlichte Mttllerton nicht getroffen ist; erst am Schlüsse des Cyclus stellt er


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157968/310>, abgerufen am 01.09.2024.