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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Drittes Quartal.

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Fen"z Schuberts Millerlieder,

sich z. B, in den Gesängen des Magdeburger Herbing zeigt, wird Schubert leicht
gekaluit haben, ebensowenig wie man bei ihm bestimmte reformatorische Tendenzen
voraussetzen darf. Schubert ist später -- mit einer Modifikation z. B. in der
"Winterreise" -- oftmals auf dieses Verfahren zurückgekommen, aber ein System
hat er niemals daraus gemacht und ersichtlich leinen Hauptwerth darauf gelegt.
In den Müllerliedern ist es mir die Einleitung und der Schluß, in welchem
Schubert Scene und Localität durch das Clavier ausdrückt. Im Laufe der
kleinen Herzensgeschichte hat er der Wellen und der Mühlenräder vergessen oder
es nicht mehr der Mühe werth gefunden, immer wieder anzudeuten, wo der kleine
Roman spielt. Fester hielt er an den innern Merkmalen, die zur Charakter¬
einheit des Helden der Dichtung gehören, des bescheidnen, stillen, herzig blöden
Müllerburschen. Aus ihm hat er eine ganz bestimmte Figur gemacht, an der
einige sogar die Haarfarbe erkannt haben, denn sie haben ihn blond genannt!
Ob schwarz oder weiß -- lieb haben ihn alle, den armen gute" Junge", der
so viel Kindliches hat, sich über jeden Sonnenstrahl naiv dankbar freut und doch
zur Traurigkeit geboren ist. Es ist wohl möglich, daß Schubert in ihm ein
Stück des eignen Naturells verewigt hat und daß deshalb die Einheit des Cha¬
rakters so wunderbar gelungen ist. Das wird immer ein großer Zug an den
Müllerliedcrn bleiben, und dieser ist es eben, der verloren geht, wenn man nicht
den ganzen Cyclus kennt.

Die zwanzig Lieder, aus welche Schubert die Dichtung Müllers reducirt
hat, zerfallen in vier Abtheilungen. Die Nummern 1 bis 4 enthalten die Ein¬
leitung. Der wandernde Bursch trifft die Mühle und findet Dienst. Schon in
der nächsten Nummer hat ihn die Liebe zur schönen Müllerstochter ganz ein¬
genommen, bei allem was er thut, denkt er an sie, dann fragt er Blumen und
Sterne, ob sie ihn liebt, bringt Morgengruß und Strauß und durchkostet alle
Pein und alle Wonne der unentschiedncn Werbung. Die Nummern 11 bis 13
umfassen die kurze Zeit des Besitzes. Dann tritt der Jäger auf, Eifersucht und
Gram ziehen in das Herz des armen Knappen, und das große ckvoröMönäo be¬
ginnt, welches mit dem Tode unsers Freundes endet. Dasselbe Bächlein, dem
der Müller nach dem Unglückshcmse gefolgt war, singt ihm das Grablied.

Lieder heißen die Compositionen mit Fug und Recht. Mit Ausnahme der
beiden Nummern "Der Neugierige" und "Trockne Blumen," die mehr der Arien¬
form verwandt sind, lassen sich die andern alle auf die einfachste Art des Liedes,
nämlich die strophische Form reduciren. Freilich hat Schubert aus einzelnen
durch Verlängerung des Mittelsatzcs ganze Scenen gemacht wie z.B. im "Feier¬
abend" oder in "Mein." Aber gerade wie er aus solchen dramatischen Excur-
sionen wieder einlenkt in die schlichten Wege des vvlksmüßigen Gesanges, das
zwingt von neuem, sein Glück und sein Genie zu bewundern."

Die Anfangsnummer, das bekannte "Das Wandern ist des Müllers Lust,
hat mit der Geschichte, die in dem Cyclus erzählt wird, nugeuscheinlich noch nichts


Fen»z Schuberts Millerlieder,

sich z. B, in den Gesängen des Magdeburger Herbing zeigt, wird Schubert leicht
gekaluit haben, ebensowenig wie man bei ihm bestimmte reformatorische Tendenzen
voraussetzen darf. Schubert ist später — mit einer Modifikation z. B. in der
„Winterreise" — oftmals auf dieses Verfahren zurückgekommen, aber ein System
hat er niemals daraus gemacht und ersichtlich leinen Hauptwerth darauf gelegt.
In den Müllerliedern ist es mir die Einleitung und der Schluß, in welchem
Schubert Scene und Localität durch das Clavier ausdrückt. Im Laufe der
kleinen Herzensgeschichte hat er der Wellen und der Mühlenräder vergessen oder
es nicht mehr der Mühe werth gefunden, immer wieder anzudeuten, wo der kleine
Roman spielt. Fester hielt er an den innern Merkmalen, die zur Charakter¬
einheit des Helden der Dichtung gehören, des bescheidnen, stillen, herzig blöden
Müllerburschen. Aus ihm hat er eine ganz bestimmte Figur gemacht, an der
einige sogar die Haarfarbe erkannt haben, denn sie haben ihn blond genannt!
Ob schwarz oder weiß — lieb haben ihn alle, den armen gute» Junge», der
so viel Kindliches hat, sich über jeden Sonnenstrahl naiv dankbar freut und doch
zur Traurigkeit geboren ist. Es ist wohl möglich, daß Schubert in ihm ein
Stück des eignen Naturells verewigt hat und daß deshalb die Einheit des Cha¬
rakters so wunderbar gelungen ist. Das wird immer ein großer Zug an den
Müllerliedcrn bleiben, und dieser ist es eben, der verloren geht, wenn man nicht
den ganzen Cyclus kennt.

Die zwanzig Lieder, aus welche Schubert die Dichtung Müllers reducirt
hat, zerfallen in vier Abtheilungen. Die Nummern 1 bis 4 enthalten die Ein¬
leitung. Der wandernde Bursch trifft die Mühle und findet Dienst. Schon in
der nächsten Nummer hat ihn die Liebe zur schönen Müllerstochter ganz ein¬
genommen, bei allem was er thut, denkt er an sie, dann fragt er Blumen und
Sterne, ob sie ihn liebt, bringt Morgengruß und Strauß und durchkostet alle
Pein und alle Wonne der unentschiedncn Werbung. Die Nummern 11 bis 13
umfassen die kurze Zeit des Besitzes. Dann tritt der Jäger auf, Eifersucht und
Gram ziehen in das Herz des armen Knappen, und das große ckvoröMönäo be¬
ginnt, welches mit dem Tode unsers Freundes endet. Dasselbe Bächlein, dem
der Müller nach dem Unglückshcmse gefolgt war, singt ihm das Grablied.

Lieder heißen die Compositionen mit Fug und Recht. Mit Ausnahme der
beiden Nummern „Der Neugierige" und „Trockne Blumen," die mehr der Arien¬
form verwandt sind, lassen sich die andern alle auf die einfachste Art des Liedes,
nämlich die strophische Form reduciren. Freilich hat Schubert aus einzelnen
durch Verlängerung des Mittelsatzcs ganze Scenen gemacht wie z.B. im „Feier¬
abend" oder in „Mein." Aber gerade wie er aus solchen dramatischen Excur-
sionen wieder einlenkt in die schlichten Wege des vvlksmüßigen Gesanges, das
zwingt von neuem, sein Glück und sein Genie zu bewundern."

Die Anfangsnummer, das bekannte „Das Wandern ist des Müllers Lust,
hat mit der Geschichte, die in dem Cyclus erzählt wird, nugeuscheinlich noch nichts


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157968/308>, abgerufen am 01.09.2024.