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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Drittes Quartal.

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Hermann Totzes System der Philosophie.

trefflichen Mann im Ucberbietcn jedes echten Freiheitsbedürfnisses bei der nackten
empirischen Thatsache eines UrWillens anlanden, der so wollte, wie er wollte,
nur weil er wollte, und wohl auch den pythagoreischen Lehrsatz anders ge¬
schaffen haben würde, wenn der ethische Sinn seiner Schöpfung es anders ver¬
langt hätte. Der Empirismus des Naturforschers entzieht hier dem ethischen
Idealisten die rationalen Grundlagen, wie vorher der ethische Jdealglaube die
materiellen Voraussetzungen der Naturwissenschaft vergeistigt und die Weltthat¬
sachen in die göttliche Einheit emporgehoben, im Aether des göttlichen Lichts
und der göttlichen Liebe geheiligt und verklärt hatte".

Der Mund ist verstummt, dem unsre bescheidene Einrede bessere Belehrung
entlocken oder Anlaß geben könnte, in der Darstellung des nun leider nicht mehr
zu erwartenden religivusphilosophischen und ethischen Schlußtheiles Bedenken und
Fragen zu erledigen. Wir können uns dennoch nicht versagen, der letzten An-
deutung solcher Bedenke" noch wenige andre in dem Sinne folgen zu lasse", um
dadurch die Richtungslinie zu bezeichnen, in der nach unsrer Meinung die philo¬
sophische Gedankenarbeit der nächsten Zukunft ergänzend und weiterführend sich
der Lvtzischen Anschauungswelt anzuschließen hätte. Wenn wir am Anfange
über die ältere, geistcskräftige und doch oft gar zu geistcsfreie u"d üppige spe-
culativ" unsers Jahrhunderts einigermaßen streng ins Gericht gegaugen, fo bringt
uns jetzt der Schluß unsrer Betrachtungen die absichtlich dahin aufgesparte Ge¬
legenheit, mit erneutem und verstärktem Glauben zu bekennen, daß doch immer
und immer wieder jene alten, großen Traditionen deutscher Philosophie in ihrer
nachkautischen Entwicklung sich als die Fundgruben darbieten, deren edle Erz-
adern, aus den spröden Felsgesteinen herausgeschlagen und herausgeschmolzen,
den künftigen Geschlechtern die gemünzten Goldschätze einer in sich befriedigten
Erkenntniß versprechen. Vor allem ist es Schellings Name, nicht der des
jugendlichen Naturphilosvphe", noch der des greisen Mystikers und Theosvphen,
sondern der des reifen Mannes der zehner und zwanziger Jahre des Jahrhun¬
derts, dessen Gedächtniß wir hier fruchtbar zu machen wünschte". Sind doch
auch die jüngsten Philosophien, an welchen unsre Zeitgenossen sich berauscht haben,
vermischt zu einem Taumel der Weltverachtung, Schopenhauers und Hart¬
manns Lehren, nur Verunstaltungen des Schellingschcn Denkens jener mittlern
Jahre; sollte das Echte, Glaubeusvvllc, Versöhnende darin weniger zu wirken
berechtigt sein als die Verzerrung? Der währe Kern in dem beliebten modernen
Pessimismus fehlt bei Schelling keineswegs; ihn einseitig und earikirend hervor¬
zuziehen, mag man für verdienstvoll halten, so lange mau noch Auschnuunge"
gegenübersteht, deren lachende optimistische Beleuchtung und Farbengebung die
Schatten vermissen läßt, ohne die keine plastische Wahrheit erreichbar ist. Freilich
gilt dies auch, wie uus dünkt, in einigem Betracht von der Weltansicht Lvtzes.
Ist es denn wahrlich Gott, der ethische, reine Gotteswille, der in allen Punkten
unsers Weltdaseins unmittelbar gcgeuwcirtig wirkt? Der Uebel grauenvolles Heer,


Hermann Totzes System der Philosophie.

trefflichen Mann im Ucberbietcn jedes echten Freiheitsbedürfnisses bei der nackten
empirischen Thatsache eines UrWillens anlanden, der so wollte, wie er wollte,
nur weil er wollte, und wohl auch den pythagoreischen Lehrsatz anders ge¬
schaffen haben würde, wenn der ethische Sinn seiner Schöpfung es anders ver¬
langt hätte. Der Empirismus des Naturforschers entzieht hier dem ethischen
Idealisten die rationalen Grundlagen, wie vorher der ethische Jdealglaube die
materiellen Voraussetzungen der Naturwissenschaft vergeistigt und die Weltthat¬
sachen in die göttliche Einheit emporgehoben, im Aether des göttlichen Lichts
und der göttlichen Liebe geheiligt und verklärt hatte».

Der Mund ist verstummt, dem unsre bescheidene Einrede bessere Belehrung
entlocken oder Anlaß geben könnte, in der Darstellung des nun leider nicht mehr
zu erwartenden religivusphilosophischen und ethischen Schlußtheiles Bedenken und
Fragen zu erledigen. Wir können uns dennoch nicht versagen, der letzten An-
deutung solcher Bedenke» noch wenige andre in dem Sinne folgen zu lasse», um
dadurch die Richtungslinie zu bezeichnen, in der nach unsrer Meinung die philo¬
sophische Gedankenarbeit der nächsten Zukunft ergänzend und weiterführend sich
der Lvtzischen Anschauungswelt anzuschließen hätte. Wenn wir am Anfange
über die ältere, geistcskräftige und doch oft gar zu geistcsfreie u»d üppige spe-
culativ» unsers Jahrhunderts einigermaßen streng ins Gericht gegaugen, fo bringt
uns jetzt der Schluß unsrer Betrachtungen die absichtlich dahin aufgesparte Ge¬
legenheit, mit erneutem und verstärktem Glauben zu bekennen, daß doch immer
und immer wieder jene alten, großen Traditionen deutscher Philosophie in ihrer
nachkautischen Entwicklung sich als die Fundgruben darbieten, deren edle Erz-
adern, aus den spröden Felsgesteinen herausgeschlagen und herausgeschmolzen,
den künftigen Geschlechtern die gemünzten Goldschätze einer in sich befriedigten
Erkenntniß versprechen. Vor allem ist es Schellings Name, nicht der des
jugendlichen Naturphilosvphe», noch der des greisen Mystikers und Theosvphen,
sondern der des reifen Mannes der zehner und zwanziger Jahre des Jahrhun¬
derts, dessen Gedächtniß wir hier fruchtbar zu machen wünschte». Sind doch
auch die jüngsten Philosophien, an welchen unsre Zeitgenossen sich berauscht haben,
vermischt zu einem Taumel der Weltverachtung, Schopenhauers und Hart¬
manns Lehren, nur Verunstaltungen des Schellingschcn Denkens jener mittlern
Jahre; sollte das Echte, Glaubeusvvllc, Versöhnende darin weniger zu wirken
berechtigt sein als die Verzerrung? Der währe Kern in dem beliebten modernen
Pessimismus fehlt bei Schelling keineswegs; ihn einseitig und earikirend hervor¬
zuziehen, mag man für verdienstvoll halten, so lange mau noch Auschnuunge»
gegenübersteht, deren lachende optimistische Beleuchtung und Farbengebung die
Schatten vermissen läßt, ohne die keine plastische Wahrheit erreichbar ist. Freilich
gilt dies auch, wie uus dünkt, in einigem Betracht von der Weltansicht Lvtzes.
Ist es denn wahrlich Gott, der ethische, reine Gotteswille, der in allen Punkten
unsers Weltdaseins unmittelbar gcgeuwcirtig wirkt? Der Uebel grauenvolles Heer,


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[0304] Hermann Totzes System der Philosophie. trefflichen Mann im Ucberbietcn jedes echten Freiheitsbedürfnisses bei der nackten empirischen Thatsache eines UrWillens anlanden, der so wollte, wie er wollte, nur weil er wollte, und wohl auch den pythagoreischen Lehrsatz anders ge¬ schaffen haben würde, wenn der ethische Sinn seiner Schöpfung es anders ver¬ langt hätte. Der Empirismus des Naturforschers entzieht hier dem ethischen Idealisten die rationalen Grundlagen, wie vorher der ethische Jdealglaube die materiellen Voraussetzungen der Naturwissenschaft vergeistigt und die Weltthat¬ sachen in die göttliche Einheit emporgehoben, im Aether des göttlichen Lichts und der göttlichen Liebe geheiligt und verklärt hatte». Der Mund ist verstummt, dem unsre bescheidene Einrede bessere Belehrung entlocken oder Anlaß geben könnte, in der Darstellung des nun leider nicht mehr zu erwartenden religivusphilosophischen und ethischen Schlußtheiles Bedenken und Fragen zu erledigen. Wir können uns dennoch nicht versagen, der letzten An- deutung solcher Bedenke» noch wenige andre in dem Sinne folgen zu lasse», um dadurch die Richtungslinie zu bezeichnen, in der nach unsrer Meinung die philo¬ sophische Gedankenarbeit der nächsten Zukunft ergänzend und weiterführend sich der Lvtzischen Anschauungswelt anzuschließen hätte. Wenn wir am Anfange über die ältere, geistcskräftige und doch oft gar zu geistcsfreie u»d üppige spe- culativ» unsers Jahrhunderts einigermaßen streng ins Gericht gegaugen, fo bringt uns jetzt der Schluß unsrer Betrachtungen die absichtlich dahin aufgesparte Ge¬ legenheit, mit erneutem und verstärktem Glauben zu bekennen, daß doch immer und immer wieder jene alten, großen Traditionen deutscher Philosophie in ihrer nachkautischen Entwicklung sich als die Fundgruben darbieten, deren edle Erz- adern, aus den spröden Felsgesteinen herausgeschlagen und herausgeschmolzen, den künftigen Geschlechtern die gemünzten Goldschätze einer in sich befriedigten Erkenntniß versprechen. Vor allem ist es Schellings Name, nicht der des jugendlichen Naturphilosvphe», noch der des greisen Mystikers und Theosvphen, sondern der des reifen Mannes der zehner und zwanziger Jahre des Jahrhun¬ derts, dessen Gedächtniß wir hier fruchtbar zu machen wünschte». Sind doch auch die jüngsten Philosophien, an welchen unsre Zeitgenossen sich berauscht haben, vermischt zu einem Taumel der Weltverachtung, Schopenhauers und Hart¬ manns Lehren, nur Verunstaltungen des Schellingschcn Denkens jener mittlern Jahre; sollte das Echte, Glaubeusvvllc, Versöhnende darin weniger zu wirken berechtigt sein als die Verzerrung? Der währe Kern in dem beliebten modernen Pessimismus fehlt bei Schelling keineswegs; ihn einseitig und earikirend hervor¬ zuziehen, mag man für verdienstvoll halten, so lange mau noch Auschnuunge» gegenübersteht, deren lachende optimistische Beleuchtung und Farbengebung die Schatten vermissen läßt, ohne die keine plastische Wahrheit erreichbar ist. Freilich gilt dies auch, wie uus dünkt, in einigem Betracht von der Weltansicht Lvtzes. Ist es denn wahrlich Gott, der ethische, reine Gotteswille, der in allen Punkten unsers Weltdaseins unmittelbar gcgeuwcirtig wirkt? Der Uebel grauenvolles Heer,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157968/304>, abgerufen am 01.09.2024.