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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Drittes Quartal.

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Hermann Lotzes System der Philosophie.

Bekenntnisse dieser Art mich in der jüngsten "Metaphysik" und erinnern uns
an die Worte der fast ein Vierteljahrhundert früher geschriebnen "Streit¬
schriften": Nur in dem, was er aus Mangel eines hinlänglich umfassenden
Namens einstweilen den Inhalt der Idee des Guten nennen wolle, liege der
genügende Grund für den Inhalt alles Seins und Geschehens, die Welt der
Werthe sei zugleich der Schlüssel für die Welt der Farmer. Auch dies ge¬
mahnt an Weißes Führerschaft, daß ein ausschließliches Hindrängen auf Handeln
nach außen, auf rastlose Thätigkeit, ihn Verarmung und Entleerung jener Idee
des Guten besorgen ließ. Für ihn "gehörte die ruhige Seligkeit des Schönen,
die Heiligkeit der affect- und thatlosen Stimmung, selbst die innere Consequenz
des Wahren mit dem Frieden seiner harmonischen Uebereinstimmung zu wesent¬
lich mit zu dem Kreise jener seinsollenden Idealwelt, als daß er nicht umgekehrt
die ganze Hast des Handelns nur für das realisirende Mittel jenes höyern
Zweckes hätte ansehen sollen" (Streitschr. S. 54). Es fehlt endlich keineswegs
an einem dritten, ja dem fundamentalen Wcsensclement der Weißischen Lehre,
an dem Festhalten eines völlig irrationalen Freiheitsbegriffs und seiner
Nerfvlgnng bis zu den Wurzeln alles Daseins in der Gottheit. Ja, Lotze geht
hierin noch weiter als Weiße, und hieran knüpft sich uns eine besondre Wahr¬
nehmung, die zu dem alte" Worte, daß Extreme sich berühren und in einander
übergehen, eine neue Illustration bietet. Weißes Philosophie war eine Philo¬
sophie der freien That; sie drang darauf, daß alles Wirkliche, austatt nnter
das Fatum eines unerbittlichen Svseinmüssens gebannt zu sein, ebensowohl hätte
Nichtsein können; daß es wurde, hing an einem völlig freien Aete, der auch hätte
unterlassen werden können; ja Gottes eigne Realität wollte der kühne Denker
durch einen solchen freien Act aus dem Nichts hervorbrechen lassen wie einen
Blitz ans dunkler Nacht. Doch war es ein unerschütterlicher Pfeiler dieses
Gedankeubaues geblieben, daß durch ewige, eherne Gesetze und Bedingungen,
durch ewige Wahrheiten und Seinsformen, wie sie vor allem die reuie Mathe¬
matik in Raum Zahl und Zeit erkennen lehre, die Möglichkeit jener Freiheits-
aete vo" vornherein umgrenzt sei. Darum setzte Weiße über den göttlichen
lebendigen Geist und UrWillen hinaus die ewige Urvcrnunft als Grundvoraus-
schung alles Daseins, selbst des göttlichen, an. Lotzes Interesse an der abso¬
luten Geltung des ethischen Ideals ist so mächtig, daß er sogar diese Ueber-
ordnung starrer rationaler Möglichkcitsgesetze preisgiebt. Sem Gott wir t von
früherem als gänzlich ungebundnes Wollen im Sinne sittlicher Ziele, um
Sinne höchste,. Wohls, ungebunden auch dem gegenüber, was die nachkommende
und nachdenkende Menschenvcrnnnft für "ewige Wahrheit" oder "ewiges Gesetz-
ausgiebt, während es doch eben nur "die ersten Consequenzen" darstellt, welche
"der lebendige thätige Sinn der Welt um deswillen, was er wollte, dem Zu¬
sammenhang aller einzelnen Wirklichkeiten als umfassendes Gebot zu Grunde
^legt hat" (Malays. von 1879, S. 604). Da sehen wir den ethisch begeisterten


Hermann Lotzes System der Philosophie.

Bekenntnisse dieser Art mich in der jüngsten „Metaphysik" und erinnern uns
an die Worte der fast ein Vierteljahrhundert früher geschriebnen „Streit¬
schriften": Nur in dem, was er aus Mangel eines hinlänglich umfassenden
Namens einstweilen den Inhalt der Idee des Guten nennen wolle, liege der
genügende Grund für den Inhalt alles Seins und Geschehens, die Welt der
Werthe sei zugleich der Schlüssel für die Welt der Farmer. Auch dies ge¬
mahnt an Weißes Führerschaft, daß ein ausschließliches Hindrängen auf Handeln
nach außen, auf rastlose Thätigkeit, ihn Verarmung und Entleerung jener Idee
des Guten besorgen ließ. Für ihn „gehörte die ruhige Seligkeit des Schönen,
die Heiligkeit der affect- und thatlosen Stimmung, selbst die innere Consequenz
des Wahren mit dem Frieden seiner harmonischen Uebereinstimmung zu wesent¬
lich mit zu dem Kreise jener seinsollenden Idealwelt, als daß er nicht umgekehrt
die ganze Hast des Handelns nur für das realisirende Mittel jenes höyern
Zweckes hätte ansehen sollen" (Streitschr. S. 54). Es fehlt endlich keineswegs
an einem dritten, ja dem fundamentalen Wcsensclement der Weißischen Lehre,
an dem Festhalten eines völlig irrationalen Freiheitsbegriffs und seiner
Nerfvlgnng bis zu den Wurzeln alles Daseins in der Gottheit. Ja, Lotze geht
hierin noch weiter als Weiße, und hieran knüpft sich uns eine besondre Wahr¬
nehmung, die zu dem alte» Worte, daß Extreme sich berühren und in einander
übergehen, eine neue Illustration bietet. Weißes Philosophie war eine Philo¬
sophie der freien That; sie drang darauf, daß alles Wirkliche, austatt nnter
das Fatum eines unerbittlichen Svseinmüssens gebannt zu sein, ebensowohl hätte
Nichtsein können; daß es wurde, hing an einem völlig freien Aete, der auch hätte
unterlassen werden können; ja Gottes eigne Realität wollte der kühne Denker
durch einen solchen freien Act aus dem Nichts hervorbrechen lassen wie einen
Blitz ans dunkler Nacht. Doch war es ein unerschütterlicher Pfeiler dieses
Gedankeubaues geblieben, daß durch ewige, eherne Gesetze und Bedingungen,
durch ewige Wahrheiten und Seinsformen, wie sie vor allem die reuie Mathe¬
matik in Raum Zahl und Zeit erkennen lehre, die Möglichkeit jener Freiheits-
aete vo« vornherein umgrenzt sei. Darum setzte Weiße über den göttlichen
lebendigen Geist und UrWillen hinaus die ewige Urvcrnunft als Grundvoraus-
schung alles Daseins, selbst des göttlichen, an. Lotzes Interesse an der abso¬
luten Geltung des ethischen Ideals ist so mächtig, daß er sogar diese Ueber-
ordnung starrer rationaler Möglichkcitsgesetze preisgiebt. Sem Gott wir t von
früherem als gänzlich ungebundnes Wollen im Sinne sittlicher Ziele, um
Sinne höchste,. Wohls, ungebunden auch dem gegenüber, was die nachkommende
und nachdenkende Menschenvcrnnnft für „ewige Wahrheit" oder „ewiges Gesetz-
ausgiebt, während es doch eben nur „die ersten Consequenzen" darstellt, welche
"der lebendige thätige Sinn der Welt um deswillen, was er wollte, dem Zu¬
sammenhang aller einzelnen Wirklichkeiten als umfassendes Gebot zu Grunde
^legt hat" (Malays. von 1879, S. 604). Da sehen wir den ethisch begeisterten


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157968/303>, abgerufen am 01.09.2024.