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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Drittes Quartal.

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ziehungspuukte nur innere Zustände haben, durch welche sie sich selbst wohl
als wirkend oder als Wirkungen der Mitgeschöpfe erleidend vorkommen mögen,
ohne doch hiermit im Rechte zu sein. Nur tritt bei Lotze noch ein gewisser
Oceasionalismus in der Einzeldurchführung der Ansicht hinzu, indem er die an
einem Punkte der Welt bethätigte göttliche Einwirkung durch ihre inhaltlichen
Konsequenzen gleichsam einen "sympathetischen Rapport" eingehen läßt mit allen
andern Punkten, deren Zustände dann entsprechende Abänderungen, gleichfalls
uuter göttlicher Einwirkung, aufzuweisen haben werden. Noch weit mehr aber
wird uns der pantheistische Charakter von Lotzes Gottes- und Weltanschauung
in die Augen springen, wenn wir uns nach seiner Anleitung die Frage zu be¬
antworten suchen: Was sind nun jene Monaden oder "Beziehungspunkte" eigent¬
lich, in die wir ihn mit der Naturwissenschaft, mit Fechner, Herbart und Leibniz
zunächst die scheinbar compacten, festen Einheiten der weltlichen Dinge und Wesen
auflösen sahen?

Ziehen wir die beiden Ergebnisse seiner Behandlung des Raumproblems
einerseits, des Problems der Wechselwirkung andrerseits, in eins zusammen,
so behalte" wir als Ausdruck für das wahrhaft Seiende den Begriff eines
geistigen, unbedingten Urquells übrig, eines Gottes, der, an sich selbst ohne
Raum, den Schallplatz seiner Thaten -- wenn wir es bildlich noch so nennen
wollen -- in den gleichfalls ortlos zu denkenden, räumlich weder ausgedehnten,
noch räumlich von einander getrennten Wesen hat, welche in endloser Anzahl
das Weltdasein constituiren und sich von einander durch die mannichfaltigsten,
in ihrem Innern ablaufenden, von Gott bewirkten Zustände unterscheiden, durch
dieselben Zustände zugleich mit einander sich in strenger Correspondenz befinden,
ohne doch direkt auf einander einwirken zu können. Wollten wir hiernach diese
Wesen noch Kraftcentra nennen, so wäre dies insoweit allein zu rechtfertigen, als
göttliche Kräfte es sind, die sich im Innern derselben zu Systemen und Reihen zeitlich
abfolgender Wirkungen zusammenfinden. In Wahrheit verliert aber hierbei der
Begriff eines Centrums, eines Ausstrahluugsherdes für Kraftwirkungen, seine
Anwendbarkeit, und es bleibt die Gottheit als das alleinige Krafteeutrum übrig-
Damit dürfte nun wohl auch jeder Begriff eines existirenden Dinges oder Wesens
außer Gott völlig dahinschwinden, und der denkbar dünnste Ausdruck dafür sogar,
der des "Beziehungspunktes," wird zu einer vorläufigen Concession an die ge¬
wöhnliche Anschauung. Keinesfalls giebt es Beziehungen zwischen den Wesen,
in welchen diese gegenseitig zu einander in irgend einem realen Sinne "stehen,"
sondern es giebt lediglich Correspondenzen zwischen den Dingen, welche von einem
Betrachter, der die innern Zustände aller sich vergegenwärtigen könnte, entdeckt
werden würden -- Correspondenzen, sachliche Uebereinstimmllngen, Folgeverhält-
nisse u. tgi,, welche von Gott in die Monaden hineingeschaffcn sind und immer
noch neu -- denn dies ist Lotzes Meinung -- in die Monaden hineingeschaffen
werde". Ist nicht hiernach alles um den Dingen unmittelbare Gottesthat?


ziehungspuukte nur innere Zustände haben, durch welche sie sich selbst wohl
als wirkend oder als Wirkungen der Mitgeschöpfe erleidend vorkommen mögen,
ohne doch hiermit im Rechte zu sein. Nur tritt bei Lotze noch ein gewisser
Oceasionalismus in der Einzeldurchführung der Ansicht hinzu, indem er die an
einem Punkte der Welt bethätigte göttliche Einwirkung durch ihre inhaltlichen
Konsequenzen gleichsam einen „sympathetischen Rapport" eingehen läßt mit allen
andern Punkten, deren Zustände dann entsprechende Abänderungen, gleichfalls
uuter göttlicher Einwirkung, aufzuweisen haben werden. Noch weit mehr aber
wird uns der pantheistische Charakter von Lotzes Gottes- und Weltanschauung
in die Augen springen, wenn wir uns nach seiner Anleitung die Frage zu be¬
antworten suchen: Was sind nun jene Monaden oder „Beziehungspunkte" eigent¬
lich, in die wir ihn mit der Naturwissenschaft, mit Fechner, Herbart und Leibniz
zunächst die scheinbar compacten, festen Einheiten der weltlichen Dinge und Wesen
auflösen sahen?

Ziehen wir die beiden Ergebnisse seiner Behandlung des Raumproblems
einerseits, des Problems der Wechselwirkung andrerseits, in eins zusammen,
so behalte» wir als Ausdruck für das wahrhaft Seiende den Begriff eines
geistigen, unbedingten Urquells übrig, eines Gottes, der, an sich selbst ohne
Raum, den Schallplatz seiner Thaten — wenn wir es bildlich noch so nennen
wollen — in den gleichfalls ortlos zu denkenden, räumlich weder ausgedehnten,
noch räumlich von einander getrennten Wesen hat, welche in endloser Anzahl
das Weltdasein constituiren und sich von einander durch die mannichfaltigsten,
in ihrem Innern ablaufenden, von Gott bewirkten Zustände unterscheiden, durch
dieselben Zustände zugleich mit einander sich in strenger Correspondenz befinden,
ohne doch direkt auf einander einwirken zu können. Wollten wir hiernach diese
Wesen noch Kraftcentra nennen, so wäre dies insoweit allein zu rechtfertigen, als
göttliche Kräfte es sind, die sich im Innern derselben zu Systemen und Reihen zeitlich
abfolgender Wirkungen zusammenfinden. In Wahrheit verliert aber hierbei der
Begriff eines Centrums, eines Ausstrahluugsherdes für Kraftwirkungen, seine
Anwendbarkeit, und es bleibt die Gottheit als das alleinige Krafteeutrum übrig-
Damit dürfte nun wohl auch jeder Begriff eines existirenden Dinges oder Wesens
außer Gott völlig dahinschwinden, und der denkbar dünnste Ausdruck dafür sogar,
der des „Beziehungspunktes," wird zu einer vorläufigen Concession an die ge¬
wöhnliche Anschauung. Keinesfalls giebt es Beziehungen zwischen den Wesen,
in welchen diese gegenseitig zu einander in irgend einem realen Sinne „stehen,"
sondern es giebt lediglich Correspondenzen zwischen den Dingen, welche von einem
Betrachter, der die innern Zustände aller sich vergegenwärtigen könnte, entdeckt
werden würden — Correspondenzen, sachliche Uebereinstimmllngen, Folgeverhält-
nisse u. tgi,, welche von Gott in die Monaden hineingeschaffcn sind und immer
noch neu — denn dies ist Lotzes Meinung — in die Monaden hineingeschaffen
werde». Ist nicht hiernach alles um den Dingen unmittelbare Gottesthat?


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157968/300>, abgerufen am 23.11.2024.