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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Drittes Quartal.

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herum" Lotzes System der Philosophie.

"neu engern Kreis von Gedanken so belehrt und in ihm befestigt worden zu sein,
daß er diesen wieder aufzugeben weder eine Veranlassung außer sich, noch einen
Trieb in sich gefühlt habe." Dagegen brachte ihn die naturwissenschaftliche
Methode, die Leibnizische Mvnadcnlehre und ein unerbittlicher kritischer, beinahe
skeptischer Scharfsinn in große geistige Nähe Herbarts, dessen namhafteste Schüler
ihm in Leipzig auch äußerlich nicht fern bleiben konnten. Die Verwandtschaft
seines Begriffsalphabets mit dem Herbartschcn läßt sich auch in seiner jüngsten
..Metaphysik," die uns hier besonders beschäftigen soll, nicht verkennen, so sehr
er immerhin berechtigt blieb, selbst von, Standpunkte dieser realistischen Seite
seiner Lehre aus gegen die Zuzählung zur Herbartischcn Schule energischen Protest
einzulegen. Er bekannte sich sogar bei aller Hochachtung zu einer "unbesieglichen
Antipathie" gegen Herbart und versuchte, alle Aehnlichkeiten mit Herbarts Grund¬
ansichten in seinen eignen lediglich aus der gemeinsamen physikalischen Basis und
der gemeinsamen Verwandtschaft mit Leibniz abzuleiten. Uns ist es immer er¬
schienen, als sei Lotzes Philosophie der Diagonale in einem Parallelogramm der
Kräfte zu vergleichen, in welchem die beiden stärksten philosophischen Mächte
Leipzigs in seiner geistigen Entwicklungszeit, Weiße und die Schule Herbarts,
sich zu einer mittlern Gesammtwirkung vereinigten. Dies wäre freilich nicht
eingetreten, wenn nicht jene schon so frühzeitig bemerkbare Doppelnatur in Lotzes
eigner Persönlichkeit die geeigneten Angriffspunkte für fo entgegengesetzte Ein¬
wirkungen dargeboten hätte.

In einer jener Schriften Fechners. worin seine ernstesten Herzeusmei-
nungen sich schalkhaft in das Gewand launigen Scherzes kleiden, findet sich das
treffliche Bonmot: es sei eine glückliche Fügung gewesen, daß nach Hegel Herbavt
gekommen, um den Hegelschen Fluß des dialektischen Processes durch die Streu-
sandbüchse seiner Monadenlehre auszutrocknen. Ohne Herbartianer zu sein, hat
Fechner ebenso, wie Lotze trotz ähnlicher Polemik gegen Herbart, sich doch an
dieser verdienstlichen Arbeit erfolgreich unbeteiligt, und erst nachdem ein hin¬
reichend trockner und fester Baugrund von neuem gewonnen war, haben beide
ihre eignen selbständigen Constructionen aufgeführt. Beiden aber ist dennoch
die lebensvolle poetische Anregungskraft jeuer ältern Lehrgebäude tief zu Herzen
gegangen, beide suchen die dort anerkannte ethische, ästhetische und religiöse Be¬
friedigung womöglich in noch höherm Sinne wiederzugewinnen, nachdem sie
zuvor durch solidere empirische und logische Untersuchungen der strengen Wissen¬
schaft die Ehre gegeben. Es ist durchaus zuzugestehen, daß zu letzterm sie vor
"klein ihre naturwissenschaftliche Grundrichtung und die in derselben erworbnen
genauen und ausgebreiteten Kenntnisse, am meiste" aber die bis zur Meister-
""d Führerschaft erste" Ranges angeeigneten naturwissenschaftlichen Untersuchungs-
'nethoden befähigten. Aehnliches gilt ja anch von Herbart. Gegenüber dem
"Irrereden" - wie es einmal jemand genannt hat --, worein die geistvolle
philosophische Production im Drange nach weltumspannender Anschauung schon


herum» Lotzes System der Philosophie.

«neu engern Kreis von Gedanken so belehrt und in ihm befestigt worden zu sein,
daß er diesen wieder aufzugeben weder eine Veranlassung außer sich, noch einen
Trieb in sich gefühlt habe." Dagegen brachte ihn die naturwissenschaftliche
Methode, die Leibnizische Mvnadcnlehre und ein unerbittlicher kritischer, beinahe
skeptischer Scharfsinn in große geistige Nähe Herbarts, dessen namhafteste Schüler
ihm in Leipzig auch äußerlich nicht fern bleiben konnten. Die Verwandtschaft
seines Begriffsalphabets mit dem Herbartschcn läßt sich auch in seiner jüngsten
..Metaphysik," die uns hier besonders beschäftigen soll, nicht verkennen, so sehr
er immerhin berechtigt blieb, selbst von, Standpunkte dieser realistischen Seite
seiner Lehre aus gegen die Zuzählung zur Herbartischcn Schule energischen Protest
einzulegen. Er bekannte sich sogar bei aller Hochachtung zu einer „unbesieglichen
Antipathie" gegen Herbart und versuchte, alle Aehnlichkeiten mit Herbarts Grund¬
ansichten in seinen eignen lediglich aus der gemeinsamen physikalischen Basis und
der gemeinsamen Verwandtschaft mit Leibniz abzuleiten. Uns ist es immer er¬
schienen, als sei Lotzes Philosophie der Diagonale in einem Parallelogramm der
Kräfte zu vergleichen, in welchem die beiden stärksten philosophischen Mächte
Leipzigs in seiner geistigen Entwicklungszeit, Weiße und die Schule Herbarts,
sich zu einer mittlern Gesammtwirkung vereinigten. Dies wäre freilich nicht
eingetreten, wenn nicht jene schon so frühzeitig bemerkbare Doppelnatur in Lotzes
eigner Persönlichkeit die geeigneten Angriffspunkte für fo entgegengesetzte Ein¬
wirkungen dargeboten hätte.

In einer jener Schriften Fechners. worin seine ernstesten Herzeusmei-
nungen sich schalkhaft in das Gewand launigen Scherzes kleiden, findet sich das
treffliche Bonmot: es sei eine glückliche Fügung gewesen, daß nach Hegel Herbavt
gekommen, um den Hegelschen Fluß des dialektischen Processes durch die Streu-
sandbüchse seiner Monadenlehre auszutrocknen. Ohne Herbartianer zu sein, hat
Fechner ebenso, wie Lotze trotz ähnlicher Polemik gegen Herbart, sich doch an
dieser verdienstlichen Arbeit erfolgreich unbeteiligt, und erst nachdem ein hin¬
reichend trockner und fester Baugrund von neuem gewonnen war, haben beide
ihre eignen selbständigen Constructionen aufgeführt. Beiden aber ist dennoch
die lebensvolle poetische Anregungskraft jeuer ältern Lehrgebäude tief zu Herzen
gegangen, beide suchen die dort anerkannte ethische, ästhetische und religiöse Be¬
friedigung womöglich in noch höherm Sinne wiederzugewinnen, nachdem sie
zuvor durch solidere empirische und logische Untersuchungen der strengen Wissen¬
schaft die Ehre gegeben. Es ist durchaus zuzugestehen, daß zu letzterm sie vor
"klein ihre naturwissenschaftliche Grundrichtung und die in derselben erworbnen
genauen und ausgebreiteten Kenntnisse, am meiste» aber die bis zur Meister-
""d Führerschaft erste» Ranges angeeigneten naturwissenschaftlichen Untersuchungs-
'nethoden befähigten. Aehnliches gilt ja anch von Herbart. Gegenüber dem
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157968/293>, abgerufen am 24.11.2024.