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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Drittes Quartal.

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Zur Charakteristik dos Manchesterthums.

Schuft: Der Col'den-Club (Berlin, H. Bahr), die wie eine Festschrift zu jener
Versammlung sich einstellte, aber bei näherer Betrachtung nichts weniger als
eine Lobrede auf die dort vertretenen Grundsätze, vielmehr die denkbar stärkste
und überzeugendste Beurtheilung derselben ist. Offenbar auf ungewöhnlich gründ¬
liche Studien und umfassende Kenntniß des Gegenstandes basirt, ist sie zugleich
in hohem Grade zeitgemäß, und so halten wir es sür dringend geboten, uns
eingehend mit ihr zu beschäftigen. Wir werden unser Referat hie und da mit
Glossen begleiten, die aus bester Quelle stammen, und die wir wie die Broschüre
selbst angelegentlich der Beachtung unsrer Leser empfehlen. Bisweilen werden
wir uns auch einen kleinen Excurs erlauben.

Der Cobden-Club, 1866 gegründet, kann als die Apostelschaft des Evange¬
liums von der freien Concurrenz und des unbeschränkte" Güteraustausches be¬
zeichnet werden, oder als das Synedrium desjenigen Freihändlerthums, dem sein
Gründer und Meister 1835 seine Richtung mit den Worten vorschrieb: "Unser
einziges Ziel sind die Interessen Englands ohne Rücksicht auf die
Bestrebungen andrer Völker," das diesen Egoismus aber unter allerlei
kosmopolitischen Redensarten, Freiheitöphrasen und Sophismen einer Schein¬
wissenschaft verbirgt, welche die Probe vor der Erfahrung nicht besteht, aber,
mit dreister Stirn vorgetragen und jahrelang immer wiederholt, eine Zeit hin¬
durch viele bethörte und auf das wirthschaftliche Leben Deutschlands verhäugniß-
vollen Einfluß gewann, bis der Scharfblick und die starke Hand unsers Reichs¬
kanzlers sie von den hohen Stühlen warf, die sie sich angemaßt hatte.

Von den jetzigen englischen Ministern gehören diesem Verbände von Wirth¬
schaftspolitikern, der im vorigen Jahre 832 Mitglieder zählte, nicht weniger als
zwölf an, unter denen sich Gladstone, Bright und Chamberlain, der Marquis
of Hartingdon, und die Lords Grenville, Northbrvok und Kimberley befinden.
Ebenso finden wir unter ihnen mehrere Unterstaatssecretäre, z. B. den radicalen
Herrn Charles Dilke, und gegen zweihundert Mitglieder des Parlaments. Der
Club zählt endlich auch Nichteugläudcr zu seinen Leuten, von denen 167 auf die
Vereinigten Staaten, 47 auf Frankreich, 11 ans Oesterreich-Ungarn und 14 auf
Deutschland fallen. Diese 14 sind: Schulze-Delitzsch, 1869, Georg v. Bunsen,
Hermann Wille, Generalconsul Deutschlands in London, beide 1870, v. Behr,
Karl Braun, Otto Michaelis, Erwin Nasse, Professur in Bonn, Freiherr
v, Stauffenberg, alle 1871, Delbrück, der Exminister, 1872, Nickert, 1874, Albert
Gröning in Bremen, Botschafter v. Keudell in Rom, beide 1875, Karl Blind in
London, 1876, und Leo v, Romberg, 1877 aufgenommen.

Eigenthümlich oder, wenn man will, verdächtig war es, daß die Blätter,
welche diesen Herren besonders gewogen sind, ihre Aufnahmen verschwiegen, ob¬
wohl die Betreffenden in die Liste des Clubs als "Ehrenmitglieder" eingetragen
worden waren. Unterblieb die Erwähnung dieser Ehrenbezeugung vielleicht des¬
halb, weil sie daraufhin erfolgte, daß die Herren "sich ausgezeichnet durch die


Zur Charakteristik dos Manchesterthums.

Schuft: Der Col'den-Club (Berlin, H. Bahr), die wie eine Festschrift zu jener
Versammlung sich einstellte, aber bei näherer Betrachtung nichts weniger als
eine Lobrede auf die dort vertretenen Grundsätze, vielmehr die denkbar stärkste
und überzeugendste Beurtheilung derselben ist. Offenbar auf ungewöhnlich gründ¬
liche Studien und umfassende Kenntniß des Gegenstandes basirt, ist sie zugleich
in hohem Grade zeitgemäß, und so halten wir es sür dringend geboten, uns
eingehend mit ihr zu beschäftigen. Wir werden unser Referat hie und da mit
Glossen begleiten, die aus bester Quelle stammen, und die wir wie die Broschüre
selbst angelegentlich der Beachtung unsrer Leser empfehlen. Bisweilen werden
wir uns auch einen kleinen Excurs erlauben.

Der Cobden-Club, 1866 gegründet, kann als die Apostelschaft des Evange¬
liums von der freien Concurrenz und des unbeschränkte» Güteraustausches be¬
zeichnet werden, oder als das Synedrium desjenigen Freihändlerthums, dem sein
Gründer und Meister 1835 seine Richtung mit den Worten vorschrieb: „Unser
einziges Ziel sind die Interessen Englands ohne Rücksicht auf die
Bestrebungen andrer Völker," das diesen Egoismus aber unter allerlei
kosmopolitischen Redensarten, Freiheitöphrasen und Sophismen einer Schein¬
wissenschaft verbirgt, welche die Probe vor der Erfahrung nicht besteht, aber,
mit dreister Stirn vorgetragen und jahrelang immer wiederholt, eine Zeit hin¬
durch viele bethörte und auf das wirthschaftliche Leben Deutschlands verhäugniß-
vollen Einfluß gewann, bis der Scharfblick und die starke Hand unsers Reichs¬
kanzlers sie von den hohen Stühlen warf, die sie sich angemaßt hatte.

Von den jetzigen englischen Ministern gehören diesem Verbände von Wirth¬
schaftspolitikern, der im vorigen Jahre 832 Mitglieder zählte, nicht weniger als
zwölf an, unter denen sich Gladstone, Bright und Chamberlain, der Marquis
of Hartingdon, und die Lords Grenville, Northbrvok und Kimberley befinden.
Ebenso finden wir unter ihnen mehrere Unterstaatssecretäre, z. B. den radicalen
Herrn Charles Dilke, und gegen zweihundert Mitglieder des Parlaments. Der
Club zählt endlich auch Nichteugläudcr zu seinen Leuten, von denen 167 auf die
Vereinigten Staaten, 47 auf Frankreich, 11 ans Oesterreich-Ungarn und 14 auf
Deutschland fallen. Diese 14 sind: Schulze-Delitzsch, 1869, Georg v. Bunsen,
Hermann Wille, Generalconsul Deutschlands in London, beide 1870, v. Behr,
Karl Braun, Otto Michaelis, Erwin Nasse, Professur in Bonn, Freiherr
v, Stauffenberg, alle 1871, Delbrück, der Exminister, 1872, Nickert, 1874, Albert
Gröning in Bremen, Botschafter v. Keudell in Rom, beide 1875, Karl Blind in
London, 1876, und Leo v, Romberg, 1877 aufgenommen.

Eigenthümlich oder, wenn man will, verdächtig war es, daß die Blätter,
welche diesen Herren besonders gewogen sind, ihre Aufnahmen verschwiegen, ob¬
wohl die Betreffenden in die Liste des Clubs als „Ehrenmitglieder" eingetragen
worden waren. Unterblieb die Erwähnung dieser Ehrenbezeugung vielleicht des¬
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157968/278>, abgerufen am 26.11.2024.