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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Drittes Quartal.

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Gin preußischer Diplomat.

ablehnen, als es sich zunächst nicht um die Bedrohung deutschen Bundesgebiets
handelte. Die Lombardei und Venetien zu schützen hatte weder Preußen noch
der Bund eine Pflicht oder ein Interesse, weiter aber war für Oesterreich
in diesem Kriege schlechterdings nichts zu verlieren. Nach welcher Seite man
die Sache auch drehen mochte, so hatte Preußen keinerlei Veranlassung, das
Schwert für dasselbe Oesterreich zu ziehen, welches den größten deutschen Staat
noch immer als unbequemen Parvenu betrachtete, welches denselben 40 Jahre
lang in dem Schlepptau seiner Metternichscheu Politik geführt und vor noch
nicht gar langer Zeit auf den Tagen von Warschau und Olmütz gründlich hatte
demüthigen helfen.

Wohl aber drängt sich hier nebenbei die Frage auf: Warum warf Preußen
in dieser Krise uicht die Fessel ab, durch welche es von Oesterreich in die Enge
getrieben wurde, ein Bundesmitglicd entweder zu unterstützen oder im Stich zu
lassen? Hatte das morsche Frankfurter Band im Jahre 1859 noch die Bindc-
Kaft, welche sieben Jahre später fast widerstandslos zerschmolz? Der Mann,
welcher heute an der Spitze der preußisch-deutschen Politik steht, hatte über diese
Frage bereits damals seine eignen Gedanken. Der preußische Gesandte in
Petersburg, Herr v. Bismarck-Schönhausen, seit kurzem erst aus Frankfurt ab¬
berufen, schreibt unter dem 12. Mai 1859 an seinen Vorgesetzten, den Freiherrn
b- Schleinitz. in halb amtlicher, halb freundschaftlich-cordialcr Weise: "Ich sehe
in unserm Bnndesverhältniß ein Gebrechen Preußens, welches wir früher oder
später igiü se ksrro werden heilen müssen." Und an einer andern Stelle des
nämlichen Briefes heißt es: "Ich glaube, wir sollten kein Unglück, sondern
einen Fortschritt zur Besserung der Krisis darin sehen, wenn eine Majorität
in Frankfurt einen Beschluß faßt, in welchem wir eine Ueberschreitung der Com-
petenz, eine willkürliche Aenderung des Bundeszweckes, einen Bruch der Bundes-
berträge finden. Je unzweideutiger diese Verletzung zu Tage tritt,
desto besser. In Oesterreich, Frankreich, Rußland-finden wir die
Bedingungen nicht leicht wieder so günstig, um uus eine Verbesse¬
rung unserer Lage in Deutschland zu gestatten, und unsre Bundes¬
genossen sind auf dem besten Wege, uns vollkommen gerechte" Anlaß dafür zu
bieten, auch ohne daß wir ihrem Uebermuthe nachhelfen u. s. w."

Für die hier angedeutete und ihm sechs Wochen vor der Schlacht von Sol-
ferino sozusagen in den Mund gelegte Politik hatte Herr v. Schleinitz wenn auch
vielleicht die Fähigkeit des Begreifens, so doch nicht diejenige des Entschließens.

Aber diese Erwägung hat, wie gesagt, nur eine nebensächliche Bedeutung,
^eung, Preußen wollte nicht an Oesterreichs Seite kämpfen, weder als europäische
Macht, noch als deutscher Vundesstant.

Wie nun, wenn sich Preußen ans die Seite Frankreichs stellte? Auf den
eyten Blick war hier viel zu gewinnen. Ein in neuerer Zeit bekannt gewordnes
Actenstück enthält das eigenhändige Anerbieten Kaiser Napoleons an den Prinz-


Gin preußischer Diplomat.

ablehnen, als es sich zunächst nicht um die Bedrohung deutschen Bundesgebiets
handelte. Die Lombardei und Venetien zu schützen hatte weder Preußen noch
der Bund eine Pflicht oder ein Interesse, weiter aber war für Oesterreich
in diesem Kriege schlechterdings nichts zu verlieren. Nach welcher Seite man
die Sache auch drehen mochte, so hatte Preußen keinerlei Veranlassung, das
Schwert für dasselbe Oesterreich zu ziehen, welches den größten deutschen Staat
noch immer als unbequemen Parvenu betrachtete, welches denselben 40 Jahre
lang in dem Schlepptau seiner Metternichscheu Politik geführt und vor noch
nicht gar langer Zeit auf den Tagen von Warschau und Olmütz gründlich hatte
demüthigen helfen.

Wohl aber drängt sich hier nebenbei die Frage auf: Warum warf Preußen
in dieser Krise uicht die Fessel ab, durch welche es von Oesterreich in die Enge
getrieben wurde, ein Bundesmitglicd entweder zu unterstützen oder im Stich zu
lassen? Hatte das morsche Frankfurter Band im Jahre 1859 noch die Bindc-
Kaft, welche sieben Jahre später fast widerstandslos zerschmolz? Der Mann,
welcher heute an der Spitze der preußisch-deutschen Politik steht, hatte über diese
Frage bereits damals seine eignen Gedanken. Der preußische Gesandte in
Petersburg, Herr v. Bismarck-Schönhausen, seit kurzem erst aus Frankfurt ab¬
berufen, schreibt unter dem 12. Mai 1859 an seinen Vorgesetzten, den Freiherrn
b- Schleinitz. in halb amtlicher, halb freundschaftlich-cordialcr Weise: „Ich sehe
in unserm Bnndesverhältniß ein Gebrechen Preußens, welches wir früher oder
später igiü se ksrro werden heilen müssen." Und an einer andern Stelle des
nämlichen Briefes heißt es: „Ich glaube, wir sollten kein Unglück, sondern
einen Fortschritt zur Besserung der Krisis darin sehen, wenn eine Majorität
in Frankfurt einen Beschluß faßt, in welchem wir eine Ueberschreitung der Com-
petenz, eine willkürliche Aenderung des Bundeszweckes, einen Bruch der Bundes-
berträge finden. Je unzweideutiger diese Verletzung zu Tage tritt,
desto besser. In Oesterreich, Frankreich, Rußland-finden wir die
Bedingungen nicht leicht wieder so günstig, um uus eine Verbesse¬
rung unserer Lage in Deutschland zu gestatten, und unsre Bundes¬
genossen sind auf dem besten Wege, uns vollkommen gerechte» Anlaß dafür zu
bieten, auch ohne daß wir ihrem Uebermuthe nachhelfen u. s. w."

Für die hier angedeutete und ihm sechs Wochen vor der Schlacht von Sol-
ferino sozusagen in den Mund gelegte Politik hatte Herr v. Schleinitz wenn auch
vielleicht die Fähigkeit des Begreifens, so doch nicht diejenige des Entschließens.

Aber diese Erwägung hat, wie gesagt, nur eine nebensächliche Bedeutung,
^eung, Preußen wollte nicht an Oesterreichs Seite kämpfen, weder als europäische
Macht, noch als deutscher Vundesstant.

Wie nun, wenn sich Preußen ans die Seite Frankreichs stellte? Auf den
eyten Blick war hier viel zu gewinnen. Ein in neuerer Zeit bekannt gewordnes
Actenstück enthält das eigenhändige Anerbieten Kaiser Napoleons an den Prinz-


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[0275] Gin preußischer Diplomat. ablehnen, als es sich zunächst nicht um die Bedrohung deutschen Bundesgebiets handelte. Die Lombardei und Venetien zu schützen hatte weder Preußen noch der Bund eine Pflicht oder ein Interesse, weiter aber war für Oesterreich in diesem Kriege schlechterdings nichts zu verlieren. Nach welcher Seite man die Sache auch drehen mochte, so hatte Preußen keinerlei Veranlassung, das Schwert für dasselbe Oesterreich zu ziehen, welches den größten deutschen Staat noch immer als unbequemen Parvenu betrachtete, welches denselben 40 Jahre lang in dem Schlepptau seiner Metternichscheu Politik geführt und vor noch nicht gar langer Zeit auf den Tagen von Warschau und Olmütz gründlich hatte demüthigen helfen. Wohl aber drängt sich hier nebenbei die Frage auf: Warum warf Preußen in dieser Krise uicht die Fessel ab, durch welche es von Oesterreich in die Enge getrieben wurde, ein Bundesmitglicd entweder zu unterstützen oder im Stich zu lassen? Hatte das morsche Frankfurter Band im Jahre 1859 noch die Bindc- Kaft, welche sieben Jahre später fast widerstandslos zerschmolz? Der Mann, welcher heute an der Spitze der preußisch-deutschen Politik steht, hatte über diese Frage bereits damals seine eignen Gedanken. Der preußische Gesandte in Petersburg, Herr v. Bismarck-Schönhausen, seit kurzem erst aus Frankfurt ab¬ berufen, schreibt unter dem 12. Mai 1859 an seinen Vorgesetzten, den Freiherrn b- Schleinitz. in halb amtlicher, halb freundschaftlich-cordialcr Weise: „Ich sehe in unserm Bnndesverhältniß ein Gebrechen Preußens, welches wir früher oder später igiü se ksrro werden heilen müssen." Und an einer andern Stelle des nämlichen Briefes heißt es: „Ich glaube, wir sollten kein Unglück, sondern einen Fortschritt zur Besserung der Krisis darin sehen, wenn eine Majorität in Frankfurt einen Beschluß faßt, in welchem wir eine Ueberschreitung der Com- petenz, eine willkürliche Aenderung des Bundeszweckes, einen Bruch der Bundes- berträge finden. Je unzweideutiger diese Verletzung zu Tage tritt, desto besser. In Oesterreich, Frankreich, Rußland-finden wir die Bedingungen nicht leicht wieder so günstig, um uus eine Verbesse¬ rung unserer Lage in Deutschland zu gestatten, und unsre Bundes¬ genossen sind auf dem besten Wege, uns vollkommen gerechte» Anlaß dafür zu bieten, auch ohne daß wir ihrem Uebermuthe nachhelfen u. s. w." Für die hier angedeutete und ihm sechs Wochen vor der Schlacht von Sol- ferino sozusagen in den Mund gelegte Politik hatte Herr v. Schleinitz wenn auch vielleicht die Fähigkeit des Begreifens, so doch nicht diejenige des Entschließens. Aber diese Erwägung hat, wie gesagt, nur eine nebensächliche Bedeutung, ^eung, Preußen wollte nicht an Oesterreichs Seite kämpfen, weder als europäische Macht, noch als deutscher Vundesstant. Wie nun, wenn sich Preußen ans die Seite Frankreichs stellte? Auf den eyten Blick war hier viel zu gewinnen. Ein in neuerer Zeit bekannt gewordnes Actenstück enthält das eigenhändige Anerbieten Kaiser Napoleons an den Prinz-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157968/275>, abgerufen am 01.09.2024.