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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Drittes Quartal.

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Die LntsUchung des ottglisch-ftanzösischen l^iudelüvertrages.

Schirme gespielt, in grellem Widersprüche mit den herkömmlichen Vorstellungen,
welche der orthodoxe festländische Liberalismus von der englischen Regierungs-
weise hegt. Dem Unterhause ist auf sein Verlangen ein Document vorgelegt
worden, welches in einer Colonne den Tarif nach dem Vertrage von 1860 und
in einer andern den von den französischen Kammern jetzt vorgeschlagnen Tarif
enthält. Dieses Document ist in französischer Sprache abgefaßt. Lord Sandon,
im Ministerium Beaeonsfield Präsident des Handelsamtes, beabsichtigte eine
Erörterung desselben herbeizuführen und kündigte einen Antrag auf Vorlegung
einer englischen Uebersetzung an. Der jetzige Secretär des Handelsamtes erklärte,
daß er sich dem Antrage widersetzen würde. Lord Sandon interpellirte darauf
den Premierminister, ob er von dieser Ankündigung des Secretärs etwas wisse.
Gladstone antwortete nicht, sondern überließ es Herrn Chamberlain, die Ant¬
wort zu ertheilen, es bestünden Bedenken gegen die Vertheilnng einer französischen
Uebersetzung des Tarifs; er habe an die Handelskammern geschrieben, ob sie
eine solche wünschten, und noch nicht von alleil Antwort erhalten. Es war
daraus abzunehmen, daß, wenn die Handelskammern oder deren Sceretäre genng
Französisch verstünden, um sich über den Tarif, der ungefähr sechshundert Artikel
enthält, klar werden zu können, der Inhalt desselben für die in den betreffenden
Industriezweigen beschäftigten Arbeiter und für die ganze übrige des Franzö¬
sischen nicht kundige Bevölkerung Englands ein verschlossnes Buch bleiben sollte.

Lord Sandon gab sich damit nicht zufrieden. Er brachte die Angelegen¬
heit unter der im Unterhause üblichen Form, oder richtiger gesagt unter dem
Vorwande eines Antrags auf Vertagung am 6. Juli zur Sprache. Er erinnerte
daran, daß das Haus bereits auf einen Antrag von Monk beschlossen habe,
mit keinem Vertrage zufrieden zu sein, der nicht eine weitere Herabsetzung der
französischen Zölle gewähre. Der neue Tarif der Franzosen dagegen erhöhe
die Einfuhrzölle vou deu wichtigsten englischen Fabrikaten, nnter anderen vou
Eisen- und Stahlwacireu, irdenen Geschirren, Porzellan, Leinen- und Baum¬
wollenstoffen "in ungefähr 24 Procent, ungerechnet den Aufschlag, der dadurch
entstehen würde, daß die Zölle künftig nicht mehr lui v-itorvin erhoben werden
sollten. Das englische Volk habe ein großes Interesse, sich über diese Dinge zu
unterrichten, und das Unterhaus sei verpflichtet, sich darüber auszusprechen, ehe
der Vertrag unterzeichnet werde. Zu einer Erörterung im Parlamente sei aller¬
dings sehr wenig Aussicht; denn Gladstone beabsichtige dasselbe sobald als möglich
zu vertagen, und die französische Regierung habe die Frist für die Unterhand-
lungen über die Erneuerung des Vertrages nur um drei Mouate verlängert.
Um so nothwendiger sei die Erörterung der Sache in der Presse.

Jetzt fand sich denn endlich Gladstone veranlaßt, zu antworten. Er ver¬
suchte zunächst den Verdacht lächerlich zu machen, als ob die Regierung mit dein
französischen Handelsverträge geheimthun wolle, verwickelte sich aber dadurch in
einen höchst auffälligen und fatalen Widerspruch mit der Erklärung, die sein


Die LntsUchung des ottglisch-ftanzösischen l^iudelüvertrages.

Schirme gespielt, in grellem Widersprüche mit den herkömmlichen Vorstellungen,
welche der orthodoxe festländische Liberalismus von der englischen Regierungs-
weise hegt. Dem Unterhause ist auf sein Verlangen ein Document vorgelegt
worden, welches in einer Colonne den Tarif nach dem Vertrage von 1860 und
in einer andern den von den französischen Kammern jetzt vorgeschlagnen Tarif
enthält. Dieses Document ist in französischer Sprache abgefaßt. Lord Sandon,
im Ministerium Beaeonsfield Präsident des Handelsamtes, beabsichtigte eine
Erörterung desselben herbeizuführen und kündigte einen Antrag auf Vorlegung
einer englischen Uebersetzung an. Der jetzige Secretär des Handelsamtes erklärte,
daß er sich dem Antrage widersetzen würde. Lord Sandon interpellirte darauf
den Premierminister, ob er von dieser Ankündigung des Secretärs etwas wisse.
Gladstone antwortete nicht, sondern überließ es Herrn Chamberlain, die Ant¬
wort zu ertheilen, es bestünden Bedenken gegen die Vertheilnng einer französischen
Uebersetzung des Tarifs; er habe an die Handelskammern geschrieben, ob sie
eine solche wünschten, und noch nicht von alleil Antwort erhalten. Es war
daraus abzunehmen, daß, wenn die Handelskammern oder deren Sceretäre genng
Französisch verstünden, um sich über den Tarif, der ungefähr sechshundert Artikel
enthält, klar werden zu können, der Inhalt desselben für die in den betreffenden
Industriezweigen beschäftigten Arbeiter und für die ganze übrige des Franzö¬
sischen nicht kundige Bevölkerung Englands ein verschlossnes Buch bleiben sollte.

Lord Sandon gab sich damit nicht zufrieden. Er brachte die Angelegen¬
heit unter der im Unterhause üblichen Form, oder richtiger gesagt unter dem
Vorwande eines Antrags auf Vertagung am 6. Juli zur Sprache. Er erinnerte
daran, daß das Haus bereits auf einen Antrag von Monk beschlossen habe,
mit keinem Vertrage zufrieden zu sein, der nicht eine weitere Herabsetzung der
französischen Zölle gewähre. Der neue Tarif der Franzosen dagegen erhöhe
die Einfuhrzölle vou deu wichtigsten englischen Fabrikaten, nnter anderen vou
Eisen- und Stahlwacireu, irdenen Geschirren, Porzellan, Leinen- und Baum¬
wollenstoffen »in ungefähr 24 Procent, ungerechnet den Aufschlag, der dadurch
entstehen würde, daß die Zölle künftig nicht mehr lui v-itorvin erhoben werden
sollten. Das englische Volk habe ein großes Interesse, sich über diese Dinge zu
unterrichten, und das Unterhaus sei verpflichtet, sich darüber auszusprechen, ehe
der Vertrag unterzeichnet werde. Zu einer Erörterung im Parlamente sei aller¬
dings sehr wenig Aussicht; denn Gladstone beabsichtige dasselbe sobald als möglich
zu vertagen, und die französische Regierung habe die Frist für die Unterhand-
lungen über die Erneuerung des Vertrages nur um drei Mouate verlängert.
Um so nothwendiger sei die Erörterung der Sache in der Presse.

Jetzt fand sich denn endlich Gladstone veranlaßt, zu antworten. Er ver¬
suchte zunächst den Verdacht lächerlich zu machen, als ob die Regierung mit dein
französischen Handelsverträge geheimthun wolle, verwickelte sich aber dadurch in
einen höchst auffälligen und fatalen Widerspruch mit der Erklärung, die sein


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[0270] Die LntsUchung des ottglisch-ftanzösischen l^iudelüvertrages. Schirme gespielt, in grellem Widersprüche mit den herkömmlichen Vorstellungen, welche der orthodoxe festländische Liberalismus von der englischen Regierungs- weise hegt. Dem Unterhause ist auf sein Verlangen ein Document vorgelegt worden, welches in einer Colonne den Tarif nach dem Vertrage von 1860 und in einer andern den von den französischen Kammern jetzt vorgeschlagnen Tarif enthält. Dieses Document ist in französischer Sprache abgefaßt. Lord Sandon, im Ministerium Beaeonsfield Präsident des Handelsamtes, beabsichtigte eine Erörterung desselben herbeizuführen und kündigte einen Antrag auf Vorlegung einer englischen Uebersetzung an. Der jetzige Secretär des Handelsamtes erklärte, daß er sich dem Antrage widersetzen würde. Lord Sandon interpellirte darauf den Premierminister, ob er von dieser Ankündigung des Secretärs etwas wisse. Gladstone antwortete nicht, sondern überließ es Herrn Chamberlain, die Ant¬ wort zu ertheilen, es bestünden Bedenken gegen die Vertheilnng einer französischen Uebersetzung des Tarifs; er habe an die Handelskammern geschrieben, ob sie eine solche wünschten, und noch nicht von alleil Antwort erhalten. Es war daraus abzunehmen, daß, wenn die Handelskammern oder deren Sceretäre genng Französisch verstünden, um sich über den Tarif, der ungefähr sechshundert Artikel enthält, klar werden zu können, der Inhalt desselben für die in den betreffenden Industriezweigen beschäftigten Arbeiter und für die ganze übrige des Franzö¬ sischen nicht kundige Bevölkerung Englands ein verschlossnes Buch bleiben sollte. Lord Sandon gab sich damit nicht zufrieden. Er brachte die Angelegen¬ heit unter der im Unterhause üblichen Form, oder richtiger gesagt unter dem Vorwande eines Antrags auf Vertagung am 6. Juli zur Sprache. Er erinnerte daran, daß das Haus bereits auf einen Antrag von Monk beschlossen habe, mit keinem Vertrage zufrieden zu sein, der nicht eine weitere Herabsetzung der französischen Zölle gewähre. Der neue Tarif der Franzosen dagegen erhöhe die Einfuhrzölle vou deu wichtigsten englischen Fabrikaten, nnter anderen vou Eisen- und Stahlwacireu, irdenen Geschirren, Porzellan, Leinen- und Baum¬ wollenstoffen »in ungefähr 24 Procent, ungerechnet den Aufschlag, der dadurch entstehen würde, daß die Zölle künftig nicht mehr lui v-itorvin erhoben werden sollten. Das englische Volk habe ein großes Interesse, sich über diese Dinge zu unterrichten, und das Unterhaus sei verpflichtet, sich darüber auszusprechen, ehe der Vertrag unterzeichnet werde. Zu einer Erörterung im Parlamente sei aller¬ dings sehr wenig Aussicht; denn Gladstone beabsichtige dasselbe sobald als möglich zu vertagen, und die französische Regierung habe die Frist für die Unterhand- lungen über die Erneuerung des Vertrages nur um drei Mouate verlängert. Um so nothwendiger sei die Erörterung der Sache in der Presse. Jetzt fand sich denn endlich Gladstone veranlaßt, zu antworten. Er ver¬ suchte zunächst den Verdacht lächerlich zu machen, als ob die Regierung mit dein französischen Handelsverträge geheimthun wolle, verwickelte sich aber dadurch in einen höchst auffälligen und fatalen Widerspruch mit der Erklärung, die sein

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157968/270>, abgerufen am 01.09.2024.