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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Drittes Quartal.

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Aus Lhrifticm Gottfried Aörners Rcisewgebnchern.

nicht nur der Leipziger, der lange vor dem Erscheinen des "Faust" (zur Zeit
noch in Goethes Manuscripten liegend) recht Wohl wußte, daß Klein-Paris seine
Leute bilde, sondern auch der echte Sohn der neuen Zeit, welcher an Frauen
hohe Anforderungen stellte, als Student für Corona Schröter geschwärmt hatte
nud jetzt auf dieser Reise das Bild der anmuthigen und gebildeten Demoiselle
Minna Stock im Herzen trug.

Die Reise geht nach Mainz und dann in eigens gemietheten Schiffe rhein-
hinab bis Köln oder Cölln, wie Körner schreibt. Die Ufer zeigten sich von
fröhlicher Weinlese belebt, in den Residenzen am Rhein ward einigemale Halt
gemacht, in Neuwied im großen Etablissement der Herrnhuter ein sächsischer
Landsmann mit dem classischen Namen Müller, ein "ehemaliger Hofmeister des
Grafen Gersdorf" aufgesucht, "der jetzt bei der Schule angestellt ist und zu¬
weilen auch predigt." Dem lebensfroher und hellblickenden Körner behagt das
Treiben der Stillen im Lande offenbar nicht. Von dem katholischen Wesen rings
umher nimmt der Leipziger Snperintendentensohn und gut protestantische Sachse
mit naiver Verwunderung Notiz, schou in Mainz hatten ihn die Karthäuser und
ihre Disciplin sehr interessirt, "bei allem diesem schienen der Vicarius und ein
andrer, mit dem wir sprachen, sehr mit ihrem Schicksal zufrieden." Körner dünkte
dies offenbar schon wegen "des dürren Hemdes, das ungemein rauh ist," einiger¬
maßen räthselhaft. Zwischen Neuwied und Bonn nehmen die Reisenden einen
Kapuziner-Laienbruder ius Schiff, "der das Geschäft hatte, in der umliegenden
Gegend zu betteln, welches er Terminiren nannte." Doch versetzt ihn der Kölner
Dom trotz seines damaligen unfertigen und halbverfallnen Zustandes entschieden
in den ehrlichen Enthusiasmus eines künstlerisch angelegten und gebildeten Mannes.
Der Dom ist "ein merkwürdiges gothisches Gebäude, das aber nicht nach dem
gemachten Entwurf ausgeführt worden ist, nach welchem es eines der schönsten
Gebäude in dieser Art geworden sein würde. Jetzt ist bloß der (Körner schreibt
gut sächsisch "das") Chor und der eine Thurm, deren zwei haben werden solle",
zum Drittel ausgebaut, das Schiff zwischen beiden ist oben mit Holz gedeckt
und uur die äußern Mauern zu einer mittlern Höhe aufgeführt." Körner sah
das alte Köln auf der tiefsten Stufe seines Verfalls und zeichnet verwundert
einige Symptome dieses Verfalls auf. Daß ein Jahrhundert später der Riesen¬
dom sich in der ganzen Macht und Pracht des ersten Planes erheben würde,
hätte im October 1779 der Kühnste und Phantasicvollste nicht zu prophezeien
Wvagt!

Mit einem vollen und ganzen Knnstcindruck, der zugleich Vorbereitung für
die nachfolgende holländische Fahrt war, entließ Deutschland die Reisenden in
Düsseldorf. Die Stadt besaß damals ihre berühmte Gallerie noch; wenige Jahre,
bevor Christian Gottfried Körner Düsseldorf betrat, hatte Wilhelm Heinse seine
Rassischer und tief wirksamen Briefe über die Gallerie in Wielands "Merkur"
(l 77ß) veröffentlicht. Ohne Zweifel hatte Körner die glücklichen Schilderungen


Aus Lhrifticm Gottfried Aörners Rcisewgebnchern.

nicht nur der Leipziger, der lange vor dem Erscheinen des „Faust" (zur Zeit
noch in Goethes Manuscripten liegend) recht Wohl wußte, daß Klein-Paris seine
Leute bilde, sondern auch der echte Sohn der neuen Zeit, welcher an Frauen
hohe Anforderungen stellte, als Student für Corona Schröter geschwärmt hatte
nud jetzt auf dieser Reise das Bild der anmuthigen und gebildeten Demoiselle
Minna Stock im Herzen trug.

Die Reise geht nach Mainz und dann in eigens gemietheten Schiffe rhein-
hinab bis Köln oder Cölln, wie Körner schreibt. Die Ufer zeigten sich von
fröhlicher Weinlese belebt, in den Residenzen am Rhein ward einigemale Halt
gemacht, in Neuwied im großen Etablissement der Herrnhuter ein sächsischer
Landsmann mit dem classischen Namen Müller, ein „ehemaliger Hofmeister des
Grafen Gersdorf" aufgesucht, „der jetzt bei der Schule angestellt ist und zu¬
weilen auch predigt." Dem lebensfroher und hellblickenden Körner behagt das
Treiben der Stillen im Lande offenbar nicht. Von dem katholischen Wesen rings
umher nimmt der Leipziger Snperintendentensohn und gut protestantische Sachse
mit naiver Verwunderung Notiz, schou in Mainz hatten ihn die Karthäuser und
ihre Disciplin sehr interessirt, „bei allem diesem schienen der Vicarius und ein
andrer, mit dem wir sprachen, sehr mit ihrem Schicksal zufrieden." Körner dünkte
dies offenbar schon wegen „des dürren Hemdes, das ungemein rauh ist," einiger¬
maßen räthselhaft. Zwischen Neuwied und Bonn nehmen die Reisenden einen
Kapuziner-Laienbruder ius Schiff, „der das Geschäft hatte, in der umliegenden
Gegend zu betteln, welches er Terminiren nannte." Doch versetzt ihn der Kölner
Dom trotz seines damaligen unfertigen und halbverfallnen Zustandes entschieden
in den ehrlichen Enthusiasmus eines künstlerisch angelegten und gebildeten Mannes.
Der Dom ist „ein merkwürdiges gothisches Gebäude, das aber nicht nach dem
gemachten Entwurf ausgeführt worden ist, nach welchem es eines der schönsten
Gebäude in dieser Art geworden sein würde. Jetzt ist bloß der (Körner schreibt
gut sächsisch „das") Chor und der eine Thurm, deren zwei haben werden solle»,
zum Drittel ausgebaut, das Schiff zwischen beiden ist oben mit Holz gedeckt
und uur die äußern Mauern zu einer mittlern Höhe aufgeführt." Körner sah
das alte Köln auf der tiefsten Stufe seines Verfalls und zeichnet verwundert
einige Symptome dieses Verfalls auf. Daß ein Jahrhundert später der Riesen¬
dom sich in der ganzen Macht und Pracht des ersten Planes erheben würde,
hätte im October 1779 der Kühnste und Phantasicvollste nicht zu prophezeien
Wvagt!

Mit einem vollen und ganzen Knnstcindruck, der zugleich Vorbereitung für
die nachfolgende holländische Fahrt war, entließ Deutschland die Reisenden in
Düsseldorf. Die Stadt besaß damals ihre berühmte Gallerie noch; wenige Jahre,
bevor Christian Gottfried Körner Düsseldorf betrat, hatte Wilhelm Heinse seine
Rassischer und tief wirksamen Briefe über die Gallerie in Wielands „Merkur"
(l 77ß) veröffentlicht. Ohne Zweifel hatte Körner die glücklichen Schilderungen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157968/255>, abgerufen am 01.09.2024.