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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Drittes Quartal.

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Aus Christian Gottfried Körners Rcisewgeviicheni.

Fragment seiner Selbstbiographie. Körner, welcher vor den hessischen Werbern
sicherer war als ein entlaufener Leipziger Student, versagt sich aber eine zweite
charakteristische Bemerkung nicht. "Von Eisenach bis Vach sind sehr schlimme
bergichte Wege, die oft gar nicht zu Passiren sind. Schon längst haben hier,
sowie vor Eisenach und hinter Vach Chausseen angelegt werden sollen, allein
die vielen Durchkreuzungen unter den Ländern der dcisigen kleinen Fürsten haben
es gehindert. Bald hat man sich nicht vereinigen können, durch wessen Land
der Weg gehen sollte, weil jeder sich den Vortheil des Wegegeldes hat vor¬
behalten wollen, bald hat man Verträge gemacht, daß ein Fürst auf fremden
Gebiet die Straßen bauen lassen und dafür das Wegegeld genießen sollte, die
nachher nicht gehalten worden sind, weil vielleicht das baare Geld fehlte und
dergleichen mehr."

Ueber Fulda, damals noch die Residenz eines über vierzig Quadmtmcilcn
"verhungerten Landes" (Goethe-Schillers Tenien) souverän gebietenden Fürst¬
bischofs, über Gelnhausen, "eine unbeträchtliche Reichsstadt, ans die der Graf
von Hanau Ansprüche macht und schon einstweilen Soldaten hineingelegt hat,"
erreichten die Reisenden am 5. October Frankfurt am Main. Das erste, was
Körner bei Goethes Vaterstadt in die Augen fällt, sind die nicht unbeträchtlichen
Festungswerke und die 800 Soldaten und 150 Constabler, welche die Stadt zu
ihrer Vertheidigung hält. Dann bestätigt er vorübergehend die Erzählungen
Goethes über den wunderlichen Hausbau, den der Dichter als Knabe zu durch¬
leben gehabt, indem er aufzeichnet: "Sonst haben viele Häuser noch die alte
Goslarische oder niedersächsische Banart, da die obern Stockwerke über die untern
herausgerückt sind." Die schon damals unbestreitbare Vorzüglichkeit der Gast-
Höfe konnte einem Reisenden nicht entgehen, der von Leipzig bis Frankfurt bereits
in vier Nachtquartieren Erfahrungen hatte sammeln können. Seltsam klingt im
Vergleich zu den Erzählungen Goethes aus seiner Frankfurter Sturm- und
Drangperiode, die nur vier Jahre früher zu Ende gegangen war, was sich der
junge Leipziger Gelehrte über die Frankfurter gesellige" Zustände und die Lands¬
männinnen Lilis berichten läßt. "Die Kaufleute und Gelehrten leben sehr ge¬
sellschaftlich. Dreißig und mehrere Personen errichten ein Collegium, miethen
einen Saal, wo sie täglich von vier Uhr an zusammenkommen, Billard und Karte
spielen und Thee trinken. Dergleichen sind mehrere selbst unter den Kaufmanns-
dienern. Dies macht, daß kein gutes Kaffeehaus bestehen kann, daß das Theater
wenig besucht wird und außer der Messe hier nichts aufkommen kann, daß Concerte
hier selten und nicht sehr besucht sind. Dies muß nothwendig Einfluß auf die
Bildung und Lebensart der Frauenzimmer haben, die dadurch sehr von der Ge¬
sellschaft der Mannspersonen getrennt sind, sowie hieraus wieder merkwürdige
Folgen in Absicht auf den Ton der Gesellschaft, die Feinheit des Betragens,
die Einfachheit der Sitten haben, die ich nur vermuthen, aber wegen der Kürze
meines Aufenthaltes nicht bemerken kann." Aus diesem Tagebuchblatte spricht


Aus Christian Gottfried Körners Rcisewgeviicheni.

Fragment seiner Selbstbiographie. Körner, welcher vor den hessischen Werbern
sicherer war als ein entlaufener Leipziger Student, versagt sich aber eine zweite
charakteristische Bemerkung nicht. „Von Eisenach bis Vach sind sehr schlimme
bergichte Wege, die oft gar nicht zu Passiren sind. Schon längst haben hier,
sowie vor Eisenach und hinter Vach Chausseen angelegt werden sollen, allein
die vielen Durchkreuzungen unter den Ländern der dcisigen kleinen Fürsten haben
es gehindert. Bald hat man sich nicht vereinigen können, durch wessen Land
der Weg gehen sollte, weil jeder sich den Vortheil des Wegegeldes hat vor¬
behalten wollen, bald hat man Verträge gemacht, daß ein Fürst auf fremden
Gebiet die Straßen bauen lassen und dafür das Wegegeld genießen sollte, die
nachher nicht gehalten worden sind, weil vielleicht das baare Geld fehlte und
dergleichen mehr."

Ueber Fulda, damals noch die Residenz eines über vierzig Quadmtmcilcn
„verhungerten Landes" (Goethe-Schillers Tenien) souverän gebietenden Fürst¬
bischofs, über Gelnhausen, „eine unbeträchtliche Reichsstadt, ans die der Graf
von Hanau Ansprüche macht und schon einstweilen Soldaten hineingelegt hat,"
erreichten die Reisenden am 5. October Frankfurt am Main. Das erste, was
Körner bei Goethes Vaterstadt in die Augen fällt, sind die nicht unbeträchtlichen
Festungswerke und die 800 Soldaten und 150 Constabler, welche die Stadt zu
ihrer Vertheidigung hält. Dann bestätigt er vorübergehend die Erzählungen
Goethes über den wunderlichen Hausbau, den der Dichter als Knabe zu durch¬
leben gehabt, indem er aufzeichnet: „Sonst haben viele Häuser noch die alte
Goslarische oder niedersächsische Banart, da die obern Stockwerke über die untern
herausgerückt sind." Die schon damals unbestreitbare Vorzüglichkeit der Gast-
Höfe konnte einem Reisenden nicht entgehen, der von Leipzig bis Frankfurt bereits
in vier Nachtquartieren Erfahrungen hatte sammeln können. Seltsam klingt im
Vergleich zu den Erzählungen Goethes aus seiner Frankfurter Sturm- und
Drangperiode, die nur vier Jahre früher zu Ende gegangen war, was sich der
junge Leipziger Gelehrte über die Frankfurter gesellige» Zustände und die Lands¬
männinnen Lilis berichten läßt. „Die Kaufleute und Gelehrten leben sehr ge¬
sellschaftlich. Dreißig und mehrere Personen errichten ein Collegium, miethen
einen Saal, wo sie täglich von vier Uhr an zusammenkommen, Billard und Karte
spielen und Thee trinken. Dergleichen sind mehrere selbst unter den Kaufmanns-
dienern. Dies macht, daß kein gutes Kaffeehaus bestehen kann, daß das Theater
wenig besucht wird und außer der Messe hier nichts aufkommen kann, daß Concerte
hier selten und nicht sehr besucht sind. Dies muß nothwendig Einfluß auf die
Bildung und Lebensart der Frauenzimmer haben, die dadurch sehr von der Ge¬
sellschaft der Mannspersonen getrennt sind, sowie hieraus wieder merkwürdige
Folgen in Absicht auf den Ton der Gesellschaft, die Feinheit des Betragens,
die Einfachheit der Sitten haben, die ich nur vermuthen, aber wegen der Kürze
meines Aufenthaltes nicht bemerken kann." Aus diesem Tagebuchblatte spricht


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[0254] Aus Christian Gottfried Körners Rcisewgeviicheni. Fragment seiner Selbstbiographie. Körner, welcher vor den hessischen Werbern sicherer war als ein entlaufener Leipziger Student, versagt sich aber eine zweite charakteristische Bemerkung nicht. „Von Eisenach bis Vach sind sehr schlimme bergichte Wege, die oft gar nicht zu Passiren sind. Schon längst haben hier, sowie vor Eisenach und hinter Vach Chausseen angelegt werden sollen, allein die vielen Durchkreuzungen unter den Ländern der dcisigen kleinen Fürsten haben es gehindert. Bald hat man sich nicht vereinigen können, durch wessen Land der Weg gehen sollte, weil jeder sich den Vortheil des Wegegeldes hat vor¬ behalten wollen, bald hat man Verträge gemacht, daß ein Fürst auf fremden Gebiet die Straßen bauen lassen und dafür das Wegegeld genießen sollte, die nachher nicht gehalten worden sind, weil vielleicht das baare Geld fehlte und dergleichen mehr." Ueber Fulda, damals noch die Residenz eines über vierzig Quadmtmcilcn „verhungerten Landes" (Goethe-Schillers Tenien) souverän gebietenden Fürst¬ bischofs, über Gelnhausen, „eine unbeträchtliche Reichsstadt, ans die der Graf von Hanau Ansprüche macht und schon einstweilen Soldaten hineingelegt hat," erreichten die Reisenden am 5. October Frankfurt am Main. Das erste, was Körner bei Goethes Vaterstadt in die Augen fällt, sind die nicht unbeträchtlichen Festungswerke und die 800 Soldaten und 150 Constabler, welche die Stadt zu ihrer Vertheidigung hält. Dann bestätigt er vorübergehend die Erzählungen Goethes über den wunderlichen Hausbau, den der Dichter als Knabe zu durch¬ leben gehabt, indem er aufzeichnet: „Sonst haben viele Häuser noch die alte Goslarische oder niedersächsische Banart, da die obern Stockwerke über die untern herausgerückt sind." Die schon damals unbestreitbare Vorzüglichkeit der Gast- Höfe konnte einem Reisenden nicht entgehen, der von Leipzig bis Frankfurt bereits in vier Nachtquartieren Erfahrungen hatte sammeln können. Seltsam klingt im Vergleich zu den Erzählungen Goethes aus seiner Frankfurter Sturm- und Drangperiode, die nur vier Jahre früher zu Ende gegangen war, was sich der junge Leipziger Gelehrte über die Frankfurter gesellige» Zustände und die Lands¬ männinnen Lilis berichten läßt. „Die Kaufleute und Gelehrten leben sehr ge¬ sellschaftlich. Dreißig und mehrere Personen errichten ein Collegium, miethen einen Saal, wo sie täglich von vier Uhr an zusammenkommen, Billard und Karte spielen und Thee trinken. Dergleichen sind mehrere selbst unter den Kaufmanns- dienern. Dies macht, daß kein gutes Kaffeehaus bestehen kann, daß das Theater wenig besucht wird und außer der Messe hier nichts aufkommen kann, daß Concerte hier selten und nicht sehr besucht sind. Dies muß nothwendig Einfluß auf die Bildung und Lebensart der Frauenzimmer haben, die dadurch sehr von der Ge¬ sellschaft der Mannspersonen getrennt sind, sowie hieraus wieder merkwürdige Folgen in Absicht auf den Ton der Gesellschaft, die Feinheit des Betragens, die Einfachheit der Sitten haben, die ich nur vermuthen, aber wegen der Kürze meines Aufenthaltes nicht bemerken kann." Aus diesem Tagebuchblatte spricht

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157968/254>, abgerufen am 01.09.2024.