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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Drittes Quartal.

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Die Entwicklung der Feudalität und das deutsche Kriegswesen im frühen Mittelalter.

in Anspruch genommen hatte, der stand um jenseits der Kluft, die sich immer
breiter und tiefer zwischen der Vornehmheit der Schildgebornen und der Niedrigkeit
des Landwehrmannes öffnete; je höher sich der Ritter im Steigbügel hob, um
so tiefer sank der alte Stand der freien Wehren.

Die ständische Gliederung des Volkes, wie sie sich durch Entwicklung des
Lchnswesens ausgebildet hatte, fand nun ihren formale" Ausdruck in der Lehre
vom Heerschilde. Unter Heerschild verstand man Heerdicnst; der Ausdruck
muß also sehr alt sein, d. h. ans einer Zeit stammen, wo in den Heere" der
Schild und der Schildträger (8outÄrius) die Brünne und den Gepanzerten (milt"
miliwridus M"U8) noch weit überwog und man daher noch nicht wie später nach
Helmen, Gleven oder großen Rossen, sondern eben nach Schilden zählte. Mau
nahm, deu Ständen entsprechend, eine Stufenfolge der Heerschilde um, und zwar
gewöhnlich sieben, wobei allerdings mehr die besondere rhythmische Heiligkeit der
Sieben als ein rechtlich nothwendiges Prineip zu Grunde liegen mochte, wes¬
halb denn auch der Sachsenspiegel in einiger Verlegenheit ist, wie er den Nahmen
völlig ausfüllen soll.

Die Anschauung, welche der Stufenfolge der Schilde zu Grunde liegt, war
mit dem Aufkommen der Vassallität selbst gegeben; sie hängt nicht eigentlich mit
dem Benefieialwesen, sondern mit der Commentation zusammen. Wer sich einem
andern Manne um Stand, Amt, Besitz gleich fühlte, der commentirte sich ihm
nicht; wer es that, der erkannte damit auch an, daß er einer niedrigeren Stufe
angehöre als der Herr, dessen Vassall er wurde. Zunächst kamen in dieser Be¬
ziehung die drei alten Geburtsstände der Edeln, Freien und Unfreien in Betracht.
Die letzteren freilich stehen zunächst dem ganzen Verhältnisse noch fern, weil es
sich ja um freiwillig einzugehende, freiwillig zu lösende Verhältnisse handelte, der
Unfreie aber zu solchen Verträgen nicht berechtigt war. Die Gemeinfreien nahmen
jedoch da, wo noch ein wirklicher Blutadel bestand, wie namentlich in Sachsen,
keinen Anstand, Mannen eines Edelherrn zu werden. Zu weiterer Gliederung
boten die Geburtsstände keinen Anlaß. Den Grafen ließ aber sein Reichs¬
amt vor andern Edeln hervortreten und konnte diese veranlassen, Mannen von
Grafen zu werden, und als dann das Herzogthum wieder aufkam und der Ein¬
fluß des Königthums in weiten Landgebieten erlosch, da kam die Anschauung
auf, daß Grafen der Herzoge Mannen sein könnten. Damit ergaben sich nnn
bereits vier Stufen unter dem Könige, von denen allerdings in Sachsen seit der
Erhebung des liudolfingischen Herzogshnuses auf deu Königsthron die eine aus¬
fiel^) sodaß hier nur die drei Stufen der Fürsten (Grafen), Edelherrn und Freien
blieben. Bei deu andern Stämmen wahrten die Herzoge, einschließlich des rheinischen
Pfalzgrafen, den Vorrang vor den Grafen; dafür jedoch fiel hier eine andre Stufe



*) Diese Stufe ward auch später, als die Billnnger Herzoge zu Sachsen wurden, nicht
wieder hergestellt, weil die sächsischen Grafen sich gewöhnt hatten, nur den .König selbst als
Senior n"zuerkennen.
Grenzlwten IU. 1881. 30
Die Entwicklung der Feudalität und das deutsche Kriegswesen im frühen Mittelalter.

in Anspruch genommen hatte, der stand um jenseits der Kluft, die sich immer
breiter und tiefer zwischen der Vornehmheit der Schildgebornen und der Niedrigkeit
des Landwehrmannes öffnete; je höher sich der Ritter im Steigbügel hob, um
so tiefer sank der alte Stand der freien Wehren.

Die ständische Gliederung des Volkes, wie sie sich durch Entwicklung des
Lchnswesens ausgebildet hatte, fand nun ihren formale» Ausdruck in der Lehre
vom Heerschilde. Unter Heerschild verstand man Heerdicnst; der Ausdruck
muß also sehr alt sein, d. h. ans einer Zeit stammen, wo in den Heere» der
Schild und der Schildträger (8outÄrius) die Brünne und den Gepanzerten (milt«
miliwridus M«U8) noch weit überwog und man daher noch nicht wie später nach
Helmen, Gleven oder großen Rossen, sondern eben nach Schilden zählte. Mau
nahm, deu Ständen entsprechend, eine Stufenfolge der Heerschilde um, und zwar
gewöhnlich sieben, wobei allerdings mehr die besondere rhythmische Heiligkeit der
Sieben als ein rechtlich nothwendiges Prineip zu Grunde liegen mochte, wes¬
halb denn auch der Sachsenspiegel in einiger Verlegenheit ist, wie er den Nahmen
völlig ausfüllen soll.

Die Anschauung, welche der Stufenfolge der Schilde zu Grunde liegt, war
mit dem Aufkommen der Vassallität selbst gegeben; sie hängt nicht eigentlich mit
dem Benefieialwesen, sondern mit der Commentation zusammen. Wer sich einem
andern Manne um Stand, Amt, Besitz gleich fühlte, der commentirte sich ihm
nicht; wer es that, der erkannte damit auch an, daß er einer niedrigeren Stufe
angehöre als der Herr, dessen Vassall er wurde. Zunächst kamen in dieser Be¬
ziehung die drei alten Geburtsstände der Edeln, Freien und Unfreien in Betracht.
Die letzteren freilich stehen zunächst dem ganzen Verhältnisse noch fern, weil es
sich ja um freiwillig einzugehende, freiwillig zu lösende Verhältnisse handelte, der
Unfreie aber zu solchen Verträgen nicht berechtigt war. Die Gemeinfreien nahmen
jedoch da, wo noch ein wirklicher Blutadel bestand, wie namentlich in Sachsen,
keinen Anstand, Mannen eines Edelherrn zu werden. Zu weiterer Gliederung
boten die Geburtsstände keinen Anlaß. Den Grafen ließ aber sein Reichs¬
amt vor andern Edeln hervortreten und konnte diese veranlassen, Mannen von
Grafen zu werden, und als dann das Herzogthum wieder aufkam und der Ein¬
fluß des Königthums in weiten Landgebieten erlosch, da kam die Anschauung
auf, daß Grafen der Herzoge Mannen sein könnten. Damit ergaben sich nnn
bereits vier Stufen unter dem Könige, von denen allerdings in Sachsen seit der
Erhebung des liudolfingischen Herzogshnuses auf deu Königsthron die eine aus¬
fiel^) sodaß hier nur die drei Stufen der Fürsten (Grafen), Edelherrn und Freien
blieben. Bei deu andern Stämmen wahrten die Herzoge, einschließlich des rheinischen
Pfalzgrafen, den Vorrang vor den Grafen; dafür jedoch fiel hier eine andre Stufe



*) Diese Stufe ward auch später, als die Billnnger Herzoge zu Sachsen wurden, nicht
wieder hergestellt, weil die sächsischen Grafen sich gewöhnt hatten, nur den .König selbst als
Senior n»zuerkennen.
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[0241] Die Entwicklung der Feudalität und das deutsche Kriegswesen im frühen Mittelalter. in Anspruch genommen hatte, der stand um jenseits der Kluft, die sich immer breiter und tiefer zwischen der Vornehmheit der Schildgebornen und der Niedrigkeit des Landwehrmannes öffnete; je höher sich der Ritter im Steigbügel hob, um so tiefer sank der alte Stand der freien Wehren. Die ständische Gliederung des Volkes, wie sie sich durch Entwicklung des Lchnswesens ausgebildet hatte, fand nun ihren formale» Ausdruck in der Lehre vom Heerschilde. Unter Heerschild verstand man Heerdicnst; der Ausdruck muß also sehr alt sein, d. h. ans einer Zeit stammen, wo in den Heere» der Schild und der Schildträger (8outÄrius) die Brünne und den Gepanzerten (milt« miliwridus M«U8) noch weit überwog und man daher noch nicht wie später nach Helmen, Gleven oder großen Rossen, sondern eben nach Schilden zählte. Mau nahm, deu Ständen entsprechend, eine Stufenfolge der Heerschilde um, und zwar gewöhnlich sieben, wobei allerdings mehr die besondere rhythmische Heiligkeit der Sieben als ein rechtlich nothwendiges Prineip zu Grunde liegen mochte, wes¬ halb denn auch der Sachsenspiegel in einiger Verlegenheit ist, wie er den Nahmen völlig ausfüllen soll. Die Anschauung, welche der Stufenfolge der Schilde zu Grunde liegt, war mit dem Aufkommen der Vassallität selbst gegeben; sie hängt nicht eigentlich mit dem Benefieialwesen, sondern mit der Commentation zusammen. Wer sich einem andern Manne um Stand, Amt, Besitz gleich fühlte, der commentirte sich ihm nicht; wer es that, der erkannte damit auch an, daß er einer niedrigeren Stufe angehöre als der Herr, dessen Vassall er wurde. Zunächst kamen in dieser Be¬ ziehung die drei alten Geburtsstände der Edeln, Freien und Unfreien in Betracht. Die letzteren freilich stehen zunächst dem ganzen Verhältnisse noch fern, weil es sich ja um freiwillig einzugehende, freiwillig zu lösende Verhältnisse handelte, der Unfreie aber zu solchen Verträgen nicht berechtigt war. Die Gemeinfreien nahmen jedoch da, wo noch ein wirklicher Blutadel bestand, wie namentlich in Sachsen, keinen Anstand, Mannen eines Edelherrn zu werden. Zu weiterer Gliederung boten die Geburtsstände keinen Anlaß. Den Grafen ließ aber sein Reichs¬ amt vor andern Edeln hervortreten und konnte diese veranlassen, Mannen von Grafen zu werden, und als dann das Herzogthum wieder aufkam und der Ein¬ fluß des Königthums in weiten Landgebieten erlosch, da kam die Anschauung auf, daß Grafen der Herzoge Mannen sein könnten. Damit ergaben sich nnn bereits vier Stufen unter dem Könige, von denen allerdings in Sachsen seit der Erhebung des liudolfingischen Herzogshnuses auf deu Königsthron die eine aus¬ fiel^) sodaß hier nur die drei Stufen der Fürsten (Grafen), Edelherrn und Freien blieben. Bei deu andern Stämmen wahrten die Herzoge, einschließlich des rheinischen Pfalzgrafen, den Vorrang vor den Grafen; dafür jedoch fiel hier eine andre Stufe *) Diese Stufe ward auch später, als die Billnnger Herzoge zu Sachsen wurden, nicht wieder hergestellt, weil die sächsischen Grafen sich gewöhnt hatten, nur den .König selbst als Senior n»zuerkennen. Grenzlwten IU. 1881. 30

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157968/241>, abgerufen am 01.09.2024.