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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Drittes Quartal.

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Hannovers Lüde und Herr Meding.

in ganz Deutschland Stimmen laut, welche zu einer rücksichtslosen Zurückweisung
jeder französischen Einmischung mahnten. Drouyn de l'Huys erwiederte zwar
auf diese militärischen Einwendungen, daß in dem damaligen Augenblicke ein
Corpora! mit der französischen Fahne um Rhein genügen würde, um Frankreich
die Rolle des Schiedsrichters zu sichern. Denn auch nur die Andeutung einer
militärischen Demonstration am Rhein würde Preußen, das mit einer erschütterten
Armee in weit vorgeschobner und trotz des Sieges gefährdeter Position stünde,
in eine äußerst kritische Lage bringen und dazu zwingen, einen erheblichen Theil
seiner Streitkrüfte aus Oesterreich zurückzuziehen. Allein Drouyn de l'Huys -- ich
zeichne dies alles nach den mir später von jenem Staatsmanne selbst gemachten
Mittheilungen auf -- konnte deu Kaiser Napoleon nicht zu dem von ihm als
nothwendig erkannten und dringend befürworteten Entschlüsse bringen. Napoleon
versuchte seinem Charakter entsprechend sich durch möglichst unthätige Zurückhaltung
aus der Verlegenheit zu ziehen. Er scheute einen Kampf mit Deutschland, das
er genauer als irgend jemand in Deutschland kannte, auss äußerste, und wenn
ihm fein Minister vorhersagte, daß er diesem Kampfe, wenn er jetzt unthätig
bliebe, später doch nicht werde ausweichen können und denselben dann unter un¬
günstigern Verhältnissen werde aufnehmen müssen, so glaubte der Kaiser einer
zukünftigen Gefahr durch die Reorganisation seiner Armee, die er dem Mnrschall
Niet übertrug, begegnen zu können."

Der König Georg hatte bisher alle Verhandlungen mit Preußen hart¬
näckig von der Hand gewiesen. Jetzt, als die Friedensverhandlungen in Nitols-
burg begonnen hatten, schickte er seinen Flügeladjutanten v. Heimbruch mit einem
Briefe an den König Wilhelm. "In jenem Briefe, dessen Abschrift ich nicht
mehr besitze, dessen Inhalt mir aber vollkommen erinnerlich ist," erzählt Meding,
"war ausgesprochen, daß der König Georg, nachdem der Wille der Vor¬
sehung den König von Preußen zum Sieger in Deutschland gemacht habe, den¬
selben bitte, ihm die Bedingungen mitzutheilen, unter welchen der Friede ge¬
schlossen und ein den frühern geschichtlichen und verwandtschaftlichen Beziehungen
entsprechendes Verhältniß wieder hergestellt werden könne. Der König erklärte
sich bereit, die Opfer zu bringen, welche die für ihn so ungünstig gewendeten
Ereignisse nothwendig machen würden. Der Brief war nicht in officiellen,
sondern in persönlich freundschaftlichem Tone gehalten. Der König redete den
König von Preußen mit .Lieber Wilhelm' und ,Du' an, er beklagte die frühern
Mißverständnisse, und in der ganzen Fassung lag der ernste Wunsch nach Ver¬
ständigung. >Das glauben wir gern, aber der König wußte nicht, was die
Glocke geschlagen hatte, begriff nicht, daß er keine Macht mehr war, mit der
man verhandelt, merkte nicht, daß er in der Luft stand.^ Er setzte voraus,
daß Preußen Gebietsabtretungen, namentlich im Süden Hannovers zur Ver¬
bindung der beiden Hälften der preußischen Monarchie fordern würde. Er war
zu diesen entschlossen und wünschte nur vor allem für Hannover die Küste zu


Hannovers Lüde und Herr Meding.

in ganz Deutschland Stimmen laut, welche zu einer rücksichtslosen Zurückweisung
jeder französischen Einmischung mahnten. Drouyn de l'Huys erwiederte zwar
auf diese militärischen Einwendungen, daß in dem damaligen Augenblicke ein
Corpora! mit der französischen Fahne um Rhein genügen würde, um Frankreich
die Rolle des Schiedsrichters zu sichern. Denn auch nur die Andeutung einer
militärischen Demonstration am Rhein würde Preußen, das mit einer erschütterten
Armee in weit vorgeschobner und trotz des Sieges gefährdeter Position stünde,
in eine äußerst kritische Lage bringen und dazu zwingen, einen erheblichen Theil
seiner Streitkrüfte aus Oesterreich zurückzuziehen. Allein Drouyn de l'Huys — ich
zeichne dies alles nach den mir später von jenem Staatsmanne selbst gemachten
Mittheilungen auf — konnte deu Kaiser Napoleon nicht zu dem von ihm als
nothwendig erkannten und dringend befürworteten Entschlüsse bringen. Napoleon
versuchte seinem Charakter entsprechend sich durch möglichst unthätige Zurückhaltung
aus der Verlegenheit zu ziehen. Er scheute einen Kampf mit Deutschland, das
er genauer als irgend jemand in Deutschland kannte, auss äußerste, und wenn
ihm fein Minister vorhersagte, daß er diesem Kampfe, wenn er jetzt unthätig
bliebe, später doch nicht werde ausweichen können und denselben dann unter un¬
günstigern Verhältnissen werde aufnehmen müssen, so glaubte der Kaiser einer
zukünftigen Gefahr durch die Reorganisation seiner Armee, die er dem Mnrschall
Niet übertrug, begegnen zu können."

Der König Georg hatte bisher alle Verhandlungen mit Preußen hart¬
näckig von der Hand gewiesen. Jetzt, als die Friedensverhandlungen in Nitols-
burg begonnen hatten, schickte er seinen Flügeladjutanten v. Heimbruch mit einem
Briefe an den König Wilhelm. „In jenem Briefe, dessen Abschrift ich nicht
mehr besitze, dessen Inhalt mir aber vollkommen erinnerlich ist," erzählt Meding,
„war ausgesprochen, daß der König Georg, nachdem der Wille der Vor¬
sehung den König von Preußen zum Sieger in Deutschland gemacht habe, den¬
selben bitte, ihm die Bedingungen mitzutheilen, unter welchen der Friede ge¬
schlossen und ein den frühern geschichtlichen und verwandtschaftlichen Beziehungen
entsprechendes Verhältniß wieder hergestellt werden könne. Der König erklärte
sich bereit, die Opfer zu bringen, welche die für ihn so ungünstig gewendeten
Ereignisse nothwendig machen würden. Der Brief war nicht in officiellen,
sondern in persönlich freundschaftlichem Tone gehalten. Der König redete den
König von Preußen mit .Lieber Wilhelm' und ,Du' an, er beklagte die frühern
Mißverständnisse, und in der ganzen Fassung lag der ernste Wunsch nach Ver¬
ständigung. >Das glauben wir gern, aber der König wußte nicht, was die
Glocke geschlagen hatte, begriff nicht, daß er keine Macht mehr war, mit der
man verhandelt, merkte nicht, daß er in der Luft stand.^ Er setzte voraus,
daß Preußen Gebietsabtretungen, namentlich im Süden Hannovers zur Ver¬
bindung der beiden Hälften der preußischen Monarchie fordern würde. Er war
zu diesen entschlossen und wünschte nur vor allem für Hannover die Küste zu


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157968/234>, abgerufen am 26.11.2024.