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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Drittes Quartal.

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Alfred Meißner.

übersieht die ideale Seite, Handelte es sich immer um die Grciuel der Klöster,
um die Orgien des Aberglaubens, um verbrecherische Priester, wie bald wäre
die Zeit mit dem Römerthume fertig geworden! Durch diese allzu pessimistische
oder vielmehr materialistische Auffassung des Katholicismus wird der tragische
Eindruck der Dichtung beeinträchtigt. Um so gerechter wird Meißner der Kunden
Mauuigfalttigleit des Rocoeolebens. Neben den Klostergeheimnissen eröffnen
sich die Freimaurerlogen! die Versuche, das Lebeuselcxir zu bereiten das geräusch¬
volle Leben des Hofes der Erzherzogin Christine zu Brüssel, die Aristokratie
Prags, die erste Aufführung des Don Juan geben Stoff zu anziehenden Schilde¬
rungen.

Neben seinen großen Zeit- und Gedankenromanen ist Meißner gewohnt in
gewissen Zwischenräumen seine kleineren Gabe", Reisebilder, Erzählungen, Humo¬
resken, persönliche Erinnerungen zu sammeln. Solcher Bücher wäre eine ganze
Reihe aufzuzählen. Zuerst die "Revolutionären Studien aus Paris," Schilde¬
rungen aus dem Paris der Februarrevolution mit vorwiegender Berücksichtigung
socialer Fragen und Systeme, sodann die schon erwähnten "Erinnerungen an
Heinrich Heine." Ferner veröffentlichte Meißner zwei Bände Novellen, drei Bände
Charaktcrmasten, "Historien," "Rocoeobilder." "Schattentanz" (1881). Es sind
auch diese kleinen Sachen fast nie unbedeutend. Eine treffliche Erfindungsgabe
vereinigt sich mit sorgfältiger Ausführung und läßt die gelinde, wärmende Kraft
uicht ausgehen, welche auf den Leser wie ein elektrischer Strom wirkt. Hier ist
sein Geist meist heiter, Nachsicht mit den Gebrechen der Menschen und der Zu¬
stände legt sich über Schilderung und Erzählung. Novellen wie "Der Tisch Peters
des Großen," "Der Müller vom Höfe" sind vielfach als Cabinetsstücke bezeichnet
worden; die letztere kann unqcscheut den Vergleich mit Kleists "Kohlhaas" wagen.
satirische Bilder wie "Die Unschuld der Ophelia," "Die Geschichte vou 10 000
Gulden" haben manche Kritiker zu der Behauptung geführt, Meißners ganz be¬
sondere Kraft liege in der Ironie, in der Satire, die irgend einer gesellschaft¬
lichen Heuchelei mit einer kurzen, grausamen Bewegung die Larve vom Gesichte
reißt. Doch ist diese Ansicht nicht richtig, die Ironie ist nur eine Seite seines
Wesens.

Bald sollte Meißners Leben von einem erschütternden Schlage getroffen
werden. Das Glück, das er nach langem Ringen, langen Fahrten, wechselvollen
Schicksalen in einer friedlichen Häuslichkeit gefunden, das Glück, von dein er
rührend sang:


Grein war schon mein Tag umzogen,
Und die Sonn' am Wolkenrand
neigte sich zu dunklern Wogen,
Ms ich dich, Geliebte, fand --

War von kurzer Dauer gewesen. Der Tod entriß ihm nach wenigen Jahren
einer überglücklichen Ehe sein junges Weib. In ergreifenden Tönen hat er ihr


Hreiizvoteu III, I8Li, 27
Alfred Meißner.

übersieht die ideale Seite, Handelte es sich immer um die Grciuel der Klöster,
um die Orgien des Aberglaubens, um verbrecherische Priester, wie bald wäre
die Zeit mit dem Römerthume fertig geworden! Durch diese allzu pessimistische
oder vielmehr materialistische Auffassung des Katholicismus wird der tragische
Eindruck der Dichtung beeinträchtigt. Um so gerechter wird Meißner der Kunden
Mauuigfalttigleit des Rocoeolebens. Neben den Klostergeheimnissen eröffnen
sich die Freimaurerlogen! die Versuche, das Lebeuselcxir zu bereiten das geräusch¬
volle Leben des Hofes der Erzherzogin Christine zu Brüssel, die Aristokratie
Prags, die erste Aufführung des Don Juan geben Stoff zu anziehenden Schilde¬
rungen.

Neben seinen großen Zeit- und Gedankenromanen ist Meißner gewohnt in
gewissen Zwischenräumen seine kleineren Gabe», Reisebilder, Erzählungen, Humo¬
resken, persönliche Erinnerungen zu sammeln. Solcher Bücher wäre eine ganze
Reihe aufzuzählen. Zuerst die „Revolutionären Studien aus Paris," Schilde¬
rungen aus dem Paris der Februarrevolution mit vorwiegender Berücksichtigung
socialer Fragen und Systeme, sodann die schon erwähnten „Erinnerungen an
Heinrich Heine." Ferner veröffentlichte Meißner zwei Bände Novellen, drei Bände
Charaktcrmasten, „Historien," „Rocoeobilder." „Schattentanz" (1881). Es sind
auch diese kleinen Sachen fast nie unbedeutend. Eine treffliche Erfindungsgabe
vereinigt sich mit sorgfältiger Ausführung und läßt die gelinde, wärmende Kraft
uicht ausgehen, welche auf den Leser wie ein elektrischer Strom wirkt. Hier ist
sein Geist meist heiter, Nachsicht mit den Gebrechen der Menschen und der Zu¬
stände legt sich über Schilderung und Erzählung. Novellen wie „Der Tisch Peters
des Großen," „Der Müller vom Höfe" sind vielfach als Cabinetsstücke bezeichnet
worden; die letztere kann unqcscheut den Vergleich mit Kleists „Kohlhaas" wagen.
satirische Bilder wie „Die Unschuld der Ophelia," „Die Geschichte vou 10 000
Gulden" haben manche Kritiker zu der Behauptung geführt, Meißners ganz be¬
sondere Kraft liege in der Ironie, in der Satire, die irgend einer gesellschaft¬
lichen Heuchelei mit einer kurzen, grausamen Bewegung die Larve vom Gesichte
reißt. Doch ist diese Ansicht nicht richtig, die Ironie ist nur eine Seite seines
Wesens.

Bald sollte Meißners Leben von einem erschütternden Schlage getroffen
werden. Das Glück, das er nach langem Ringen, langen Fahrten, wechselvollen
Schicksalen in einer friedlichen Häuslichkeit gefunden, das Glück, von dein er
rührend sang:


Grein war schon mein Tag umzogen,
Und die Sonn' am Wolkenrand
neigte sich zu dunklern Wogen,
Ms ich dich, Geliebte, fand —

War von kurzer Dauer gewesen. Der Tod entriß ihm nach wenigen Jahren
einer überglücklichen Ehe sein junges Weib. In ergreifenden Tönen hat er ihr


Hreiizvoteu III, I8Li, 27
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[0217] Alfred Meißner. übersieht die ideale Seite, Handelte es sich immer um die Grciuel der Klöster, um die Orgien des Aberglaubens, um verbrecherische Priester, wie bald wäre die Zeit mit dem Römerthume fertig geworden! Durch diese allzu pessimistische oder vielmehr materialistische Auffassung des Katholicismus wird der tragische Eindruck der Dichtung beeinträchtigt. Um so gerechter wird Meißner der Kunden Mauuigfalttigleit des Rocoeolebens. Neben den Klostergeheimnissen eröffnen sich die Freimaurerlogen! die Versuche, das Lebeuselcxir zu bereiten das geräusch¬ volle Leben des Hofes der Erzherzogin Christine zu Brüssel, die Aristokratie Prags, die erste Aufführung des Don Juan geben Stoff zu anziehenden Schilde¬ rungen. Neben seinen großen Zeit- und Gedankenromanen ist Meißner gewohnt in gewissen Zwischenräumen seine kleineren Gabe», Reisebilder, Erzählungen, Humo¬ resken, persönliche Erinnerungen zu sammeln. Solcher Bücher wäre eine ganze Reihe aufzuzählen. Zuerst die „Revolutionären Studien aus Paris," Schilde¬ rungen aus dem Paris der Februarrevolution mit vorwiegender Berücksichtigung socialer Fragen und Systeme, sodann die schon erwähnten „Erinnerungen an Heinrich Heine." Ferner veröffentlichte Meißner zwei Bände Novellen, drei Bände Charaktcrmasten, „Historien," „Rocoeobilder." „Schattentanz" (1881). Es sind auch diese kleinen Sachen fast nie unbedeutend. Eine treffliche Erfindungsgabe vereinigt sich mit sorgfältiger Ausführung und läßt die gelinde, wärmende Kraft uicht ausgehen, welche auf den Leser wie ein elektrischer Strom wirkt. Hier ist sein Geist meist heiter, Nachsicht mit den Gebrechen der Menschen und der Zu¬ stände legt sich über Schilderung und Erzählung. Novellen wie „Der Tisch Peters des Großen," „Der Müller vom Höfe" sind vielfach als Cabinetsstücke bezeichnet worden; die letztere kann unqcscheut den Vergleich mit Kleists „Kohlhaas" wagen. satirische Bilder wie „Die Unschuld der Ophelia," „Die Geschichte vou 10 000 Gulden" haben manche Kritiker zu der Behauptung geführt, Meißners ganz be¬ sondere Kraft liege in der Ironie, in der Satire, die irgend einer gesellschaft¬ lichen Heuchelei mit einer kurzen, grausamen Bewegung die Larve vom Gesichte reißt. Doch ist diese Ansicht nicht richtig, die Ironie ist nur eine Seite seines Wesens. Bald sollte Meißners Leben von einem erschütternden Schlage getroffen werden. Das Glück, das er nach langem Ringen, langen Fahrten, wechselvollen Schicksalen in einer friedlichen Häuslichkeit gefunden, das Glück, von dein er rührend sang: Grein war schon mein Tag umzogen, Und die Sonn' am Wolkenrand neigte sich zu dunklern Wogen, Ms ich dich, Geliebte, fand — War von kurzer Dauer gewesen. Der Tod entriß ihm nach wenigen Jahren einer überglücklichen Ehe sein junges Weib. In ergreifenden Tönen hat er ihr Hreiizvoteu III, I8Li, 27

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157968/217>, abgerufen am 01.09.2024.