Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Drittes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite
Alfred Meißner.

eine Personification genialer Kraft, reich, gesund an Leib und Seele, auf seinem
Gebiete ein König, dem alles dienen muß. Ein Ausnahmemensch, über alle ge¬
meinen Sorgen des Lebeus hinausgehoben, möchte er der Leidenschaft, die als
Affect flüchtiger Natur ist, in seinem Gemüthe ewige Dauer geben. Bei den
Satzungen der einmal so und nicht anders bestehenden Welt kann er trotz der
besten Vorsätze der Schuld nicht ausweichen und hat die verderblichen Folgen
derselben zu tragen. Diese treten nicht allein äußerlich in der Gestalt der Rächer
auf, sondern auch innerlich, indem sie sein Gemüth verletzen und verdüstern. Plötz¬
lich sieht er sich am Rande eines ungeheuern Abgrundes. Er steht vor seinem
innern Richter und Rächer. Er hat mißachtet, was Menschen heilig sein sollte,
aber sein besseres Selbst lebt noch. Seine Schuld ging nnr aus Kräfteübermaß
hervor, er vermag noch das Weh durchzufühlen, das er hervorgerufen. Nach¬
dem er -- im zweiten Theile des Buchs -- eine Periode der Dumpfheit, in
welcher ihm vor seinem Thun und vor seiner eignen Natur graut, eine Periode
der Abwendung vou der Welt und ihren ihm verhängnißvoll gewordenen Freuden
durchgemacht, beginnt ein Länterungsproecß in ihm. Er wird nicht bestraft,
er hebt sich selbst empor. Er erlernt die Einschränkung der eignen Persönlichkeit,
damit sein Ich neben andern lebe, für andre wirke. Er gelangt zu der Ein¬
sicht, daß der Besitz eines und nur eines weiblichen Wesens dem Männerherzen
entweder seiner Natur nach oder nach dem Gange unsrer ganzen Bildungs¬
geschichte conform geworden ist. Der genußsüchtige Egoist von ehedem wird
durch deu edlen Keim, der in ihm noch erhalten blieb, und den er in sich
weiter entwickelte, erlöst, er befreit sich selbst nicht durch Resignation, sondern
durch hilfreiche Thätigkeit nach allen Seiten und findet schließlich das Glück
in der Existenz seiner Lieben. Mau könnte dem Buche die Verse Shakespeares
im "Lear" als Motto voranstellen:


Ein Mensch gezähmt dnrch Schicksalsschläge,
Der dnrch die Schule selbsteinpfnndenen Grauns
Empfänglich ward für Mitleid.

Man sollte es nicht für möglich halten, daß man den Helden der "Sansara,"
wie dies oft geschehe", zu einem modernen Don Juan hat stempeln "vollen.
Die Aehnlichkeit im ersten Theile ist so rein äußerlich, daß man den Vergleich
nur jemand verzeihen kann, der sich sein Lebenlang in überlieferten Denk-
formen beivegt und kein Object aus sich heraus zu beurtheilen gelernt hat.
Zum Begriff des Don Juan gehört Frivolität und lächelnder Treubruch, nicht
aber verzehrende Leidenschaft und eingeborner edler Sinn. Vom Don Juan
unzertrennlich ist Verachtung des Weibes in dessen edler und wahrer Bedeu¬
tung, nicht aber das Ringen und Suchen nach einen: Ideale. Zum Don Juan
gehört endlich die Blutschuld und das Verbrechen, das nach den Ideen allen
Rechtes gestraft wird, ob nun das Richteramt der Staat oder in poetischer
Weise die Furie" übernehmen.


Alfred Meißner.

eine Personification genialer Kraft, reich, gesund an Leib und Seele, auf seinem
Gebiete ein König, dem alles dienen muß. Ein Ausnahmemensch, über alle ge¬
meinen Sorgen des Lebeus hinausgehoben, möchte er der Leidenschaft, die als
Affect flüchtiger Natur ist, in seinem Gemüthe ewige Dauer geben. Bei den
Satzungen der einmal so und nicht anders bestehenden Welt kann er trotz der
besten Vorsätze der Schuld nicht ausweichen und hat die verderblichen Folgen
derselben zu tragen. Diese treten nicht allein äußerlich in der Gestalt der Rächer
auf, sondern auch innerlich, indem sie sein Gemüth verletzen und verdüstern. Plötz¬
lich sieht er sich am Rande eines ungeheuern Abgrundes. Er steht vor seinem
innern Richter und Rächer. Er hat mißachtet, was Menschen heilig sein sollte,
aber sein besseres Selbst lebt noch. Seine Schuld ging nnr aus Kräfteübermaß
hervor, er vermag noch das Weh durchzufühlen, das er hervorgerufen. Nach¬
dem er — im zweiten Theile des Buchs — eine Periode der Dumpfheit, in
welcher ihm vor seinem Thun und vor seiner eignen Natur graut, eine Periode
der Abwendung vou der Welt und ihren ihm verhängnißvoll gewordenen Freuden
durchgemacht, beginnt ein Länterungsproecß in ihm. Er wird nicht bestraft,
er hebt sich selbst empor. Er erlernt die Einschränkung der eignen Persönlichkeit,
damit sein Ich neben andern lebe, für andre wirke. Er gelangt zu der Ein¬
sicht, daß der Besitz eines und nur eines weiblichen Wesens dem Männerherzen
entweder seiner Natur nach oder nach dem Gange unsrer ganzen Bildungs¬
geschichte conform geworden ist. Der genußsüchtige Egoist von ehedem wird
durch deu edlen Keim, der in ihm noch erhalten blieb, und den er in sich
weiter entwickelte, erlöst, er befreit sich selbst nicht durch Resignation, sondern
durch hilfreiche Thätigkeit nach allen Seiten und findet schließlich das Glück
in der Existenz seiner Lieben. Mau könnte dem Buche die Verse Shakespeares
im „Lear" als Motto voranstellen:


Ein Mensch gezähmt dnrch Schicksalsschläge,
Der dnrch die Schule selbsteinpfnndenen Grauns
Empfänglich ward für Mitleid.

Man sollte es nicht für möglich halten, daß man den Helden der „Sansara,"
wie dies oft geschehe», zu einem modernen Don Juan hat stempeln »vollen.
Die Aehnlichkeit im ersten Theile ist so rein äußerlich, daß man den Vergleich
nur jemand verzeihen kann, der sich sein Lebenlang in überlieferten Denk-
formen beivegt und kein Object aus sich heraus zu beurtheilen gelernt hat.
Zum Begriff des Don Juan gehört Frivolität und lächelnder Treubruch, nicht
aber verzehrende Leidenschaft und eingeborner edler Sinn. Vom Don Juan
unzertrennlich ist Verachtung des Weibes in dessen edler und wahrer Bedeu¬
tung, nicht aber das Ringen und Suchen nach einen: Ideale. Zum Don Juan
gehört endlich die Blutschuld und das Verbrechen, das nach den Ideen allen
Rechtes gestraft wird, ob nun das Richteramt der Staat oder in poetischer
Weise die Furie» übernehmen.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0210" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/150360"/>
          <fw type="header" place="top"> Alfred Meißner.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_697" prev="#ID_696"> eine Personification genialer Kraft, reich, gesund an Leib und Seele, auf seinem<lb/>
Gebiete ein König, dem alles dienen muß. Ein Ausnahmemensch, über alle ge¬<lb/>
meinen Sorgen des Lebeus hinausgehoben, möchte er der Leidenschaft, die als<lb/>
Affect flüchtiger Natur ist, in seinem Gemüthe ewige Dauer geben. Bei den<lb/>
Satzungen der einmal so und nicht anders bestehenden Welt kann er trotz der<lb/>
besten Vorsätze der Schuld nicht ausweichen und hat die verderblichen Folgen<lb/>
derselben zu tragen. Diese treten nicht allein äußerlich in der Gestalt der Rächer<lb/>
auf, sondern auch innerlich, indem sie sein Gemüth verletzen und verdüstern. Plötz¬<lb/>
lich sieht er sich am Rande eines ungeheuern Abgrundes. Er steht vor seinem<lb/>
innern Richter und Rächer. Er hat mißachtet, was Menschen heilig sein sollte,<lb/>
aber sein besseres Selbst lebt noch. Seine Schuld ging nnr aus Kräfteübermaß<lb/>
hervor, er vermag noch das Weh durchzufühlen, das er hervorgerufen. Nach¬<lb/>
dem er &#x2014; im zweiten Theile des Buchs &#x2014; eine Periode der Dumpfheit, in<lb/>
welcher ihm vor seinem Thun und vor seiner eignen Natur graut, eine Periode<lb/>
der Abwendung vou der Welt und ihren ihm verhängnißvoll gewordenen Freuden<lb/>
durchgemacht, beginnt ein Länterungsproecß in ihm. Er wird nicht bestraft,<lb/>
er hebt sich selbst empor. Er erlernt die Einschränkung der eignen Persönlichkeit,<lb/>
damit sein Ich neben andern lebe, für andre wirke. Er gelangt zu der Ein¬<lb/>
sicht, daß der Besitz eines und nur eines weiblichen Wesens dem Männerherzen<lb/>
entweder seiner Natur nach oder nach dem Gange unsrer ganzen Bildungs¬<lb/>
geschichte conform geworden ist. Der genußsüchtige Egoist von ehedem wird<lb/>
durch deu edlen Keim, der in ihm noch erhalten blieb, und den er in sich<lb/>
weiter entwickelte, erlöst, er befreit sich selbst nicht durch Resignation, sondern<lb/>
durch hilfreiche Thätigkeit nach allen Seiten und findet schließlich das Glück<lb/>
in der Existenz seiner Lieben. Mau könnte dem Buche die Verse Shakespeares<lb/>
im &#x201E;Lear" als Motto voranstellen:</p><lb/>
          <quote> Ein Mensch gezähmt dnrch Schicksalsschläge,<lb/>
Der dnrch die Schule selbsteinpfnndenen Grauns<lb/>
Empfänglich ward für Mitleid.</quote><lb/>
          <p xml:id="ID_698"> Man sollte es nicht für möglich halten, daß man den Helden der &#x201E;Sansara,"<lb/>
wie dies oft geschehe», zu einem modernen Don Juan hat stempeln »vollen.<lb/>
Die Aehnlichkeit im ersten Theile ist so rein äußerlich, daß man den Vergleich<lb/>
nur jemand verzeihen kann, der sich sein Lebenlang in überlieferten Denk-<lb/>
formen beivegt und kein Object aus sich heraus zu beurtheilen gelernt hat.<lb/>
Zum Begriff des Don Juan gehört Frivolität und lächelnder Treubruch, nicht<lb/>
aber verzehrende Leidenschaft und eingeborner edler Sinn. Vom Don Juan<lb/>
unzertrennlich ist Verachtung des Weibes in dessen edler und wahrer Bedeu¬<lb/>
tung, nicht aber das Ringen und Suchen nach einen: Ideale. Zum Don Juan<lb/>
gehört endlich die Blutschuld und das Verbrechen, das nach den Ideen allen<lb/>
Rechtes gestraft wird, ob nun das Richteramt der Staat oder in poetischer<lb/>
Weise die Furie» übernehmen.</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0210] Alfred Meißner. eine Personification genialer Kraft, reich, gesund an Leib und Seele, auf seinem Gebiete ein König, dem alles dienen muß. Ein Ausnahmemensch, über alle ge¬ meinen Sorgen des Lebeus hinausgehoben, möchte er der Leidenschaft, die als Affect flüchtiger Natur ist, in seinem Gemüthe ewige Dauer geben. Bei den Satzungen der einmal so und nicht anders bestehenden Welt kann er trotz der besten Vorsätze der Schuld nicht ausweichen und hat die verderblichen Folgen derselben zu tragen. Diese treten nicht allein äußerlich in der Gestalt der Rächer auf, sondern auch innerlich, indem sie sein Gemüth verletzen und verdüstern. Plötz¬ lich sieht er sich am Rande eines ungeheuern Abgrundes. Er steht vor seinem innern Richter und Rächer. Er hat mißachtet, was Menschen heilig sein sollte, aber sein besseres Selbst lebt noch. Seine Schuld ging nnr aus Kräfteübermaß hervor, er vermag noch das Weh durchzufühlen, das er hervorgerufen. Nach¬ dem er — im zweiten Theile des Buchs — eine Periode der Dumpfheit, in welcher ihm vor seinem Thun und vor seiner eignen Natur graut, eine Periode der Abwendung vou der Welt und ihren ihm verhängnißvoll gewordenen Freuden durchgemacht, beginnt ein Länterungsproecß in ihm. Er wird nicht bestraft, er hebt sich selbst empor. Er erlernt die Einschränkung der eignen Persönlichkeit, damit sein Ich neben andern lebe, für andre wirke. Er gelangt zu der Ein¬ sicht, daß der Besitz eines und nur eines weiblichen Wesens dem Männerherzen entweder seiner Natur nach oder nach dem Gange unsrer ganzen Bildungs¬ geschichte conform geworden ist. Der genußsüchtige Egoist von ehedem wird durch deu edlen Keim, der in ihm noch erhalten blieb, und den er in sich weiter entwickelte, erlöst, er befreit sich selbst nicht durch Resignation, sondern durch hilfreiche Thätigkeit nach allen Seiten und findet schließlich das Glück in der Existenz seiner Lieben. Mau könnte dem Buche die Verse Shakespeares im „Lear" als Motto voranstellen: Ein Mensch gezähmt dnrch Schicksalsschläge, Der dnrch die Schule selbsteinpfnndenen Grauns Empfänglich ward für Mitleid. Man sollte es nicht für möglich halten, daß man den Helden der „Sansara," wie dies oft geschehe», zu einem modernen Don Juan hat stempeln »vollen. Die Aehnlichkeit im ersten Theile ist so rein äußerlich, daß man den Vergleich nur jemand verzeihen kann, der sich sein Lebenlang in überlieferten Denk- formen beivegt und kein Object aus sich heraus zu beurtheilen gelernt hat. Zum Begriff des Don Juan gehört Frivolität und lächelnder Treubruch, nicht aber verzehrende Leidenschaft und eingeborner edler Sinn. Vom Don Juan unzertrennlich ist Verachtung des Weibes in dessen edler und wahrer Bedeu¬ tung, nicht aber das Ringen und Suchen nach einen: Ideale. Zum Don Juan gehört endlich die Blutschuld und das Verbrechen, das nach den Ideen allen Rechtes gestraft wird, ob nun das Richteramt der Staat oder in poetischer Weise die Furie» übernehmen.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157968
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157968/210
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157968/210>, abgerufen am 24.11.2024.