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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Drittes Quartal.

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Die Entwicklung der Feudalität und das deutsche Kriegswesen im frühen Mittelalter.

Einrichtung, welche wenige Jahre früher König Edward von England gegenüber
den Dünen getroffen hatte. Wenn aber der festländische Sachsenkönig das Beispiel
der Angelsachsen nicht vor Augen gehabt haben sollte, so konnte ihn auch die Er¬
innerung an das Adjutorium des karlingischen Heerbannes inspirircn; er wandte
doch eben nur den alten Brauch, daß drei den Vierten oder acht den Neuntel!
ausrüsteten, auf die Vertheidigung der Städte an. Lange scheint die Einrichtung
übrigens nicht bestanden zu haben; schon unter Otto I. ist nicht mehr von ihr die Rede.

Sogar Verbrecher suchte Heinrich für die Zwecke der Laudesvertheidigung
nutzbar zu machen. "Er bildete," so erzählt uns Widukind, "eine Schnur aus
Räubern; denn der König, welcher gegen seine Landsleute gern milde war, ver¬
schonte wohl selbst Verbrecher, falls sie muthige und kriegstüchtige Männer
waren, und siedelte sie in der Vorstadt von Merseburg an. Hier gab er ihnen
Aecker und Waffen und gebot ihnen, mit den Landsleuten Friede zu halten;
gegen die Wenden aber durften sie auf Raub ausziehen, so oft sie es wollten."
Eine solche Einrichtung zeigt dentlich, wie bedenklich es damals um das deutsche
Wehrthum stand, und sie hat sich auch keineswegs bewährt und erhalten. Desto
mehr gilt das von den andern Maßnahmen Heinrichs während des Waffen¬
stillstands. "Meine Zunge", ruft Widukind aus, "vermag nicht auszusagen, mit
welcher Umsicht und Wachsamkeit der König damals alles gethan hat, was zum
Schutze des Vaterlandes diente." Der Lohn dafür blieb denn auch uicht aus.

Es war Sitte der Magyaren, ihr Heer in verschiedne Haufen zu theile",
um sowohl das überfalleile Land schnell nach allen Seiten hin zu durchfegeu,
als den einen Haufen zum Scheiuaugriff, den andern zur Umgehung zu benutzen.
Diese Theilung der Kräfte war anfangs ein Quell manches Sieges; doch als der
Gegner diese Taktik durchschaut hatte, ward sie zur Ursache blutiger Niederlagen:
so gleich jener ersten, welche Heinrich nach Ablauf des Waffenstillstandes im
Jahre 933 den Ungarn bei Ricide (Niethcburg a. d. Unstrut?) beibrachte. Die
leichtbewaffnete Reiterei des Königs, offenbar theils sächsische Bauern, theils Mi¬
nisterialen, die als "vutiu'ii, fochten, eröffnete diesen ruhmvollen Kampf, der zwei-
nndzwnnzig Jahre später seine endgiltige Bestätigung durch den Sieg empfing,
welchen Heinrichs großer Nachfolger, Otto 1., auf dem Lechfelde bei Augsburg
über denselben Feind erfocht. Seitdem war Deutschland die Magyarenplage los.

Das edle Herrscherhaus der Liudolfinger hat das doppelte Verdienst, dem
Reiche die formale Einheit gewahrt und es gegen den Ansturm der barbarischen
Ostvölker sicher gestellt zu haben. Doch seinen altsächstschen Charakter vermochte
es nicht aufrechtzuerhalten. Unter Heinrich I. allerdings erscheint das deutsche
Königthum, zum mindesten in den sächsischen Stammlanden, dein Vvlkskönigthinn
der Nordgermanen, wie es in Dänemark, Norwegen und England blühte, eng
verwandt. Da jedoch dem deutschen Reiche fast jedes maritime Leben abging,
so verlor es den Zusammenhang mit den nordischen Verwandten und kehrte mehr
und mehr in die Bahnen des continentalen Feudalismus zurück, in denen sich


Die Entwicklung der Feudalität und das deutsche Kriegswesen im frühen Mittelalter.

Einrichtung, welche wenige Jahre früher König Edward von England gegenüber
den Dünen getroffen hatte. Wenn aber der festländische Sachsenkönig das Beispiel
der Angelsachsen nicht vor Augen gehabt haben sollte, so konnte ihn auch die Er¬
innerung an das Adjutorium des karlingischen Heerbannes inspirircn; er wandte
doch eben nur den alten Brauch, daß drei den Vierten oder acht den Neuntel!
ausrüsteten, auf die Vertheidigung der Städte an. Lange scheint die Einrichtung
übrigens nicht bestanden zu haben; schon unter Otto I. ist nicht mehr von ihr die Rede.

Sogar Verbrecher suchte Heinrich für die Zwecke der Laudesvertheidigung
nutzbar zu machen. „Er bildete," so erzählt uns Widukind, „eine Schnur aus
Räubern; denn der König, welcher gegen seine Landsleute gern milde war, ver¬
schonte wohl selbst Verbrecher, falls sie muthige und kriegstüchtige Männer
waren, und siedelte sie in der Vorstadt von Merseburg an. Hier gab er ihnen
Aecker und Waffen und gebot ihnen, mit den Landsleuten Friede zu halten;
gegen die Wenden aber durften sie auf Raub ausziehen, so oft sie es wollten."
Eine solche Einrichtung zeigt dentlich, wie bedenklich es damals um das deutsche
Wehrthum stand, und sie hat sich auch keineswegs bewährt und erhalten. Desto
mehr gilt das von den andern Maßnahmen Heinrichs während des Waffen¬
stillstands. „Meine Zunge", ruft Widukind aus, „vermag nicht auszusagen, mit
welcher Umsicht und Wachsamkeit der König damals alles gethan hat, was zum
Schutze des Vaterlandes diente." Der Lohn dafür blieb denn auch uicht aus.

Es war Sitte der Magyaren, ihr Heer in verschiedne Haufen zu theile»,
um sowohl das überfalleile Land schnell nach allen Seiten hin zu durchfegeu,
als den einen Haufen zum Scheiuaugriff, den andern zur Umgehung zu benutzen.
Diese Theilung der Kräfte war anfangs ein Quell manches Sieges; doch als der
Gegner diese Taktik durchschaut hatte, ward sie zur Ursache blutiger Niederlagen:
so gleich jener ersten, welche Heinrich nach Ablauf des Waffenstillstandes im
Jahre 933 den Ungarn bei Ricide (Niethcburg a. d. Unstrut?) beibrachte. Die
leichtbewaffnete Reiterei des Königs, offenbar theils sächsische Bauern, theils Mi¬
nisterialen, die als »vutiu'ii, fochten, eröffnete diesen ruhmvollen Kampf, der zwei-
nndzwnnzig Jahre später seine endgiltige Bestätigung durch den Sieg empfing,
welchen Heinrichs großer Nachfolger, Otto 1., auf dem Lechfelde bei Augsburg
über denselben Feind erfocht. Seitdem war Deutschland die Magyarenplage los.

Das edle Herrscherhaus der Liudolfinger hat das doppelte Verdienst, dem
Reiche die formale Einheit gewahrt und es gegen den Ansturm der barbarischen
Ostvölker sicher gestellt zu haben. Doch seinen altsächstschen Charakter vermochte
es nicht aufrechtzuerhalten. Unter Heinrich I. allerdings erscheint das deutsche
Königthum, zum mindesten in den sächsischen Stammlanden, dein Vvlkskönigthinn
der Nordgermanen, wie es in Dänemark, Norwegen und England blühte, eng
verwandt. Da jedoch dem deutschen Reiche fast jedes maritime Leben abging,
so verlor es den Zusammenhang mit den nordischen Verwandten und kehrte mehr
und mehr in die Bahnen des continentalen Feudalismus zurück, in denen sich


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[0202] Die Entwicklung der Feudalität und das deutsche Kriegswesen im frühen Mittelalter. Einrichtung, welche wenige Jahre früher König Edward von England gegenüber den Dünen getroffen hatte. Wenn aber der festländische Sachsenkönig das Beispiel der Angelsachsen nicht vor Augen gehabt haben sollte, so konnte ihn auch die Er¬ innerung an das Adjutorium des karlingischen Heerbannes inspirircn; er wandte doch eben nur den alten Brauch, daß drei den Vierten oder acht den Neuntel! ausrüsteten, auf die Vertheidigung der Städte an. Lange scheint die Einrichtung übrigens nicht bestanden zu haben; schon unter Otto I. ist nicht mehr von ihr die Rede. Sogar Verbrecher suchte Heinrich für die Zwecke der Laudesvertheidigung nutzbar zu machen. „Er bildete," so erzählt uns Widukind, „eine Schnur aus Räubern; denn der König, welcher gegen seine Landsleute gern milde war, ver¬ schonte wohl selbst Verbrecher, falls sie muthige und kriegstüchtige Männer waren, und siedelte sie in der Vorstadt von Merseburg an. Hier gab er ihnen Aecker und Waffen und gebot ihnen, mit den Landsleuten Friede zu halten; gegen die Wenden aber durften sie auf Raub ausziehen, so oft sie es wollten." Eine solche Einrichtung zeigt dentlich, wie bedenklich es damals um das deutsche Wehrthum stand, und sie hat sich auch keineswegs bewährt und erhalten. Desto mehr gilt das von den andern Maßnahmen Heinrichs während des Waffen¬ stillstands. „Meine Zunge", ruft Widukind aus, „vermag nicht auszusagen, mit welcher Umsicht und Wachsamkeit der König damals alles gethan hat, was zum Schutze des Vaterlandes diente." Der Lohn dafür blieb denn auch uicht aus. Es war Sitte der Magyaren, ihr Heer in verschiedne Haufen zu theile», um sowohl das überfalleile Land schnell nach allen Seiten hin zu durchfegeu, als den einen Haufen zum Scheiuaugriff, den andern zur Umgehung zu benutzen. Diese Theilung der Kräfte war anfangs ein Quell manches Sieges; doch als der Gegner diese Taktik durchschaut hatte, ward sie zur Ursache blutiger Niederlagen: so gleich jener ersten, welche Heinrich nach Ablauf des Waffenstillstandes im Jahre 933 den Ungarn bei Ricide (Niethcburg a. d. Unstrut?) beibrachte. Die leichtbewaffnete Reiterei des Königs, offenbar theils sächsische Bauern, theils Mi¬ nisterialen, die als »vutiu'ii, fochten, eröffnete diesen ruhmvollen Kampf, der zwei- nndzwnnzig Jahre später seine endgiltige Bestätigung durch den Sieg empfing, welchen Heinrichs großer Nachfolger, Otto 1., auf dem Lechfelde bei Augsburg über denselben Feind erfocht. Seitdem war Deutschland die Magyarenplage los. Das edle Herrscherhaus der Liudolfinger hat das doppelte Verdienst, dem Reiche die formale Einheit gewahrt und es gegen den Ansturm der barbarischen Ostvölker sicher gestellt zu haben. Doch seinen altsächstschen Charakter vermochte es nicht aufrechtzuerhalten. Unter Heinrich I. allerdings erscheint das deutsche Königthum, zum mindesten in den sächsischen Stammlanden, dein Vvlkskönigthinn der Nordgermanen, wie es in Dänemark, Norwegen und England blühte, eng verwandt. Da jedoch dem deutschen Reiche fast jedes maritime Leben abging, so verlor es den Zusammenhang mit den nordischen Verwandten und kehrte mehr und mehr in die Bahnen des continentalen Feudalismus zurück, in denen sich

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157968/202>, abgerufen am 25.11.2024.