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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Drittes Quartal.

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199 Die Lnlwicklung der Feudalität und das deutsche Kriegswesen im frühen Mittelalter.

zweitem Hälfte des 6. Jahrhunderts festen Fuß auf britischen Boden gefaßt;
andre Zweige des gleichen Stammes halfen im Jahre 531 den Franken das
thüringische Reich stürzen, sahen sich aber bald genug selbst mit den bisherigen
Verbündeten in jene furchtbaren, immer neuen Kämpfe verwickelt, welche erst
Karls des Großen wiederholte Siege endgiltig entschieden. Aber noch lange nach
des Kaisers Tode erhielt sich in Sachsen eine mächtige Partei, die Stellingös,
welche für den Umsturz der fränkischen Herrschaft und die Wiederherstellung des
Heidenthums und der väterlichen Volksverfassuug wirkte.*) So behauptete sich
das Sachsenthum in bewußtem Gegensatze, ja in oft ausbrechenden Hasse zu den
ältern Theilen der karlingischen Monarchie. Bei den West- und südgermanischen
Stämmen war der alte Blutadel schon im 5. und 6. Jahrhundert fast spurlos
untergegangen und durch jenen Dienstadel ersetzt worden, der sich von Jahrzehnt
zu Jahrzehnt zügelloser entwickelte, ans dem Verwesungsprocesse des karlingischen
Reiches neue Kräfte für die eigene" Sonderinteresseu schöpfte, immer entschiedener
die Gemeinfreien von aller Theilnahme am politischen und kriegerischen Leben
ausschloß und zugleich zum Brutherde sittlichen Verfalles wurde. Anders in
Sachsen. Hier, wo selbst die kirchlichen Einflüsse der karlingischen Periode nur
sehr langsam weiterwirkten. vermochten auch die politischen Einrichtungen der
Frankenkönige nur geringe Bedeutung zu gewinnen. Schwach und wenig geehrt
war die Grafengewalt neben der angebornen Würde eines altheimischen Blnt-
adels. Ohne ummauerte Burgen und Städte lebte das Land in einfacher, gleich¬
mäßiger Sitte fort. Die Schilderungen Widnlinds wie die der Quedlinburger
Annalen zeigen den Sachsen mit dem altgermanischen viereckigen Kriegsmantel
haarigen Stoffes bekleidet, wie er zur Urzeit schon getragen worden war. Das
Gelock wallte dem Manne über die Schultern, in seiner Feinst lag der lange
Spieß der Väter, die Linke führte einen kleinen Schild, und im Gürtel hing
das einschneidige Knrzschwert, die volksthümliche "Sachse", nach der der ganze
Stamm bezeichnet wurde.**) So lebten diese Nordgermanen in der ungebrochenen
Selbständigkeit ihrer bäuerlichen Gemeinden in herber Abgeschlossenheit fort und
sanken allmählich wieder ganz in die altnativnalen Lebensbedingungen zurück, welche
der Herrscherwille Karls nnr vorübergehend zu überwinden vermocht hatte. In
einer Hinsicht jedoch blieb der Eingriff der Franken von hoher dauernder Fvlge-
wirkung: auf der Grundlage der karlingischen Markverfassung bildete sich der
kriegerische Geist der sächsischen Edelinge und die Wehrhaftigkeit des Volkes fort.
Nur eine sehr schwache Grenze gegen die Slaven war diese langgedehnte Fluß-




*) Der Parteinnme swllinx scheint den feststehenden, den am alten Hangenden Conser-
vativen zu bedeuten.
**) Der s-wu" seist "Messer" überhaupt; die savlis" (cmgelsächs, soaxn) bezeichnet das el",
schneidige Knrzschwert, welches Widukind und Lcunbert von Hersfeld als die auszeichnende Wnffe
der Sachsen vor Augen hatten und welches im Wappen des Königreichs Ostfalen nbge-
dildel ist.
199 Die Lnlwicklung der Feudalität und das deutsche Kriegswesen im frühen Mittelalter.

zweitem Hälfte des 6. Jahrhunderts festen Fuß auf britischen Boden gefaßt;
andre Zweige des gleichen Stammes halfen im Jahre 531 den Franken das
thüringische Reich stürzen, sahen sich aber bald genug selbst mit den bisherigen
Verbündeten in jene furchtbaren, immer neuen Kämpfe verwickelt, welche erst
Karls des Großen wiederholte Siege endgiltig entschieden. Aber noch lange nach
des Kaisers Tode erhielt sich in Sachsen eine mächtige Partei, die Stellingös,
welche für den Umsturz der fränkischen Herrschaft und die Wiederherstellung des
Heidenthums und der väterlichen Volksverfassuug wirkte.*) So behauptete sich
das Sachsenthum in bewußtem Gegensatze, ja in oft ausbrechenden Hasse zu den
ältern Theilen der karlingischen Monarchie. Bei den West- und südgermanischen
Stämmen war der alte Blutadel schon im 5. und 6. Jahrhundert fast spurlos
untergegangen und durch jenen Dienstadel ersetzt worden, der sich von Jahrzehnt
zu Jahrzehnt zügelloser entwickelte, ans dem Verwesungsprocesse des karlingischen
Reiches neue Kräfte für die eigene» Sonderinteresseu schöpfte, immer entschiedener
die Gemeinfreien von aller Theilnahme am politischen und kriegerischen Leben
ausschloß und zugleich zum Brutherde sittlichen Verfalles wurde. Anders in
Sachsen. Hier, wo selbst die kirchlichen Einflüsse der karlingischen Periode nur
sehr langsam weiterwirkten. vermochten auch die politischen Einrichtungen der
Frankenkönige nur geringe Bedeutung zu gewinnen. Schwach und wenig geehrt
war die Grafengewalt neben der angebornen Würde eines altheimischen Blnt-
adels. Ohne ummauerte Burgen und Städte lebte das Land in einfacher, gleich¬
mäßiger Sitte fort. Die Schilderungen Widnlinds wie die der Quedlinburger
Annalen zeigen den Sachsen mit dem altgermanischen viereckigen Kriegsmantel
haarigen Stoffes bekleidet, wie er zur Urzeit schon getragen worden war. Das
Gelock wallte dem Manne über die Schultern, in seiner Feinst lag der lange
Spieß der Väter, die Linke führte einen kleinen Schild, und im Gürtel hing
das einschneidige Knrzschwert, die volksthümliche „Sachse", nach der der ganze
Stamm bezeichnet wurde.**) So lebten diese Nordgermanen in der ungebrochenen
Selbständigkeit ihrer bäuerlichen Gemeinden in herber Abgeschlossenheit fort und
sanken allmählich wieder ganz in die altnativnalen Lebensbedingungen zurück, welche
der Herrscherwille Karls nnr vorübergehend zu überwinden vermocht hatte. In
einer Hinsicht jedoch blieb der Eingriff der Franken von hoher dauernder Fvlge-
wirkung: auf der Grundlage der karlingischen Markverfassung bildete sich der
kriegerische Geist der sächsischen Edelinge und die Wehrhaftigkeit des Volkes fort.
Nur eine sehr schwache Grenze gegen die Slaven war diese langgedehnte Fluß-




*) Der Parteinnme swllinx scheint den feststehenden, den am alten Hangenden Conser-
vativen zu bedeuten.
**) Der s-wu» seist „Messer" überhaupt; die savlis« (cmgelsächs, soaxn) bezeichnet das el»,
schneidige Knrzschwert, welches Widukind und Lcunbert von Hersfeld als die auszeichnende Wnffe
der Sachsen vor Augen hatten und welches im Wappen des Königreichs Ostfalen nbge-
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157968/198>, abgerufen am 25.11.2024.