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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Drittes Quartal.

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Hannovers Ende und Herr Meding.

stellen, daß sie "bis ans Ende der Tage" in ihrem Besitze und ihrer Glorie
erhalten bleiben wird, Hannover ist nur der Welsen wegen da, ihr Wille und
Interesse ist der Staat, Constitutionen, die dem entgegenstehen, sind ohne weitres
für null und nichtig zu erklären, da sie wider Vernunft und Natur sind. Han¬
nover hat endlich eine große Zukunft, seine Beherrschung von drei der wichtigsten
Ströme Deutschlands und seine langgestreckte Nordseeküste machen es nicht bloß
zu dem bedeutendsten der deutschen Mittelstaaten, von denen es sich so sehr an
Zukunftsgehalt unterscheidet, daß man es richtiger als Mittelreich bezeichnet,
sondern es steht in vielen Dingen, namentlich in maritimer Beziehung, selbst
über Preuße", und Deutschland wird das, was Hannover, also das Welfenthum,
ihm zu bieten hat, seiner Zeit zu schätzen wissen.

Wie alle Irrlichter waren auch diese nicht stetig. Es waren Phantasien,
keine festen Ueberzeugungen, auf denen man vornehm hätte ruhen können. Nament¬
lich die besondre Vorsehung und die Herrschaft der Welsen bis ans Ende der
Tage unterlagen, mit welchem Pathos der König sie auch bei jeder passenden
und unpassenden Gelegenheit in seine Reden verflocht, zuweilen peinlichen Be¬
denken, vorzüglich als Preußen seit 1859 wieder kräftiger auftrat. Aber das
phantastische Selbstgefühl überwog zuletzt doch immer die Mahnung des Ver¬
standes, und so gerieth der König immer weiter auf Abwege von dem, was ihm
sein wohlverstandnes Interesse gebot. Wer auf seine Einbildung bereitwillig
einging, der war sein Mann, gleichgiltig, wie viel oder wie wenig er sonst taugte.
Wer seine Ideen als durch irgend etwas bedroht darzustellen verstand, der ver¬
mochte ihn, gleichviel, ob seine Darstellung Grund hatte oder nicht, zu den
unbilligsten und thörichtsten Maßregeln zu gewinnen. Dem, welchen er als
Gegner seiner Ideen kennen gelernt, war er der rücksichtsloseste und nachträg¬
lichste Verfolger.

Wenn der König den ganzen Starrsinn seines Vaters geerbt hatte, so besaß
er andrerseits wenig von dessen geradem Wesen, dagegen wieder die ganze Ver-
stelluugsgabe seiner Mutter. Das ging so weit, daß er -- wie durfte auch ein
Welfe an einer UnVollkommenheit leiden! -- vor dem großen Publicum nicht
als blind erscheinen wollte. Was Meding dagegen vorbringt, ist nicht stichhaltig.
Der König nahm Paraden ab und lobte die Haltung der vorbeidefilirenden Truppen,
er redete bei Hoffesten die einzelnen Geladenen an, als ob er sie sähe. Er inspicirte
Banernwirthschaftcn, ließ sich die Einrichtungen zeigen, musterte den Viehstapel
und äußerte auch darüber seine Meinung wie ein Sehender. Niemand durfte
ihn daran erinnern, daß ihm das Augenlicht fehlte. Wer sich dessen unterfing,
gleichviel, ob bewußt oder aus Versehen, der verfiel sofort in dauernde Ungnade.
Die allerunterthänigste Umgebung wußte das von verschiednen Beispielen her
und richtete ihr Verhalten darnach ein.

Wie weit die Gottesfurcht und Frömmigkeit Georgs echt war, die er bei
jeder Gelegenheit zur Schau trug und auch da im Munde führte, wohin sie


Hannovers Ende und Herr Meding.

stellen, daß sie „bis ans Ende der Tage" in ihrem Besitze und ihrer Glorie
erhalten bleiben wird, Hannover ist nur der Welsen wegen da, ihr Wille und
Interesse ist der Staat, Constitutionen, die dem entgegenstehen, sind ohne weitres
für null und nichtig zu erklären, da sie wider Vernunft und Natur sind. Han¬
nover hat endlich eine große Zukunft, seine Beherrschung von drei der wichtigsten
Ströme Deutschlands und seine langgestreckte Nordseeküste machen es nicht bloß
zu dem bedeutendsten der deutschen Mittelstaaten, von denen es sich so sehr an
Zukunftsgehalt unterscheidet, daß man es richtiger als Mittelreich bezeichnet,
sondern es steht in vielen Dingen, namentlich in maritimer Beziehung, selbst
über Preuße», und Deutschland wird das, was Hannover, also das Welfenthum,
ihm zu bieten hat, seiner Zeit zu schätzen wissen.

Wie alle Irrlichter waren auch diese nicht stetig. Es waren Phantasien,
keine festen Ueberzeugungen, auf denen man vornehm hätte ruhen können. Nament¬
lich die besondre Vorsehung und die Herrschaft der Welsen bis ans Ende der
Tage unterlagen, mit welchem Pathos der König sie auch bei jeder passenden
und unpassenden Gelegenheit in seine Reden verflocht, zuweilen peinlichen Be¬
denken, vorzüglich als Preußen seit 1859 wieder kräftiger auftrat. Aber das
phantastische Selbstgefühl überwog zuletzt doch immer die Mahnung des Ver¬
standes, und so gerieth der König immer weiter auf Abwege von dem, was ihm
sein wohlverstandnes Interesse gebot. Wer auf seine Einbildung bereitwillig
einging, der war sein Mann, gleichgiltig, wie viel oder wie wenig er sonst taugte.
Wer seine Ideen als durch irgend etwas bedroht darzustellen verstand, der ver¬
mochte ihn, gleichviel, ob seine Darstellung Grund hatte oder nicht, zu den
unbilligsten und thörichtsten Maßregeln zu gewinnen. Dem, welchen er als
Gegner seiner Ideen kennen gelernt, war er der rücksichtsloseste und nachträg¬
lichste Verfolger.

Wenn der König den ganzen Starrsinn seines Vaters geerbt hatte, so besaß
er andrerseits wenig von dessen geradem Wesen, dagegen wieder die ganze Ver-
stelluugsgabe seiner Mutter. Das ging so weit, daß er — wie durfte auch ein
Welfe an einer UnVollkommenheit leiden! — vor dem großen Publicum nicht
als blind erscheinen wollte. Was Meding dagegen vorbringt, ist nicht stichhaltig.
Der König nahm Paraden ab und lobte die Haltung der vorbeidefilirenden Truppen,
er redete bei Hoffesten die einzelnen Geladenen an, als ob er sie sähe. Er inspicirte
Banernwirthschaftcn, ließ sich die Einrichtungen zeigen, musterte den Viehstapel
und äußerte auch darüber seine Meinung wie ein Sehender. Niemand durfte
ihn daran erinnern, daß ihm das Augenlicht fehlte. Wer sich dessen unterfing,
gleichviel, ob bewußt oder aus Versehen, der verfiel sofort in dauernde Ungnade.
Die allerunterthänigste Umgebung wußte das von verschiednen Beispielen her
und richtete ihr Verhalten darnach ein.

Wie weit die Gottesfurcht und Frömmigkeit Georgs echt war, die er bei
jeder Gelegenheit zur Schau trug und auch da im Munde führte, wohin sie


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[0189] Hannovers Ende und Herr Meding. stellen, daß sie „bis ans Ende der Tage" in ihrem Besitze und ihrer Glorie erhalten bleiben wird, Hannover ist nur der Welsen wegen da, ihr Wille und Interesse ist der Staat, Constitutionen, die dem entgegenstehen, sind ohne weitres für null und nichtig zu erklären, da sie wider Vernunft und Natur sind. Han¬ nover hat endlich eine große Zukunft, seine Beherrschung von drei der wichtigsten Ströme Deutschlands und seine langgestreckte Nordseeküste machen es nicht bloß zu dem bedeutendsten der deutschen Mittelstaaten, von denen es sich so sehr an Zukunftsgehalt unterscheidet, daß man es richtiger als Mittelreich bezeichnet, sondern es steht in vielen Dingen, namentlich in maritimer Beziehung, selbst über Preuße», und Deutschland wird das, was Hannover, also das Welfenthum, ihm zu bieten hat, seiner Zeit zu schätzen wissen. Wie alle Irrlichter waren auch diese nicht stetig. Es waren Phantasien, keine festen Ueberzeugungen, auf denen man vornehm hätte ruhen können. Nament¬ lich die besondre Vorsehung und die Herrschaft der Welsen bis ans Ende der Tage unterlagen, mit welchem Pathos der König sie auch bei jeder passenden und unpassenden Gelegenheit in seine Reden verflocht, zuweilen peinlichen Be¬ denken, vorzüglich als Preußen seit 1859 wieder kräftiger auftrat. Aber das phantastische Selbstgefühl überwog zuletzt doch immer die Mahnung des Ver¬ standes, und so gerieth der König immer weiter auf Abwege von dem, was ihm sein wohlverstandnes Interesse gebot. Wer auf seine Einbildung bereitwillig einging, der war sein Mann, gleichgiltig, wie viel oder wie wenig er sonst taugte. Wer seine Ideen als durch irgend etwas bedroht darzustellen verstand, der ver¬ mochte ihn, gleichviel, ob seine Darstellung Grund hatte oder nicht, zu den unbilligsten und thörichtsten Maßregeln zu gewinnen. Dem, welchen er als Gegner seiner Ideen kennen gelernt, war er der rücksichtsloseste und nachträg¬ lichste Verfolger. Wenn der König den ganzen Starrsinn seines Vaters geerbt hatte, so besaß er andrerseits wenig von dessen geradem Wesen, dagegen wieder die ganze Ver- stelluugsgabe seiner Mutter. Das ging so weit, daß er — wie durfte auch ein Welfe an einer UnVollkommenheit leiden! — vor dem großen Publicum nicht als blind erscheinen wollte. Was Meding dagegen vorbringt, ist nicht stichhaltig. Der König nahm Paraden ab und lobte die Haltung der vorbeidefilirenden Truppen, er redete bei Hoffesten die einzelnen Geladenen an, als ob er sie sähe. Er inspicirte Banernwirthschaftcn, ließ sich die Einrichtungen zeigen, musterte den Viehstapel und äußerte auch darüber seine Meinung wie ein Sehender. Niemand durfte ihn daran erinnern, daß ihm das Augenlicht fehlte. Wer sich dessen unterfing, gleichviel, ob bewußt oder aus Versehen, der verfiel sofort in dauernde Ungnade. Die allerunterthänigste Umgebung wußte das von verschiednen Beispielen her und richtete ihr Verhalten darnach ein. Wie weit die Gottesfurcht und Frömmigkeit Georgs echt war, die er bei jeder Gelegenheit zur Schau trug und auch da im Munde führte, wohin sie

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157968/189>, abgerufen am 01.09.2024.