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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Drittes Quartal.

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Hannovers Lüde und Herr Meding,

neben ihm, deren Tochter, die jetzige Königin Victoria, ihm gegenüber. Man
trank ans seine Gesundheit. Er erhob sich und hielt vor versammeltem Hofe
eine furchtbare Philippiea gegen die "Person," die neben ihm sitze, die "von schlechten
Rathgebern umringt und ganz unfähig sei, in der Stellung, in welche sie durch
seinen Tod versetzt werden könnte (als Regentin), mit Anstand zu handeln." Er
erklärte, von dieser "Person" gröblich beleidigt worden zu sein, nun und nimmer
werde er solche Respectwidrigkeit dulden, und er hoffe noch lange genug zu leben, um
zu sehen, daß diese "Person" nicht zur Regierung komme, sondern die Prinzessin
Victoria sofort den Thron besteige. Alle Zuhörer waren wie versteinert. Die
Königin sah schmerzlich betroffen aus, die Prinzessin Victoria schluchzte, die Herzogin
von Kent schwieg. Am andern Tage wollte sie abreisen. Mit Mühe wurde weiterer
Scandal verhütet.

Wie auch unsrer Zeit näherstehende Glieder der Familie, z. B. der Vater
Georgs des Fünften, der Herzog von Cambridge, der Prinz von Wales sehr
eigenthümliche Charakterzüge entwickelten, sei nur angedeutet, und von einer andern
Persönlichkeit dieses Kreises schweigen wir ganz -- aus Galanterie und aus Gründen,
die man im Preßgesetze findet. Fast bei allen Sprossen des Hauses ließen sich
Spuren des Erbübels bemerken, bei einem in dieser, bei dem andern in jener Form.
Bei Georg dem Fünften trat es vorzüglich in derjenigen auf, in welcher es bei
seinem Urahn Jacob dem Ersten beobachtet worden war, wenn auch modificirt
durch die Manieren eines Gentleman, die der König im Unterschiede von seinen
beiden oben charakterisirten Oheimen besaß, durch seiue Blindheit und dnrch den
Umstand, daß Hannover keine Insel war. sondern zwischen Preußen lag, welches
damals mit der Reformation der dentschen Zustände beginnen wollte und im
weiteren Verlaufe wirklich begann.

Georg der Fünfte litt an verblendeter hartnäckiger Ueberhebung, die ihn
so hoch emporhob, daß er, zumal da er auch der physischen Sehkraft ermangelte,
die Wahrheit nicht mehr zu erkennen vermochte. Nur selbstsüchtigen Schmeichlern
sein Ohr leidend, konnte er die Wahrheit auch nicht hören. Sein einziges Licht
waren die wölfischen Ideen, und sie waren ein Irrlicht, das ihn zunächst der
Mehrzahl der politisch denkenden und strebenden in seinein Volke entfremdete
und ihn zuletzt vom Throne ins Exil führte. Die Wclfenideen waren etwa
folgende. Das Geschlecht der Welsen ist die älteste aller fürstlichen Dynastien
der Welt, und je älter desto unfehlbarer und desto ehrwürdiger. Die Welsen
waren schon Herzöge in Baiern und Sachsen, als die Hohenzollern es erst zu
Burggrafen in Nürnberg gebracht hatten, und ihr edles Blut ist durch spätere
Mischung mit dem erlauchte" Blute der Stuarts uoch vornehmer geworden, es
verdient seitdem eigentlich religiöse Verehrung. Eine expreß für sie angestellte
himmlische Behörde, eine special-Vorsehung hat sich angelegen sein lasse", mit
fördernder und schützender Hand für den Glanz dieser Familie von Halbgöttern
zu sorgen, zeitweilige ruchlose Beeinträchtigungen zu repariren und sie so zu


Hannovers Lüde und Herr Meding,

neben ihm, deren Tochter, die jetzige Königin Victoria, ihm gegenüber. Man
trank ans seine Gesundheit. Er erhob sich und hielt vor versammeltem Hofe
eine furchtbare Philippiea gegen die „Person," die neben ihm sitze, die „von schlechten
Rathgebern umringt und ganz unfähig sei, in der Stellung, in welche sie durch
seinen Tod versetzt werden könnte (als Regentin), mit Anstand zu handeln." Er
erklärte, von dieser „Person" gröblich beleidigt worden zu sein, nun und nimmer
werde er solche Respectwidrigkeit dulden, und er hoffe noch lange genug zu leben, um
zu sehen, daß diese „Person" nicht zur Regierung komme, sondern die Prinzessin
Victoria sofort den Thron besteige. Alle Zuhörer waren wie versteinert. Die
Königin sah schmerzlich betroffen aus, die Prinzessin Victoria schluchzte, die Herzogin
von Kent schwieg. Am andern Tage wollte sie abreisen. Mit Mühe wurde weiterer
Scandal verhütet.

Wie auch unsrer Zeit näherstehende Glieder der Familie, z. B. der Vater
Georgs des Fünften, der Herzog von Cambridge, der Prinz von Wales sehr
eigenthümliche Charakterzüge entwickelten, sei nur angedeutet, und von einer andern
Persönlichkeit dieses Kreises schweigen wir ganz — aus Galanterie und aus Gründen,
die man im Preßgesetze findet. Fast bei allen Sprossen des Hauses ließen sich
Spuren des Erbübels bemerken, bei einem in dieser, bei dem andern in jener Form.
Bei Georg dem Fünften trat es vorzüglich in derjenigen auf, in welcher es bei
seinem Urahn Jacob dem Ersten beobachtet worden war, wenn auch modificirt
durch die Manieren eines Gentleman, die der König im Unterschiede von seinen
beiden oben charakterisirten Oheimen besaß, durch seiue Blindheit und dnrch den
Umstand, daß Hannover keine Insel war. sondern zwischen Preußen lag, welches
damals mit der Reformation der dentschen Zustände beginnen wollte und im
weiteren Verlaufe wirklich begann.

Georg der Fünfte litt an verblendeter hartnäckiger Ueberhebung, die ihn
so hoch emporhob, daß er, zumal da er auch der physischen Sehkraft ermangelte,
die Wahrheit nicht mehr zu erkennen vermochte. Nur selbstsüchtigen Schmeichlern
sein Ohr leidend, konnte er die Wahrheit auch nicht hören. Sein einziges Licht
waren die wölfischen Ideen, und sie waren ein Irrlicht, das ihn zunächst der
Mehrzahl der politisch denkenden und strebenden in seinein Volke entfremdete
und ihn zuletzt vom Throne ins Exil führte. Die Wclfenideen waren etwa
folgende. Das Geschlecht der Welsen ist die älteste aller fürstlichen Dynastien
der Welt, und je älter desto unfehlbarer und desto ehrwürdiger. Die Welsen
waren schon Herzöge in Baiern und Sachsen, als die Hohenzollern es erst zu
Burggrafen in Nürnberg gebracht hatten, und ihr edles Blut ist durch spätere
Mischung mit dem erlauchte» Blute der Stuarts uoch vornehmer geworden, es
verdient seitdem eigentlich religiöse Verehrung. Eine expreß für sie angestellte
himmlische Behörde, eine special-Vorsehung hat sich angelegen sein lasse», mit
fördernder und schützender Hand für den Glanz dieser Familie von Halbgöttern
zu sorgen, zeitweilige ruchlose Beeinträchtigungen zu repariren und sie so zu


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157968/188>, abgerufen am 26.11.2024.