Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Drittes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite
Hannovers Ende und Herr Meding,

Was Blumigst" angeht, so nehmen wir dessen Standpunkt durchaus nicht
in allen Stücken ein. Wenn der Verfasser ihn aber als einen Mann angesehen
wissen will, den Ehrgeiz und Nichtanerkennung von Seiten der Regierung zum
Oppositivusmauue gemacht hätten, so ist das nicht bloß ungerecht, sondern ab¬
geschmackt, da jeder Hannoveraner mit einigen Gedächtniß weiß, daß Nennigsen
als Beamter die besten Aussichten auf rasche Beförderung gehabt habe" würde,
wenn er seine politische Ueberzeugung hätte opfern wollen.

Wenn endlich die Mediugschen Urtheile über den König in ihrer Gesammtheit
eine Verherrlichung dieses Fürsten bilde", so wollen wir diesem Verfahre" zwar
seiue gute Seite nicht bestreikn und wollen anerkennen, daß hier die Dankbarkeit
spricht; denn König Georg hat seinen: Günstling viel Einfluß eingeräumt und
ihn -- was bei Leuten dieser Art noch schwerer zu wiegen pflegt -- viel, sehr
viel Geld verdienen lassen, besonders in der Zeit zwischen 1867 bis 1870, wo
es in Paris im Interesse des erloschnen Welfensternes gegen das neugeborne
Deutschland zu intriguiren und zu Hetze" galt. Dankbarkeit ist eine Tilge"d,
aber die mit ihren Farben gemalten Charakterbilder gehören natürlich nicht in
die Geschichtschreibung, und wenn wir hier lesen, der blinde König habe sich
niemals als ein Sehender geberdet, sein Stolz auf sein Welfenblnt und seine
Ueberzeugung von der unnahbaren Heiligkeit seines königlichen Rechtes seien nie
im persönlichen Verkehr hervorgetreten, nie habe er rücksichtslos gehandelt, nie
Großmacht spielen "vollen, so greifen wir uns an de" Kopf und staune" über
die Dreistigkeit, die solche Behauptungen angesichts von hundert für das Gegen¬
theil sprechenden Thatsachen drucken zu lassen wagt -- eine Dreistigkeit, die aller¬
dings neben dem nicht beneidenswerthen Muthe, mit einem solchen Buche über¬
haupt wieder an seine politischen Sünden zu erinnern, nachdem man -- wir
vermutheten aus Scham -- für eine Zeit in die Haut des Sensationsroman-
Fabrikcinten Gregor Samarow gefahren und auch in ihr befriedigende Geschäfte
gemacht, nicht allzusehr Wunder nehmen kann.

Fragen wir nach dem eigentlichen Charakter des letzten Königs von Hannover,
so ist in der Kürze alles, was sich darüber sagen läßt, mit dem Hinweis darauf
gesagt, daß er das Blut der Welfen und der Stuarts in deu Adern trug, und daß
diese Mischung in deu letzten sieben oder acht Jahrzehnten mehr oder minder mit
Geistesstörung, Verblendung, Größenwahn, bisweilen mit offnem Wahnsinn gleich¬
bedeutend war. Georg der Dritte, König von England und Kurfürst von Hannover,
der Großvater des letzten hannoverschen Königs, war bekanntlich schon geraume
Zeit geisteskrank, als er im Januar 1820 starb, und seine beiden Nachfolger
waren nach den von Henry Reeve herausgegebnen Aufzeichnungen Grevilles, des
Geheimschreibens des Privy Councils, mindestens sehr groteske Persönlichkeitc",
bei denen oft an Verrücktheit streifende Ausbrüche der Leidenschaften vorkamen.

Georg der Vierte ließ sich uach jene" auf eigner Beobachtung beruhenden
Mittheilungen Grevilles bei den unbedeutendsten Anlässen zu stallkiiechtsartigenr


Hannovers Ende und Herr Meding,

Was Blumigst» angeht, so nehmen wir dessen Standpunkt durchaus nicht
in allen Stücken ein. Wenn der Verfasser ihn aber als einen Mann angesehen
wissen will, den Ehrgeiz und Nichtanerkennung von Seiten der Regierung zum
Oppositivusmauue gemacht hätten, so ist das nicht bloß ungerecht, sondern ab¬
geschmackt, da jeder Hannoveraner mit einigen Gedächtniß weiß, daß Nennigsen
als Beamter die besten Aussichten auf rasche Beförderung gehabt habe» würde,
wenn er seine politische Ueberzeugung hätte opfern wollen.

Wenn endlich die Mediugschen Urtheile über den König in ihrer Gesammtheit
eine Verherrlichung dieses Fürsten bilde», so wollen wir diesem Verfahre» zwar
seiue gute Seite nicht bestreikn und wollen anerkennen, daß hier die Dankbarkeit
spricht; denn König Georg hat seinen: Günstling viel Einfluß eingeräumt und
ihn — was bei Leuten dieser Art noch schwerer zu wiegen pflegt — viel, sehr
viel Geld verdienen lassen, besonders in der Zeit zwischen 1867 bis 1870, wo
es in Paris im Interesse des erloschnen Welfensternes gegen das neugeborne
Deutschland zu intriguiren und zu Hetze» galt. Dankbarkeit ist eine Tilge»d,
aber die mit ihren Farben gemalten Charakterbilder gehören natürlich nicht in
die Geschichtschreibung, und wenn wir hier lesen, der blinde König habe sich
niemals als ein Sehender geberdet, sein Stolz auf sein Welfenblnt und seine
Ueberzeugung von der unnahbaren Heiligkeit seines königlichen Rechtes seien nie
im persönlichen Verkehr hervorgetreten, nie habe er rücksichtslos gehandelt, nie
Großmacht spielen »vollen, so greifen wir uns an de» Kopf und staune» über
die Dreistigkeit, die solche Behauptungen angesichts von hundert für das Gegen¬
theil sprechenden Thatsachen drucken zu lassen wagt — eine Dreistigkeit, die aller¬
dings neben dem nicht beneidenswerthen Muthe, mit einem solchen Buche über¬
haupt wieder an seine politischen Sünden zu erinnern, nachdem man — wir
vermutheten aus Scham — für eine Zeit in die Haut des Sensationsroman-
Fabrikcinten Gregor Samarow gefahren und auch in ihr befriedigende Geschäfte
gemacht, nicht allzusehr Wunder nehmen kann.

Fragen wir nach dem eigentlichen Charakter des letzten Königs von Hannover,
so ist in der Kürze alles, was sich darüber sagen läßt, mit dem Hinweis darauf
gesagt, daß er das Blut der Welfen und der Stuarts in deu Adern trug, und daß
diese Mischung in deu letzten sieben oder acht Jahrzehnten mehr oder minder mit
Geistesstörung, Verblendung, Größenwahn, bisweilen mit offnem Wahnsinn gleich¬
bedeutend war. Georg der Dritte, König von England und Kurfürst von Hannover,
der Großvater des letzten hannoverschen Königs, war bekanntlich schon geraume
Zeit geisteskrank, als er im Januar 1820 starb, und seine beiden Nachfolger
waren nach den von Henry Reeve herausgegebnen Aufzeichnungen Grevilles, des
Geheimschreibens des Privy Councils, mindestens sehr groteske Persönlichkeitc»,
bei denen oft an Verrücktheit streifende Ausbrüche der Leidenschaften vorkamen.

Georg der Vierte ließ sich uach jene» auf eigner Beobachtung beruhenden
Mittheilungen Grevilles bei den unbedeutendsten Anlässen zu stallkiiechtsartigenr


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0186" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/150336"/>
          <fw type="header" place="top"> Hannovers Ende und Herr Meding,</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_628"> Was Blumigst» angeht, so nehmen wir dessen Standpunkt durchaus nicht<lb/>
in allen Stücken ein. Wenn der Verfasser ihn aber als einen Mann angesehen<lb/>
wissen will, den Ehrgeiz und Nichtanerkennung von Seiten der Regierung zum<lb/>
Oppositivusmauue gemacht hätten, so ist das nicht bloß ungerecht, sondern ab¬<lb/>
geschmackt, da jeder Hannoveraner mit einigen Gedächtniß weiß, daß Nennigsen<lb/>
als Beamter die besten Aussichten auf rasche Beförderung gehabt habe» würde,<lb/>
wenn er seine politische Ueberzeugung hätte opfern wollen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_629"> Wenn endlich die Mediugschen Urtheile über den König in ihrer Gesammtheit<lb/>
eine Verherrlichung dieses Fürsten bilde», so wollen wir diesem Verfahre» zwar<lb/>
seiue gute Seite nicht bestreikn und wollen anerkennen, daß hier die Dankbarkeit<lb/>
spricht; denn König Georg hat seinen: Günstling viel Einfluß eingeräumt und<lb/>
ihn &#x2014; was bei Leuten dieser Art noch schwerer zu wiegen pflegt &#x2014; viel, sehr<lb/>
viel Geld verdienen lassen, besonders in der Zeit zwischen 1867 bis 1870, wo<lb/>
es in Paris im Interesse des erloschnen Welfensternes gegen das neugeborne<lb/>
Deutschland zu intriguiren und zu Hetze» galt. Dankbarkeit ist eine Tilge»d,<lb/>
aber die mit ihren Farben gemalten Charakterbilder gehören natürlich nicht in<lb/>
die Geschichtschreibung, und wenn wir hier lesen, der blinde König habe sich<lb/>
niemals als ein Sehender geberdet, sein Stolz auf sein Welfenblnt und seine<lb/>
Ueberzeugung von der unnahbaren Heiligkeit seines königlichen Rechtes seien nie<lb/>
im persönlichen Verkehr hervorgetreten, nie habe er rücksichtslos gehandelt, nie<lb/>
Großmacht spielen »vollen, so greifen wir uns an de» Kopf und staune» über<lb/>
die Dreistigkeit, die solche Behauptungen angesichts von hundert für das Gegen¬<lb/>
theil sprechenden Thatsachen drucken zu lassen wagt &#x2014; eine Dreistigkeit, die aller¬<lb/>
dings neben dem nicht beneidenswerthen Muthe, mit einem solchen Buche über¬<lb/>
haupt wieder an seine politischen Sünden zu erinnern, nachdem man &#x2014; wir<lb/>
vermutheten aus Scham &#x2014; für eine Zeit in die Haut des Sensationsroman-<lb/>
Fabrikcinten Gregor Samarow gefahren und auch in ihr befriedigende Geschäfte<lb/>
gemacht, nicht allzusehr Wunder nehmen kann.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_630"> Fragen wir nach dem eigentlichen Charakter des letzten Königs von Hannover,<lb/>
so ist in der Kürze alles, was sich darüber sagen läßt, mit dem Hinweis darauf<lb/>
gesagt, daß er das Blut der Welfen und der Stuarts in deu Adern trug, und daß<lb/>
diese Mischung in deu letzten sieben oder acht Jahrzehnten mehr oder minder mit<lb/>
Geistesstörung, Verblendung, Größenwahn, bisweilen mit offnem Wahnsinn gleich¬<lb/>
bedeutend war. Georg der Dritte, König von England und Kurfürst von Hannover,<lb/>
der Großvater des letzten hannoverschen Königs, war bekanntlich schon geraume<lb/>
Zeit geisteskrank, als er im Januar 1820 starb, und seine beiden Nachfolger<lb/>
waren nach den von Henry Reeve herausgegebnen Aufzeichnungen Grevilles, des<lb/>
Geheimschreibens des Privy Councils, mindestens sehr groteske Persönlichkeitc»,<lb/>
bei denen oft an Verrücktheit streifende Ausbrüche der Leidenschaften vorkamen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_631" next="#ID_632"> Georg der Vierte ließ sich uach jene» auf eigner Beobachtung beruhenden<lb/>
Mittheilungen Grevilles bei den unbedeutendsten Anlässen zu stallkiiechtsartigenr</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0186] Hannovers Ende und Herr Meding, Was Blumigst» angeht, so nehmen wir dessen Standpunkt durchaus nicht in allen Stücken ein. Wenn der Verfasser ihn aber als einen Mann angesehen wissen will, den Ehrgeiz und Nichtanerkennung von Seiten der Regierung zum Oppositivusmauue gemacht hätten, so ist das nicht bloß ungerecht, sondern ab¬ geschmackt, da jeder Hannoveraner mit einigen Gedächtniß weiß, daß Nennigsen als Beamter die besten Aussichten auf rasche Beförderung gehabt habe» würde, wenn er seine politische Ueberzeugung hätte opfern wollen. Wenn endlich die Mediugschen Urtheile über den König in ihrer Gesammtheit eine Verherrlichung dieses Fürsten bilde», so wollen wir diesem Verfahre» zwar seiue gute Seite nicht bestreikn und wollen anerkennen, daß hier die Dankbarkeit spricht; denn König Georg hat seinen: Günstling viel Einfluß eingeräumt und ihn — was bei Leuten dieser Art noch schwerer zu wiegen pflegt — viel, sehr viel Geld verdienen lassen, besonders in der Zeit zwischen 1867 bis 1870, wo es in Paris im Interesse des erloschnen Welfensternes gegen das neugeborne Deutschland zu intriguiren und zu Hetze» galt. Dankbarkeit ist eine Tilge»d, aber die mit ihren Farben gemalten Charakterbilder gehören natürlich nicht in die Geschichtschreibung, und wenn wir hier lesen, der blinde König habe sich niemals als ein Sehender geberdet, sein Stolz auf sein Welfenblnt und seine Ueberzeugung von der unnahbaren Heiligkeit seines königlichen Rechtes seien nie im persönlichen Verkehr hervorgetreten, nie habe er rücksichtslos gehandelt, nie Großmacht spielen »vollen, so greifen wir uns an de» Kopf und staune» über die Dreistigkeit, die solche Behauptungen angesichts von hundert für das Gegen¬ theil sprechenden Thatsachen drucken zu lassen wagt — eine Dreistigkeit, die aller¬ dings neben dem nicht beneidenswerthen Muthe, mit einem solchen Buche über¬ haupt wieder an seine politischen Sünden zu erinnern, nachdem man — wir vermutheten aus Scham — für eine Zeit in die Haut des Sensationsroman- Fabrikcinten Gregor Samarow gefahren und auch in ihr befriedigende Geschäfte gemacht, nicht allzusehr Wunder nehmen kann. Fragen wir nach dem eigentlichen Charakter des letzten Königs von Hannover, so ist in der Kürze alles, was sich darüber sagen läßt, mit dem Hinweis darauf gesagt, daß er das Blut der Welfen und der Stuarts in deu Adern trug, und daß diese Mischung in deu letzten sieben oder acht Jahrzehnten mehr oder minder mit Geistesstörung, Verblendung, Größenwahn, bisweilen mit offnem Wahnsinn gleich¬ bedeutend war. Georg der Dritte, König von England und Kurfürst von Hannover, der Großvater des letzten hannoverschen Königs, war bekanntlich schon geraume Zeit geisteskrank, als er im Januar 1820 starb, und seine beiden Nachfolger waren nach den von Henry Reeve herausgegebnen Aufzeichnungen Grevilles, des Geheimschreibens des Privy Councils, mindestens sehr groteske Persönlichkeitc», bei denen oft an Verrücktheit streifende Ausbrüche der Leidenschaften vorkamen. Georg der Vierte ließ sich uach jene» auf eigner Beobachtung beruhenden Mittheilungen Grevilles bei den unbedeutendsten Anlässen zu stallkiiechtsartigenr

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157968
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157968/186
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157968/186>, abgerufen am 26.11.2024.