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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Drittes Quartal.

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Literatur.

dasjenige darzustellen, was außerhalb der Grenzen des Kunstschönen liegt,
finden sich bei den Bildhauern viel seltener als bei den Malern. Wir finden
zwar ein vor Hunger sterbendes Kind, Gipsfigur von Basley, eine Mutter,
die, auf dem Kiel eines in den Fluthen versinkendem Fahrzeuges stehend, um
Hilfe schreiend ihr Kind emporhebt, lebensgroße Gruppe von Coclez, eine
Courtisane, die an einem entsetzlichen Krüppel ohne Beine vorbeirauscht, lebens¬
große Gruppe von bunt bemalter Terraevtta von Ringel; aber das sind am
Ende einzelne Verirrungen, welche unter der Menge des Guten, Edlen und
schönen verschwinden. Der letztgenannte Bildhauer kann sich übrigens auf eine
moralische Absicht berufen, da er die Gegensätze, welche sich täglich auf dem
Pariser Pflaster bewegen, in recht schneidenden Contrasten vor Augen führen
wollte, während der Maler Dufnux, der einen scheußlichen Cretin in seiner
ganzen abschreckenden Häßlichkeit gemalt hat, seine corrupte Idee nicht einmal
damit vertheidigen kann.

In der Behandlung des nackten Körpers, in der feinen Durchbildung der
Form und in der Charakteristik der Gewandstoffe sind die französischen Bild-
hauer Virtuosen von unbeschränktem Können. Ein Mann wie Gerome, der
berühmte Orientmaler, von dem man nicht weiß, ob er größer als Bildhauer
oder als Maler ist, steht in der modernen Kunstgeschichte einzig da. Seine Gruppe
"Anakreon, Bacchus und Amor" war von entzückender Frische, voll köstlichen,
schalkhaften Humors. An keinem Zuge bemerkte man, daß mau die Arbeit
eines hohen Fünfzigers vor sich hatte. Ans einer gleichen Stufe der Vollendung
standen die Marmorstatue Aubers vou Delaplanche, der Burleskendichter
Frcmyois Viktor von Etchetv, mit der wMMv Ä'doiwvm' gekrönt, ein Meister¬
werk in der Behandlung des malerischen Cvstüms, der "Tod der Alceste" von
A klärt, der "Gestürzte PhaLton" von Engrand, der " Schlaf" von Escoula, das
"Verlorne Paradies" von Gautherin. Und um diese anserlesne Phalanx gruppirte
sich noch eine zahlreiche Schaar tüchtiger Kräfte, deren Arbeiten aufs deutlichste
bewiesen, daß die französische Plastik sich in dem Grade aufwärts bewegt, als
die französische Malerei von ihrer Höhe herabsteigt.




Literatur.
Geschichte Castiliens im 12. und 13. Jahrhundert von Dr. Friedrich
Wilhelm Schirrmacher, Professor der Geschichte an der Universität Rostock.
Gotha, F. A. Perthes, 1881.

Während Heinrich Schäfer in seiner drei Bände umfassenden Geschichte Spaniens
hauptsächlich Arcigonien und Catalonien behandelt, hat Schirrmacher in dem vor-


Literatur.

dasjenige darzustellen, was außerhalb der Grenzen des Kunstschönen liegt,
finden sich bei den Bildhauern viel seltener als bei den Malern. Wir finden
zwar ein vor Hunger sterbendes Kind, Gipsfigur von Basley, eine Mutter,
die, auf dem Kiel eines in den Fluthen versinkendem Fahrzeuges stehend, um
Hilfe schreiend ihr Kind emporhebt, lebensgroße Gruppe von Coclez, eine
Courtisane, die an einem entsetzlichen Krüppel ohne Beine vorbeirauscht, lebens¬
große Gruppe von bunt bemalter Terraevtta von Ringel; aber das sind am
Ende einzelne Verirrungen, welche unter der Menge des Guten, Edlen und
schönen verschwinden. Der letztgenannte Bildhauer kann sich übrigens auf eine
moralische Absicht berufen, da er die Gegensätze, welche sich täglich auf dem
Pariser Pflaster bewegen, in recht schneidenden Contrasten vor Augen führen
wollte, während der Maler Dufnux, der einen scheußlichen Cretin in seiner
ganzen abschreckenden Häßlichkeit gemalt hat, seine corrupte Idee nicht einmal
damit vertheidigen kann.

In der Behandlung des nackten Körpers, in der feinen Durchbildung der
Form und in der Charakteristik der Gewandstoffe sind die französischen Bild-
hauer Virtuosen von unbeschränktem Können. Ein Mann wie Gerome, der
berühmte Orientmaler, von dem man nicht weiß, ob er größer als Bildhauer
oder als Maler ist, steht in der modernen Kunstgeschichte einzig da. Seine Gruppe
„Anakreon, Bacchus und Amor" war von entzückender Frische, voll köstlichen,
schalkhaften Humors. An keinem Zuge bemerkte man, daß mau die Arbeit
eines hohen Fünfzigers vor sich hatte. Ans einer gleichen Stufe der Vollendung
standen die Marmorstatue Aubers vou Delaplanche, der Burleskendichter
Frcmyois Viktor von Etchetv, mit der wMMv Ä'doiwvm' gekrönt, ein Meister¬
werk in der Behandlung des malerischen Cvstüms, der „Tod der Alceste" von
A klärt, der „Gestürzte PhaLton" von Engrand, der „ Schlaf" von Escoula, das
„Verlorne Paradies" von Gautherin. Und um diese anserlesne Phalanx gruppirte
sich noch eine zahlreiche Schaar tüchtiger Kräfte, deren Arbeiten aufs deutlichste
bewiesen, daß die französische Plastik sich in dem Grade aufwärts bewegt, als
die französische Malerei von ihrer Höhe herabsteigt.




Literatur.
Geschichte Castiliens im 12. und 13. Jahrhundert von Dr. Friedrich
Wilhelm Schirrmacher, Professor der Geschichte an der Universität Rostock.
Gotha, F. A. Perthes, 1881.

Während Heinrich Schäfer in seiner drei Bände umfassenden Geschichte Spaniens
hauptsächlich Arcigonien und Catalonien behandelt, hat Schirrmacher in dem vor-


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[0182] Literatur. dasjenige darzustellen, was außerhalb der Grenzen des Kunstschönen liegt, finden sich bei den Bildhauern viel seltener als bei den Malern. Wir finden zwar ein vor Hunger sterbendes Kind, Gipsfigur von Basley, eine Mutter, die, auf dem Kiel eines in den Fluthen versinkendem Fahrzeuges stehend, um Hilfe schreiend ihr Kind emporhebt, lebensgroße Gruppe von Coclez, eine Courtisane, die an einem entsetzlichen Krüppel ohne Beine vorbeirauscht, lebens¬ große Gruppe von bunt bemalter Terraevtta von Ringel; aber das sind am Ende einzelne Verirrungen, welche unter der Menge des Guten, Edlen und schönen verschwinden. Der letztgenannte Bildhauer kann sich übrigens auf eine moralische Absicht berufen, da er die Gegensätze, welche sich täglich auf dem Pariser Pflaster bewegen, in recht schneidenden Contrasten vor Augen führen wollte, während der Maler Dufnux, der einen scheußlichen Cretin in seiner ganzen abschreckenden Häßlichkeit gemalt hat, seine corrupte Idee nicht einmal damit vertheidigen kann. In der Behandlung des nackten Körpers, in der feinen Durchbildung der Form und in der Charakteristik der Gewandstoffe sind die französischen Bild- hauer Virtuosen von unbeschränktem Können. Ein Mann wie Gerome, der berühmte Orientmaler, von dem man nicht weiß, ob er größer als Bildhauer oder als Maler ist, steht in der modernen Kunstgeschichte einzig da. Seine Gruppe „Anakreon, Bacchus und Amor" war von entzückender Frische, voll köstlichen, schalkhaften Humors. An keinem Zuge bemerkte man, daß mau die Arbeit eines hohen Fünfzigers vor sich hatte. Ans einer gleichen Stufe der Vollendung standen die Marmorstatue Aubers vou Delaplanche, der Burleskendichter Frcmyois Viktor von Etchetv, mit der wMMv Ä'doiwvm' gekrönt, ein Meister¬ werk in der Behandlung des malerischen Cvstüms, der „Tod der Alceste" von A klärt, der „Gestürzte PhaLton" von Engrand, der „ Schlaf" von Escoula, das „Verlorne Paradies" von Gautherin. Und um diese anserlesne Phalanx gruppirte sich noch eine zahlreiche Schaar tüchtiger Kräfte, deren Arbeiten aufs deutlichste bewiesen, daß die französische Plastik sich in dem Grade aufwärts bewegt, als die französische Malerei von ihrer Höhe herabsteigt. Literatur. Geschichte Castiliens im 12. und 13. Jahrhundert von Dr. Friedrich Wilhelm Schirrmacher, Professor der Geschichte an der Universität Rostock. Gotha, F. A. Perthes, 1881. Während Heinrich Schäfer in seiner drei Bände umfassenden Geschichte Spaniens hauptsächlich Arcigonien und Catalonien behandelt, hat Schirrmacher in dem vor-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157968/182>, abgerufen am 27.11.2024.