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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Drittes Quartal.

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Der Pariser Salon.

Girard et ein von der Karawane zurückgelassenes Kamel in der Wüste ver¬
hungern läßt, so sind das Unglücksfälle, die neben jener ekelerregenden Brutalität
in einem fast harmlosen Lichte erscheinen.

Zu dem unheimlichen Reiz des Grauens tritt der Reiz der Pikanterie,
wenn die Stoffe aus dem modernen Leben geschöpft sind. Ich will nur drei
Beispiele anführen. Heill, der in diesem Jahre den Vogel abgeschossen hat,
wirft ein junges schönes Mädchen in koketter rosafarbener Toilette quer über
die Schienen, während aus dem Hintergrunde bereits die Locomotive heranbraust.
Am hellen lichten Tage, in schöner Sommcrlandschaft geht dieses Drama vor
sich, welches der Katalog, um in den gerührten und geängsteten Beschauern keine
Illusionen aufkommen zu lassen, hart und grausam als einen "Selbstmord aus
Liebe" bezeichnet. Die Wirkung dieses originellen Bildes ist um so frappanter,
als dasselbe mit höchster Virtuosität gemalt ist und aus den verstörten Zügen
des jungen Mädchens die Todesangst mit erschreckender Wahrheit spricht. Ein
schauerliches Notturno von Chabot bildet das Seitenstück zu dem eben be¬
schriebenen Bilde. Hier liegt ein junger Mann in schwarzem Frack und weißer
Cravatte erschossen auf dem Boden eines Spiclsalons. Aus einer Kopfwunde
rieselt das Blut auf den Teppich, und die Hand des Selbstmörders hält noch
krampfhaft die Pistole. Lejeune zeigt uus die Nutzanwendung des Dumas-
schen: 'I'no-liU Ein Ehemann hat seine Gattin auf unrechten Wege ertappt,
wie es scheint in llsH'i'Ani, und hat die Treulose, die nun in höchst verführerischer
Toilette auf dem Divan liegt, kurzweg niedergeschossen.

Doch genug mit dieser Wanderung durch das Reich der Finsterniß und des
Schreckens. Steigen wir zu lichtern Regionen empor, in welche uns Falero
führen mag, dessen kleines, unscheinbares, von den meisten Besuchern gewiß über-
sehenes Bild "Der Doppelstern" zu den erfreulichsten und liebenswürdigsten
Schöpfungen im diesjährigen "Salon" gehört. Er zeigt uns einen Theil des
nächtlichen Himmels, aus welchem Sterne von verschiedenen Größen aufleuchten,
die von jungen unbekleideten Mädchen gleichsam in der Schwebe gehalten werden.
Ganz im Vordergründe schwebt ein Dvppelgestirn, unter dem sich zwei aller¬
liebste Gestalten in anmuthiger Gruppirung bewegen. Der poetische Gedanke
ist in der zartesten, duftigsten Form zur Erscheinung gebracht.

Unter den Genrebildern sind es vorzugsweise die aus dem Leben der Straße
und des Salons, welche uns alle Vorzüge der französischen Malerei, Lebendig¬
keit der Auffassung, Wahrheit und Schärfe der Charakteristik, Frische und kokette
Leichtigkeit des Vortrags, in glänzendsten Lichte erscheinen lassen. Da ist zuerst
Viberts, des ausgezeichneten Kleinmalers, "Probe ans einem Liebhabertheater"
zu nennen, dann desselben "Atelier am Abend," in welchem von Malern und
Malerinnen nach dem lebenden Modell gearbeitet wird, die "Rückkehr einer
Fahnen-Compagnie durch die Champs-Elysses" von Delanee, der "Omnibus"
von Binet, die "Abendschule Erwachsener" von Blanchon und Berndtsons


Grenzboten III. 1331. 22
Der Pariser Salon.

Girard et ein von der Karawane zurückgelassenes Kamel in der Wüste ver¬
hungern läßt, so sind das Unglücksfälle, die neben jener ekelerregenden Brutalität
in einem fast harmlosen Lichte erscheinen.

Zu dem unheimlichen Reiz des Grauens tritt der Reiz der Pikanterie,
wenn die Stoffe aus dem modernen Leben geschöpft sind. Ich will nur drei
Beispiele anführen. Heill, der in diesem Jahre den Vogel abgeschossen hat,
wirft ein junges schönes Mädchen in koketter rosafarbener Toilette quer über
die Schienen, während aus dem Hintergrunde bereits die Locomotive heranbraust.
Am hellen lichten Tage, in schöner Sommcrlandschaft geht dieses Drama vor
sich, welches der Katalog, um in den gerührten und geängsteten Beschauern keine
Illusionen aufkommen zu lassen, hart und grausam als einen „Selbstmord aus
Liebe" bezeichnet. Die Wirkung dieses originellen Bildes ist um so frappanter,
als dasselbe mit höchster Virtuosität gemalt ist und aus den verstörten Zügen
des jungen Mädchens die Todesangst mit erschreckender Wahrheit spricht. Ein
schauerliches Notturno von Chabot bildet das Seitenstück zu dem eben be¬
schriebenen Bilde. Hier liegt ein junger Mann in schwarzem Frack und weißer
Cravatte erschossen auf dem Boden eines Spiclsalons. Aus einer Kopfwunde
rieselt das Blut auf den Teppich, und die Hand des Selbstmörders hält noch
krampfhaft die Pistole. Lejeune zeigt uus die Nutzanwendung des Dumas-
schen: 'I'no-liU Ein Ehemann hat seine Gattin auf unrechten Wege ertappt,
wie es scheint in llsH'i'Ani, und hat die Treulose, die nun in höchst verführerischer
Toilette auf dem Divan liegt, kurzweg niedergeschossen.

Doch genug mit dieser Wanderung durch das Reich der Finsterniß und des
Schreckens. Steigen wir zu lichtern Regionen empor, in welche uns Falero
führen mag, dessen kleines, unscheinbares, von den meisten Besuchern gewiß über-
sehenes Bild „Der Doppelstern" zu den erfreulichsten und liebenswürdigsten
Schöpfungen im diesjährigen „Salon" gehört. Er zeigt uns einen Theil des
nächtlichen Himmels, aus welchem Sterne von verschiedenen Größen aufleuchten,
die von jungen unbekleideten Mädchen gleichsam in der Schwebe gehalten werden.
Ganz im Vordergründe schwebt ein Dvppelgestirn, unter dem sich zwei aller¬
liebste Gestalten in anmuthiger Gruppirung bewegen. Der poetische Gedanke
ist in der zartesten, duftigsten Form zur Erscheinung gebracht.

Unter den Genrebildern sind es vorzugsweise die aus dem Leben der Straße
und des Salons, welche uns alle Vorzüge der französischen Malerei, Lebendig¬
keit der Auffassung, Wahrheit und Schärfe der Charakteristik, Frische und kokette
Leichtigkeit des Vortrags, in glänzendsten Lichte erscheinen lassen. Da ist zuerst
Viberts, des ausgezeichneten Kleinmalers, „Probe ans einem Liebhabertheater"
zu nennen, dann desselben „Atelier am Abend," in welchem von Malern und
Malerinnen nach dem lebenden Modell gearbeitet wird, die „Rückkehr einer
Fahnen-Compagnie durch die Champs-Elysses" von Delanee, der „Omnibus"
von Binet, die „Abendschule Erwachsener" von Blanchon und Berndtsons


Grenzboten III. 1331. 22
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[0177] Der Pariser Salon. Girard et ein von der Karawane zurückgelassenes Kamel in der Wüste ver¬ hungern läßt, so sind das Unglücksfälle, die neben jener ekelerregenden Brutalität in einem fast harmlosen Lichte erscheinen. Zu dem unheimlichen Reiz des Grauens tritt der Reiz der Pikanterie, wenn die Stoffe aus dem modernen Leben geschöpft sind. Ich will nur drei Beispiele anführen. Heill, der in diesem Jahre den Vogel abgeschossen hat, wirft ein junges schönes Mädchen in koketter rosafarbener Toilette quer über die Schienen, während aus dem Hintergrunde bereits die Locomotive heranbraust. Am hellen lichten Tage, in schöner Sommcrlandschaft geht dieses Drama vor sich, welches der Katalog, um in den gerührten und geängsteten Beschauern keine Illusionen aufkommen zu lassen, hart und grausam als einen „Selbstmord aus Liebe" bezeichnet. Die Wirkung dieses originellen Bildes ist um so frappanter, als dasselbe mit höchster Virtuosität gemalt ist und aus den verstörten Zügen des jungen Mädchens die Todesangst mit erschreckender Wahrheit spricht. Ein schauerliches Notturno von Chabot bildet das Seitenstück zu dem eben be¬ schriebenen Bilde. Hier liegt ein junger Mann in schwarzem Frack und weißer Cravatte erschossen auf dem Boden eines Spiclsalons. Aus einer Kopfwunde rieselt das Blut auf den Teppich, und die Hand des Selbstmörders hält noch krampfhaft die Pistole. Lejeune zeigt uus die Nutzanwendung des Dumas- schen: 'I'no-liU Ein Ehemann hat seine Gattin auf unrechten Wege ertappt, wie es scheint in llsH'i'Ani, und hat die Treulose, die nun in höchst verführerischer Toilette auf dem Divan liegt, kurzweg niedergeschossen. Doch genug mit dieser Wanderung durch das Reich der Finsterniß und des Schreckens. Steigen wir zu lichtern Regionen empor, in welche uns Falero führen mag, dessen kleines, unscheinbares, von den meisten Besuchern gewiß über- sehenes Bild „Der Doppelstern" zu den erfreulichsten und liebenswürdigsten Schöpfungen im diesjährigen „Salon" gehört. Er zeigt uns einen Theil des nächtlichen Himmels, aus welchem Sterne von verschiedenen Größen aufleuchten, die von jungen unbekleideten Mädchen gleichsam in der Schwebe gehalten werden. Ganz im Vordergründe schwebt ein Dvppelgestirn, unter dem sich zwei aller¬ liebste Gestalten in anmuthiger Gruppirung bewegen. Der poetische Gedanke ist in der zartesten, duftigsten Form zur Erscheinung gebracht. Unter den Genrebildern sind es vorzugsweise die aus dem Leben der Straße und des Salons, welche uns alle Vorzüge der französischen Malerei, Lebendig¬ keit der Auffassung, Wahrheit und Schärfe der Charakteristik, Frische und kokette Leichtigkeit des Vortrags, in glänzendsten Lichte erscheinen lassen. Da ist zuerst Viberts, des ausgezeichneten Kleinmalers, „Probe ans einem Liebhabertheater" zu nennen, dann desselben „Atelier am Abend," in welchem von Malern und Malerinnen nach dem lebenden Modell gearbeitet wird, die „Rückkehr einer Fahnen-Compagnie durch die Champs-Elysses" von Delanee, der „Omnibus" von Binet, die „Abendschule Erwachsener" von Blanchon und Berndtsons Grenzboten III. 1331. 22

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157968/177>, abgerufen am 27.11.2024.