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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Drittes Quartal.

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Alfred Meißner.

Genie zu würdigen. Der andre, Alfred Meißner, ist dem Verständnisse der
Masse weit zugänglicher, sein Publicum ist größer, er ist ein leidenschafterfülltes
Gemüth und ich bin überzeugt, daß es ihm gelingen wird, sich einst die Popu¬
larität Friedrich Schillers zu erobern, dessen präsumtiver Erbe er in Deutsch¬
land ist." (Werke, Band 5.)

Seltsam! Um dieselbe Zeit, da unser größter Lyriker seit Goethe diese Worte
einer ungestümen und fast leidenschaftlichen Anerkennung öffentlich aussprach,
resignirte derjenige, dem sie galten, für alle Zeit auf Bühnenerfolge und wandte
sich von aller dramatischen Production mit schwerem Entschlüsse für immer ab.
Er hatte sich mit dem "Prätendenten von Dort" auf den für ihn verhängniß-
vollen Boden der Wiener Hofburg gewagt -- zu seinem Schaden. Das Stück
ward nach der dritten Aufführung aota gelegt.

Damals ^ Laube leitete das Hofburgtheater -- war Wien in Bühnen¬
sachen absolut maßgebend. Was in Wien nicht gefallen hatte, wurde einfach
auf den übrigen deutschen Bühnen bei Seite gelegt. Laube hatte sich gewiß
redliche Mühe im Interesse des Stückes gegeben, aber der Zeitpunkt, das Stück
auf das Burgtheater zu bringe", war verfehlt, es waren zu viele Momente
vorhanden, die dem Dichter ungünstig waren. Alle Hoffnungen Meißners
waren zusammengebrochen; was blieb ihm übrig, als der Thätigkeit zu ent¬
sagen, zu der er sich seit seine" Jünglingstagen berufen geglaubt? Eine schreck¬
liche Unzufriedenheit und Verdüsterung überfiel ihn. Aus dieser Periode stammen
die Zeilen eines "Zerrissenheit" überschriebenen Gedichtes, die uns seinen Seelen¬
zustand zeigen und nicht schärfer und schneidender sein können.


Wenn nichts gelingt, wenn jedes Ziel uns höhnt,
Wenn keine Spur von aller Arbeit bleibt,
Als Schwielen an der Hand, am Herzen Wunden,
Beginnt ein grauenvoller Müssiggang,
Der tiefes Mitleid, keinen Schimpf verdient;
Man hofft nicht, man verzweifelt auch nicht mehr,
Was man erwartet, kömmt zuletzt: das Ende.
So sitzt man lebend auf dem eignen Grab.

In dieser Zeit vernichtete Meißner alle dramatischen Entwürfe, die er in feinem
Pulte verwahrt hatte, und nahm sich, um nicht mehr zu dramatischer Pro¬
duction verleitet zu werden, das Versprechen ab, das Theater gar nicht zu
besuchen, kein Schauspiel mehr anzusehen. Zehn Jahre hindurch hat er dies
Gelöbniß inmitten einer Stadt, in der das regste Theaterleben herrschte, ge¬
halten.

Doch ein Mensch, mit einer Idee geboren, verzagt nicht auf lange. Meißner
beschloß seine Thätigkeit auf ein andres Gebiet, das des Romans, zu übertragen.
Dieser Entschluß sollte abermals für seine literarische Thätigkeit entscheidend
werden. Doch begleiten wir ihn noch zuvor zur Erfüllung einer Pflicht der
Pietät. Diese knüpft sich an Heinrich Heines Tod.


Alfred Meißner.

Genie zu würdigen. Der andre, Alfred Meißner, ist dem Verständnisse der
Masse weit zugänglicher, sein Publicum ist größer, er ist ein leidenschafterfülltes
Gemüth und ich bin überzeugt, daß es ihm gelingen wird, sich einst die Popu¬
larität Friedrich Schillers zu erobern, dessen präsumtiver Erbe er in Deutsch¬
land ist." (Werke, Band 5.)

Seltsam! Um dieselbe Zeit, da unser größter Lyriker seit Goethe diese Worte
einer ungestümen und fast leidenschaftlichen Anerkennung öffentlich aussprach,
resignirte derjenige, dem sie galten, für alle Zeit auf Bühnenerfolge und wandte
sich von aller dramatischen Production mit schwerem Entschlüsse für immer ab.
Er hatte sich mit dem „Prätendenten von Dort" auf den für ihn verhängniß-
vollen Boden der Wiener Hofburg gewagt — zu seinem Schaden. Das Stück
ward nach der dritten Aufführung aota gelegt.

Damals ^ Laube leitete das Hofburgtheater — war Wien in Bühnen¬
sachen absolut maßgebend. Was in Wien nicht gefallen hatte, wurde einfach
auf den übrigen deutschen Bühnen bei Seite gelegt. Laube hatte sich gewiß
redliche Mühe im Interesse des Stückes gegeben, aber der Zeitpunkt, das Stück
auf das Burgtheater zu bringe», war verfehlt, es waren zu viele Momente
vorhanden, die dem Dichter ungünstig waren. Alle Hoffnungen Meißners
waren zusammengebrochen; was blieb ihm übrig, als der Thätigkeit zu ent¬
sagen, zu der er sich seit seine« Jünglingstagen berufen geglaubt? Eine schreck¬
liche Unzufriedenheit und Verdüsterung überfiel ihn. Aus dieser Periode stammen
die Zeilen eines „Zerrissenheit" überschriebenen Gedichtes, die uns seinen Seelen¬
zustand zeigen und nicht schärfer und schneidender sein können.


Wenn nichts gelingt, wenn jedes Ziel uns höhnt,
Wenn keine Spur von aller Arbeit bleibt,
Als Schwielen an der Hand, am Herzen Wunden,
Beginnt ein grauenvoller Müssiggang,
Der tiefes Mitleid, keinen Schimpf verdient;
Man hofft nicht, man verzweifelt auch nicht mehr,
Was man erwartet, kömmt zuletzt: das Ende.
So sitzt man lebend auf dem eignen Grab.

In dieser Zeit vernichtete Meißner alle dramatischen Entwürfe, die er in feinem
Pulte verwahrt hatte, und nahm sich, um nicht mehr zu dramatischer Pro¬
duction verleitet zu werden, das Versprechen ab, das Theater gar nicht zu
besuchen, kein Schauspiel mehr anzusehen. Zehn Jahre hindurch hat er dies
Gelöbniß inmitten einer Stadt, in der das regste Theaterleben herrschte, ge¬
halten.

Doch ein Mensch, mit einer Idee geboren, verzagt nicht auf lange. Meißner
beschloß seine Thätigkeit auf ein andres Gebiet, das des Romans, zu übertragen.
Dieser Entschluß sollte abermals für seine literarische Thätigkeit entscheidend
werden. Doch begleiten wir ihn noch zuvor zur Erfüllung einer Pflicht der
Pietät. Diese knüpft sich an Heinrich Heines Tod.


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[0171] Alfred Meißner. Genie zu würdigen. Der andre, Alfred Meißner, ist dem Verständnisse der Masse weit zugänglicher, sein Publicum ist größer, er ist ein leidenschafterfülltes Gemüth und ich bin überzeugt, daß es ihm gelingen wird, sich einst die Popu¬ larität Friedrich Schillers zu erobern, dessen präsumtiver Erbe er in Deutsch¬ land ist." (Werke, Band 5.) Seltsam! Um dieselbe Zeit, da unser größter Lyriker seit Goethe diese Worte einer ungestümen und fast leidenschaftlichen Anerkennung öffentlich aussprach, resignirte derjenige, dem sie galten, für alle Zeit auf Bühnenerfolge und wandte sich von aller dramatischen Production mit schwerem Entschlüsse für immer ab. Er hatte sich mit dem „Prätendenten von Dort" auf den für ihn verhängniß- vollen Boden der Wiener Hofburg gewagt — zu seinem Schaden. Das Stück ward nach der dritten Aufführung aota gelegt. Damals ^ Laube leitete das Hofburgtheater — war Wien in Bühnen¬ sachen absolut maßgebend. Was in Wien nicht gefallen hatte, wurde einfach auf den übrigen deutschen Bühnen bei Seite gelegt. Laube hatte sich gewiß redliche Mühe im Interesse des Stückes gegeben, aber der Zeitpunkt, das Stück auf das Burgtheater zu bringe», war verfehlt, es waren zu viele Momente vorhanden, die dem Dichter ungünstig waren. Alle Hoffnungen Meißners waren zusammengebrochen; was blieb ihm übrig, als der Thätigkeit zu ent¬ sagen, zu der er sich seit seine« Jünglingstagen berufen geglaubt? Eine schreck¬ liche Unzufriedenheit und Verdüsterung überfiel ihn. Aus dieser Periode stammen die Zeilen eines „Zerrissenheit" überschriebenen Gedichtes, die uns seinen Seelen¬ zustand zeigen und nicht schärfer und schneidender sein können. Wenn nichts gelingt, wenn jedes Ziel uns höhnt, Wenn keine Spur von aller Arbeit bleibt, Als Schwielen an der Hand, am Herzen Wunden, Beginnt ein grauenvoller Müssiggang, Der tiefes Mitleid, keinen Schimpf verdient; Man hofft nicht, man verzweifelt auch nicht mehr, Was man erwartet, kömmt zuletzt: das Ende. So sitzt man lebend auf dem eignen Grab. In dieser Zeit vernichtete Meißner alle dramatischen Entwürfe, die er in feinem Pulte verwahrt hatte, und nahm sich, um nicht mehr zu dramatischer Pro¬ duction verleitet zu werden, das Versprechen ab, das Theater gar nicht zu besuchen, kein Schauspiel mehr anzusehen. Zehn Jahre hindurch hat er dies Gelöbniß inmitten einer Stadt, in der das regste Theaterleben herrschte, ge¬ halten. Doch ein Mensch, mit einer Idee geboren, verzagt nicht auf lange. Meißner beschloß seine Thätigkeit auf ein andres Gebiet, das des Romans, zu übertragen. Dieser Entschluß sollte abermals für seine literarische Thätigkeit entscheidend werden. Doch begleiten wir ihn noch zuvor zur Erfüllung einer Pflicht der Pietät. Diese knüpft sich an Heinrich Heines Tod.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157968/171>, abgerufen am 01.09.2024.