Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Drittes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite
Alfred Meißner.

Der Erfolg des "Ziska" war ein vollständiger. Die Begeisterung, die
damals eine politische Poesie schuf, in der nur zu oft die Gesinnung die Dichtung
retten mußte, hatte sich hier an einem gewaltigen festen Stoffe zu Krystallen
gestalten können. Wie zu erwarten stand, wurde das Buch in Oesterreich ver¬
boten, aber nicht nur das, man verlangte die Auslieferung des Verfassers. Er
wurde gewarnt, sagte ohne weiteres dem Königreiche Sachsen Lebewohl und ging
nach Paris, dem damaligen Sitz freiheitlicher Gesinnung. Ob er je seine medi¬
cinische Carriere wieder aufsuchen werde, war fraglich. In Paris verlebte er
f"se das ganze Jahr 1847. Er lernte eine große Anzahl bedeutender Männer
der Wissenschaft und Literatur kennen und trat zunächst zu Heinrich Heine in
freundschaftliche Beziehungen. Dabei hörte er allerlei Vorträge und benutzte
die Bibliotheken eifrig. Im übrigen blieb das blendende Pariser Leben ohne
besondern Einfluß auf seine Dichtungsweise. Er wußte seine eigene Art zu
wahren. Trotz aller Anregungen aber fühlte er bald Heimweh und als vollends
die Nachricht von der bedenklichen Erkrankung seiner Mutter eingetroffen,
kehrte er zurück. Sein Proceß wurde aufgenommen und zu seinen Ungunsten
entschieden, doch die Ereignisse von 1848 traten dazwischen und zerrissen die
alten Schuldbücher. Diese Ereignisse wurden von Meißner mit Enthusiasmus
begrüßt; was er von der Zukunft hoffte, können wir im "Märzliede" aus¬
gesprochen finden. Doch nur zu bald stellte sich heraus, daß die Wirklichkeit
mit den Idealen im Widerspruch stand. Im Mai 1848 verzichtete Meißner
mif seinen Platz im böhmischen Nationalausschuß, in welchen er gleichzeitig
>"it M. Hartmann gewühlt worden war, und begab sich nach Frankfurt. Er
trat in freundschaftliche Beziehungen fast zu allen hervorragenden Häuptern
der linken Seite des Parlaments, fortwährend publieistisch thätig, bis das
große Parlamentäre Gebäude in Trümmer ging. Erst im August 1849 kehrte
er heim.

Der Ausgang der Revolution von 1848 hatte für die politischen Dichter
die Bedeutung einer totalen Niederlage. Man sagte ihnen: sie hätte" den künst¬
lerischen Selbstzweck der Poesie nie gesucht, ja nie geahnt, sie seien nichts mehr,
seitdem die Ereignisse ihre Ideale widerlegt hätten, und seien auf immer ab¬
gethan. In der That verstummten alle: Herwegh, Freiligrath, Beck. Hartmann
Auch Meißner schwieg lange; man hätte meinen können, er sitze weinend auf
den Trümmern der Hussitengräber. Doch war es nicht so; er sann über drama¬
tische Pläne. Seine Muse, weil sie vorzugsweise eine künstlerische war. hatte
die Niederlage seiner Partei überleben können.

In seiner Production hatte sich eine Wendung, die lauge vorbereitet war.
vollzogen. Die Ereiquisse hatte,, beigetragen, den. enthusiastischen Tone seiner
Poesie" einen Dämpfer anzulegen; der Enthusiasmus, welcher früher nun.ttelbar
w feurigen Strophen überschauende. klärte sich nun zu dem nachhaltigen und
reinen Feuer einer besonnenen Begeisterung. Es ließ sich n.ehe mehr daran


Alfred Meißner.

Der Erfolg des „Ziska" war ein vollständiger. Die Begeisterung, die
damals eine politische Poesie schuf, in der nur zu oft die Gesinnung die Dichtung
retten mußte, hatte sich hier an einem gewaltigen festen Stoffe zu Krystallen
gestalten können. Wie zu erwarten stand, wurde das Buch in Oesterreich ver¬
boten, aber nicht nur das, man verlangte die Auslieferung des Verfassers. Er
wurde gewarnt, sagte ohne weiteres dem Königreiche Sachsen Lebewohl und ging
nach Paris, dem damaligen Sitz freiheitlicher Gesinnung. Ob er je seine medi¬
cinische Carriere wieder aufsuchen werde, war fraglich. In Paris verlebte er
f"se das ganze Jahr 1847. Er lernte eine große Anzahl bedeutender Männer
der Wissenschaft und Literatur kennen und trat zunächst zu Heinrich Heine in
freundschaftliche Beziehungen. Dabei hörte er allerlei Vorträge und benutzte
die Bibliotheken eifrig. Im übrigen blieb das blendende Pariser Leben ohne
besondern Einfluß auf seine Dichtungsweise. Er wußte seine eigene Art zu
wahren. Trotz aller Anregungen aber fühlte er bald Heimweh und als vollends
die Nachricht von der bedenklichen Erkrankung seiner Mutter eingetroffen,
kehrte er zurück. Sein Proceß wurde aufgenommen und zu seinen Ungunsten
entschieden, doch die Ereignisse von 1848 traten dazwischen und zerrissen die
alten Schuldbücher. Diese Ereignisse wurden von Meißner mit Enthusiasmus
begrüßt; was er von der Zukunft hoffte, können wir im „Märzliede" aus¬
gesprochen finden. Doch nur zu bald stellte sich heraus, daß die Wirklichkeit
mit den Idealen im Widerspruch stand. Im Mai 1848 verzichtete Meißner
mif seinen Platz im böhmischen Nationalausschuß, in welchen er gleichzeitig
>"it M. Hartmann gewühlt worden war, und begab sich nach Frankfurt. Er
trat in freundschaftliche Beziehungen fast zu allen hervorragenden Häuptern
der linken Seite des Parlaments, fortwährend publieistisch thätig, bis das
große Parlamentäre Gebäude in Trümmer ging. Erst im August 1849 kehrte
er heim.

Der Ausgang der Revolution von 1848 hatte für die politischen Dichter
die Bedeutung einer totalen Niederlage. Man sagte ihnen: sie hätte» den künst¬
lerischen Selbstzweck der Poesie nie gesucht, ja nie geahnt, sie seien nichts mehr,
seitdem die Ereignisse ihre Ideale widerlegt hätten, und seien auf immer ab¬
gethan. In der That verstummten alle: Herwegh, Freiligrath, Beck. Hartmann
Auch Meißner schwieg lange; man hätte meinen können, er sitze weinend auf
den Trümmern der Hussitengräber. Doch war es nicht so; er sann über drama¬
tische Pläne. Seine Muse, weil sie vorzugsweise eine künstlerische war. hatte
die Niederlage seiner Partei überleben können.

In seiner Production hatte sich eine Wendung, die lauge vorbereitet war.
vollzogen. Die Ereiquisse hatte,, beigetragen, den. enthusiastischen Tone seiner
Poesie» einen Dämpfer anzulegen; der Enthusiasmus, welcher früher nun.ttelbar
w feurigen Strophen überschauende. klärte sich nun zu dem nachhaltigen und
reinen Feuer einer besonnenen Begeisterung. Es ließ sich n.ehe mehr daran


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0167" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/150317"/>
          <fw type="header" place="top"> Alfred Meißner.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_569"> Der Erfolg des &#x201E;Ziska" war ein vollständiger. Die Begeisterung, die<lb/>
damals eine politische Poesie schuf, in der nur zu oft die Gesinnung die Dichtung<lb/>
retten mußte, hatte sich hier an einem gewaltigen festen Stoffe zu Krystallen<lb/>
gestalten können. Wie zu erwarten stand, wurde das Buch in Oesterreich ver¬<lb/>
boten, aber nicht nur das, man verlangte die Auslieferung des Verfassers. Er<lb/>
wurde gewarnt, sagte ohne weiteres dem Königreiche Sachsen Lebewohl und ging<lb/>
nach Paris, dem damaligen Sitz freiheitlicher Gesinnung. Ob er je seine medi¬<lb/>
cinische Carriere wieder aufsuchen werde, war fraglich. In Paris verlebte er<lb/>
f"se das ganze Jahr 1847. Er lernte eine große Anzahl bedeutender Männer<lb/>
der Wissenschaft und Literatur kennen und trat zunächst zu Heinrich Heine in<lb/>
freundschaftliche Beziehungen. Dabei hörte er allerlei Vorträge und benutzte<lb/>
die Bibliotheken eifrig.  Im übrigen blieb das blendende Pariser Leben ohne<lb/>
besondern Einfluß auf seine Dichtungsweise.  Er wußte seine eigene Art zu<lb/>
wahren. Trotz aller Anregungen aber fühlte er bald Heimweh und als vollends<lb/>
die Nachricht von der bedenklichen Erkrankung seiner Mutter eingetroffen,<lb/>
kehrte er zurück. Sein Proceß wurde aufgenommen und zu seinen Ungunsten<lb/>
entschieden, doch die Ereignisse von 1848 traten dazwischen und zerrissen die<lb/>
alten Schuldbücher. Diese Ereignisse wurden von Meißner mit Enthusiasmus<lb/>
begrüßt; was er von der Zukunft hoffte, können wir im &#x201E;Märzliede" aus¬<lb/>
gesprochen finden. Doch nur zu bald stellte sich heraus, daß die Wirklichkeit<lb/>
mit den Idealen im Widerspruch stand. Im Mai 1848 verzichtete Meißner<lb/>
mif seinen Platz im böhmischen Nationalausschuß, in welchen er gleichzeitig<lb/>
&gt;"it M. Hartmann gewühlt worden war, und begab sich nach Frankfurt. Er<lb/>
trat in freundschaftliche Beziehungen fast zu allen hervorragenden Häuptern<lb/>
der linken Seite des Parlaments, fortwährend publieistisch thätig, bis das<lb/>
große Parlamentäre Gebäude in Trümmer ging. Erst im August 1849 kehrte<lb/>
er heim.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_570"> Der Ausgang der Revolution von 1848 hatte für die politischen Dichter<lb/>
die Bedeutung einer totalen Niederlage. Man sagte ihnen: sie hätte» den künst¬<lb/>
lerischen Selbstzweck der Poesie nie gesucht, ja nie geahnt, sie seien nichts mehr,<lb/>
seitdem die Ereignisse ihre Ideale widerlegt hätten, und seien auf immer ab¬<lb/>
gethan. In der That verstummten alle: Herwegh, Freiligrath, Beck. Hartmann<lb/>
Auch Meißner schwieg lange; man hätte meinen können, er sitze weinend auf<lb/>
den Trümmern der Hussitengräber. Doch war es nicht so; er sann über drama¬<lb/>
tische Pläne. Seine Muse, weil sie vorzugsweise eine künstlerische war. hatte<lb/>
die Niederlage seiner Partei überleben können.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_571" next="#ID_572"> In seiner Production hatte sich eine Wendung, die lauge vorbereitet war.<lb/>
vollzogen. Die Ereiquisse hatte,, beigetragen, den. enthusiastischen Tone seiner<lb/>
Poesie» einen Dämpfer anzulegen; der Enthusiasmus, welcher früher nun.ttelbar<lb/>
w feurigen Strophen überschauende. klärte sich nun zu dem nachhaltigen und<lb/>
reinen Feuer einer besonnenen Begeisterung. Es ließ sich n.ehe mehr daran</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0167] Alfred Meißner. Der Erfolg des „Ziska" war ein vollständiger. Die Begeisterung, die damals eine politische Poesie schuf, in der nur zu oft die Gesinnung die Dichtung retten mußte, hatte sich hier an einem gewaltigen festen Stoffe zu Krystallen gestalten können. Wie zu erwarten stand, wurde das Buch in Oesterreich ver¬ boten, aber nicht nur das, man verlangte die Auslieferung des Verfassers. Er wurde gewarnt, sagte ohne weiteres dem Königreiche Sachsen Lebewohl und ging nach Paris, dem damaligen Sitz freiheitlicher Gesinnung. Ob er je seine medi¬ cinische Carriere wieder aufsuchen werde, war fraglich. In Paris verlebte er f"se das ganze Jahr 1847. Er lernte eine große Anzahl bedeutender Männer der Wissenschaft und Literatur kennen und trat zunächst zu Heinrich Heine in freundschaftliche Beziehungen. Dabei hörte er allerlei Vorträge und benutzte die Bibliotheken eifrig. Im übrigen blieb das blendende Pariser Leben ohne besondern Einfluß auf seine Dichtungsweise. Er wußte seine eigene Art zu wahren. Trotz aller Anregungen aber fühlte er bald Heimweh und als vollends die Nachricht von der bedenklichen Erkrankung seiner Mutter eingetroffen, kehrte er zurück. Sein Proceß wurde aufgenommen und zu seinen Ungunsten entschieden, doch die Ereignisse von 1848 traten dazwischen und zerrissen die alten Schuldbücher. Diese Ereignisse wurden von Meißner mit Enthusiasmus begrüßt; was er von der Zukunft hoffte, können wir im „Märzliede" aus¬ gesprochen finden. Doch nur zu bald stellte sich heraus, daß die Wirklichkeit mit den Idealen im Widerspruch stand. Im Mai 1848 verzichtete Meißner mif seinen Platz im böhmischen Nationalausschuß, in welchen er gleichzeitig >"it M. Hartmann gewühlt worden war, und begab sich nach Frankfurt. Er trat in freundschaftliche Beziehungen fast zu allen hervorragenden Häuptern der linken Seite des Parlaments, fortwährend publieistisch thätig, bis das große Parlamentäre Gebäude in Trümmer ging. Erst im August 1849 kehrte er heim. Der Ausgang der Revolution von 1848 hatte für die politischen Dichter die Bedeutung einer totalen Niederlage. Man sagte ihnen: sie hätte» den künst¬ lerischen Selbstzweck der Poesie nie gesucht, ja nie geahnt, sie seien nichts mehr, seitdem die Ereignisse ihre Ideale widerlegt hätten, und seien auf immer ab¬ gethan. In der That verstummten alle: Herwegh, Freiligrath, Beck. Hartmann Auch Meißner schwieg lange; man hätte meinen können, er sitze weinend auf den Trümmern der Hussitengräber. Doch war es nicht so; er sann über drama¬ tische Pläne. Seine Muse, weil sie vorzugsweise eine künstlerische war. hatte die Niederlage seiner Partei überleben können. In seiner Production hatte sich eine Wendung, die lauge vorbereitet war. vollzogen. Die Ereiquisse hatte,, beigetragen, den. enthusiastischen Tone seiner Poesie» einen Dämpfer anzulegen; der Enthusiasmus, welcher früher nun.ttelbar w feurigen Strophen überschauende. klärte sich nun zu dem nachhaltigen und reinen Feuer einer besonnenen Begeisterung. Es ließ sich n.ehe mehr daran

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157968
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157968/167
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157968/167>, abgerufen am 27.11.2024.