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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Drittes Quartal.

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Alfred Meißner.

Oesterreich zeichnete sich damals fast nur durch die Kultur der medicinischen
Wissenschaften aus. Die Wiener und die Prager Schule waren maßgebend ge¬
worden; es war, als habe sich aller Geist wahrhafter Wissenschaft ins Gebiet
der Mediein geflüchtet. Die Prager Facultät vereinigte die glänzenden Namen
eines Hyrtl. Radeubacher, Opvlzer. Hamernik, alles Lehrer, welche der Jugend
Liebe zum Studium der Naturwissenschaften dnrch ihre eigene Begeisterung dafür
einzuflößen wußten.

Meißner war besonders dnrch Chemie und Physiologie gefesselt worden,
doch überwog immer der Zauber der Poesie "ud führte endlich zu jenem dünnen,
unscheinbaren Bündchen, das im Februar 1845 erschien und von dem es bald
hieß: "Wir haben seit Lenaus Erscheinen noch in keinem Erstlingswerke so wenig
Unbedeutendes und Gewöhnliches, so viel in seiner Art schon Gereiftes und Voll¬
endetes erhalten." Wohl stand im Hintergrunde die Neigung zum Drama,
Meißner fühlte indessen, daß er dazu noch nicht die gehörige Reife und Menschen-
kenntniß habe. So ließ er seine Pläne, halb ausgearbeitet, vorerst lagern. Ein
episches Gedicht schien dem bisherigen Können angemessen. Der eben zum Doctor
der Medicin promvvirte hatte seinen "Ziska" bis in die Mitte der Handlung
geführt. Er sah aber ein, daß das Erscheinen mit dem Verbleib in Oesterreich
unter den damaligen Censurverhältuissen unvereinbar wäre. Daher begab er sich
mit seinem Manuscripte nach Leipzig, das damals der Sitz einer kleinen öster¬
reichischen Emigration und der hauptsächlichste Verlagsort für deu österreichischen
Dichtcrkreis war.

Doch wie kam Meißner, der Deutsche zu einem Gedichte "Ziska"? Sehr
einfach. Lenau hatte Scivvnarola. hatte die Albingenscr besungen. Man blickte
von liberaler Seite mit Verehrung auf die ersten Vertheidiger der Gewissens¬
freiheit, die Helden der Volksstürme, die Vorkämpfer der großen kirchlichen Re¬
formation. Huß war ein populärer Name, und Deutsche hatten ihm bereits
den Tribut der Verehrung dargebracht. Seit der Mitte der dreißiger Jahre
kämpfte die Stadtvertretung von Constanz gegen das badische Ministeruim. um
Huß ein Denkmal zu setzen. Karl Friedrich Lessing zeigte ihn vor Gericht in
vielbewunderten Bildern, nachdem er schon früher, 1836, die Hnssitenpredigt
gemalt hatte. Vou Huß zu Ziska war nur ein Schritt: Ziska war ja der Fort¬
setze der Hußischcu Agitation. Hnßens Testamentsvollstrecker. Er war wohl
geeignet, den Mittelpunkt eiuer Dichtung abzugeben, weit mehr als der bloß
passive Dulder Huß. Ein Talent der Schilderung konnte sich da wohl energisch
bethätigen; die Schauer des heranziehenden Gewitters, der weiter und weiter
greifende Brand, zuletzt der ungeheure Trümmerhaufen - das alles zu malen
war sehr verlockend. Ein Ehrendenkmal für die Märtyrer der Glaubensfreiheit
war zugleich ein Schandmal für ihre Heuler- und Verfolger. So wurde denn
Z'Sta als Mittelpunkt eines Gedichtes aufgestellt, bei dem Eigenthümliches >in
Colorit vollauf zu bringen war. Es war ein Tendenzgedicht, es war anch.


Alfred Meißner.

Oesterreich zeichnete sich damals fast nur durch die Kultur der medicinischen
Wissenschaften aus. Die Wiener und die Prager Schule waren maßgebend ge¬
worden; es war, als habe sich aller Geist wahrhafter Wissenschaft ins Gebiet
der Mediein geflüchtet. Die Prager Facultät vereinigte die glänzenden Namen
eines Hyrtl. Radeubacher, Opvlzer. Hamernik, alles Lehrer, welche der Jugend
Liebe zum Studium der Naturwissenschaften dnrch ihre eigene Begeisterung dafür
einzuflößen wußten.

Meißner war besonders dnrch Chemie und Physiologie gefesselt worden,
doch überwog immer der Zauber der Poesie »ud führte endlich zu jenem dünnen,
unscheinbaren Bündchen, das im Februar 1845 erschien und von dem es bald
hieß: „Wir haben seit Lenaus Erscheinen noch in keinem Erstlingswerke so wenig
Unbedeutendes und Gewöhnliches, so viel in seiner Art schon Gereiftes und Voll¬
endetes erhalten." Wohl stand im Hintergrunde die Neigung zum Drama,
Meißner fühlte indessen, daß er dazu noch nicht die gehörige Reife und Menschen-
kenntniß habe. So ließ er seine Pläne, halb ausgearbeitet, vorerst lagern. Ein
episches Gedicht schien dem bisherigen Können angemessen. Der eben zum Doctor
der Medicin promvvirte hatte seinen „Ziska" bis in die Mitte der Handlung
geführt. Er sah aber ein, daß das Erscheinen mit dem Verbleib in Oesterreich
unter den damaligen Censurverhältuissen unvereinbar wäre. Daher begab er sich
mit seinem Manuscripte nach Leipzig, das damals der Sitz einer kleinen öster¬
reichischen Emigration und der hauptsächlichste Verlagsort für deu österreichischen
Dichtcrkreis war.

Doch wie kam Meißner, der Deutsche zu einem Gedichte „Ziska"? Sehr
einfach. Lenau hatte Scivvnarola. hatte die Albingenscr besungen. Man blickte
von liberaler Seite mit Verehrung auf die ersten Vertheidiger der Gewissens¬
freiheit, die Helden der Volksstürme, die Vorkämpfer der großen kirchlichen Re¬
formation. Huß war ein populärer Name, und Deutsche hatten ihm bereits
den Tribut der Verehrung dargebracht. Seit der Mitte der dreißiger Jahre
kämpfte die Stadtvertretung von Constanz gegen das badische Ministeruim. um
Huß ein Denkmal zu setzen. Karl Friedrich Lessing zeigte ihn vor Gericht in
vielbewunderten Bildern, nachdem er schon früher, 1836, die Hnssitenpredigt
gemalt hatte. Vou Huß zu Ziska war nur ein Schritt: Ziska war ja der Fort¬
setze der Hußischcu Agitation. Hnßens Testamentsvollstrecker. Er war wohl
geeignet, den Mittelpunkt eiuer Dichtung abzugeben, weit mehr als der bloß
passive Dulder Huß. Ein Talent der Schilderung konnte sich da wohl energisch
bethätigen; die Schauer des heranziehenden Gewitters, der weiter und weiter
greifende Brand, zuletzt der ungeheure Trümmerhaufen - das alles zu malen
war sehr verlockend. Ein Ehrendenkmal für die Märtyrer der Glaubensfreiheit
war zugleich ein Schandmal für ihre Heuler- und Verfolger. So wurde denn
Z'Sta als Mittelpunkt eines Gedichtes aufgestellt, bei dem Eigenthümliches >in
Colorit vollauf zu bringen war. Es war ein Tendenzgedicht, es war anch.


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[0165] Alfred Meißner. Oesterreich zeichnete sich damals fast nur durch die Kultur der medicinischen Wissenschaften aus. Die Wiener und die Prager Schule waren maßgebend ge¬ worden; es war, als habe sich aller Geist wahrhafter Wissenschaft ins Gebiet der Mediein geflüchtet. Die Prager Facultät vereinigte die glänzenden Namen eines Hyrtl. Radeubacher, Opvlzer. Hamernik, alles Lehrer, welche der Jugend Liebe zum Studium der Naturwissenschaften dnrch ihre eigene Begeisterung dafür einzuflößen wußten. Meißner war besonders dnrch Chemie und Physiologie gefesselt worden, doch überwog immer der Zauber der Poesie »ud führte endlich zu jenem dünnen, unscheinbaren Bündchen, das im Februar 1845 erschien und von dem es bald hieß: „Wir haben seit Lenaus Erscheinen noch in keinem Erstlingswerke so wenig Unbedeutendes und Gewöhnliches, so viel in seiner Art schon Gereiftes und Voll¬ endetes erhalten." Wohl stand im Hintergrunde die Neigung zum Drama, Meißner fühlte indessen, daß er dazu noch nicht die gehörige Reife und Menschen- kenntniß habe. So ließ er seine Pläne, halb ausgearbeitet, vorerst lagern. Ein episches Gedicht schien dem bisherigen Können angemessen. Der eben zum Doctor der Medicin promvvirte hatte seinen „Ziska" bis in die Mitte der Handlung geführt. Er sah aber ein, daß das Erscheinen mit dem Verbleib in Oesterreich unter den damaligen Censurverhältuissen unvereinbar wäre. Daher begab er sich mit seinem Manuscripte nach Leipzig, das damals der Sitz einer kleinen öster¬ reichischen Emigration und der hauptsächlichste Verlagsort für deu österreichischen Dichtcrkreis war. Doch wie kam Meißner, der Deutsche zu einem Gedichte „Ziska"? Sehr einfach. Lenau hatte Scivvnarola. hatte die Albingenscr besungen. Man blickte von liberaler Seite mit Verehrung auf die ersten Vertheidiger der Gewissens¬ freiheit, die Helden der Volksstürme, die Vorkämpfer der großen kirchlichen Re¬ formation. Huß war ein populärer Name, und Deutsche hatten ihm bereits den Tribut der Verehrung dargebracht. Seit der Mitte der dreißiger Jahre kämpfte die Stadtvertretung von Constanz gegen das badische Ministeruim. um Huß ein Denkmal zu setzen. Karl Friedrich Lessing zeigte ihn vor Gericht in vielbewunderten Bildern, nachdem er schon früher, 1836, die Hnssitenpredigt gemalt hatte. Vou Huß zu Ziska war nur ein Schritt: Ziska war ja der Fort¬ setze der Hußischcu Agitation. Hnßens Testamentsvollstrecker. Er war wohl geeignet, den Mittelpunkt eiuer Dichtung abzugeben, weit mehr als der bloß passive Dulder Huß. Ein Talent der Schilderung konnte sich da wohl energisch bethätigen; die Schauer des heranziehenden Gewitters, der weiter und weiter greifende Brand, zuletzt der ungeheure Trümmerhaufen - das alles zu malen war sehr verlockend. Ein Ehrendenkmal für die Märtyrer der Glaubensfreiheit war zugleich ein Schandmal für ihre Heuler- und Verfolger. So wurde denn Z'Sta als Mittelpunkt eines Gedichtes aufgestellt, bei dem Eigenthümliches >in Colorit vollauf zu bringen war. Es war ein Tendenzgedicht, es war anch.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157968/165>, abgerufen am 01.09.2024.