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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Drittes Quartal.

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Die Entwicklung der Leudalität und das deutsche Kriegswesen im frühen Mittelalter,

Waffe überhaupt, und so tritt denn unter den spätern Karlingern die Reiterei
vollends in den Vordergrund aller kriegerischen Leistungen. Der Geschichts¬
schreiber Nithard, selbst nicht nur tüchtiger Staatsmann, sondern auch aus¬
gezeichneter Krieger, ein unehelicher Enkel Karls des Großen, versteht unter den
fränkischen Heeren fast ausschließlich Reiterheere; bei allen Bewegungen, die der
Schlacht bei Fontanetum vorhergingen, wird die Ausdauer der Rosse als ganz
besonders wichtiges Moment besprochen, und Nithard hebt hervor, daß Ludwig
der Deutsche sich in großem Nachtheile Karl dem Kahlen gegenüber befunden
habe, weil letzterm viel stärkere Reitermassen zu Gebote gestanden hätten. Ver¬
maß der westfränkische König sich doch, ein so großes Heer aufzubringen, daß
seine Rosse den Rhein aussaufen würden und er den Strom trocknen Fußes
überschreiten könne. Die Nachrichten über König Arnulfs Kriege endlich, zumal
der Schlachtbericht von der Dyle, lehren, daß zu Ende des 9. Jahrhunderts
auch bei den Ostfranken der Kampf zu Fuße bereits geradezu ungewöhnlich war.

Dies ist der Weg, auf welchem die Reiter oder Ritter*) allmählich zu den
Kriegsmännern xa>r exoellMvö wurden. Bald sind die Ausdrücke Reisiger und
Reiter, rmlös und sans" identisch, während bei den Römern doch iliilss gerade
den Fußgänger im Gegensatze zum 6an"Z8 bezeichnet hatte. Die Zeit des Ritter-
thums ist angebrochen.

Die Betrachtung der kriegerischen Verfassung des Frankenreiches würde aber
unvollständig sein, wenn man nicht auch der Einrichtungen zur Grcuzvertheidigung
gedächte, welche für das mittelalterliche Kriegswesen von großer Wichtigkeit ge¬
worden sind.

Unter den Meruwingern waren mehrfach, durchaus in altrömischer Weise,
barbarische Grenztruppen ans bedrohten Gebieten angesiedelt worden; so nament¬
lich im Bessin ein Sachsenstamm (Laxonks bajoeassim), welchem die Grenzhut
gegen die Bretonen zufiel. Karl der Große gab solchen Einrichtungen eine
systematische Durchbildung. Hielt der Kaiser für die Juncnländer des Reiches
an dem Grundsatze fest, jeden Gau einzeln zur Verwaltung einem Grafen zu¬
zuweisen, um so die bei Vereinigung großer Gebiete in einer Hand mögliche
Entstehung neuer Herzogtümer zu verhüten, so nöthigte das Bedürfniß starker
Widerstandsfähigkeit der Lvcalgewalten an den Grenzen hier zu anderem Ver¬
fahren. Hier wurden größere Landstrecken zu Marken (liinitös) vereinigt und
ganz im Sinne der Römer bestimmten Oberbefehlshabern anvertraut, den Mark¬
grafen, welche völlig den äucss linnenen der antiken rollten äiZnit"tum entsprechen.



*) Altmittelhochdentsch Mg.ro, riwr, riwrs, übt. rZtsr und ritt" -- Reiter. Dem ent¬
sprechen das Mittellatein. o-rdu.Ug.rin8, loi. 0-roh.Iisro, span. eickallsra, franz. va.ol>.1ihr im Sinne
von Reiter, otrsvalior in dem von Ritter. Das deutsche Wort "Ritter" steht aber höher als
die romanischen Ausdrücke, auch höher als das latein. Samsö oder das griech. --rne^", den"
alle diese Wörter stammen von dem tragenden Thiere her, während das deutsche von der
Thätigkeit des Mannes abgeleitet ist.
Die Entwicklung der Leudalität und das deutsche Kriegswesen im frühen Mittelalter,

Waffe überhaupt, und so tritt denn unter den spätern Karlingern die Reiterei
vollends in den Vordergrund aller kriegerischen Leistungen. Der Geschichts¬
schreiber Nithard, selbst nicht nur tüchtiger Staatsmann, sondern auch aus¬
gezeichneter Krieger, ein unehelicher Enkel Karls des Großen, versteht unter den
fränkischen Heeren fast ausschließlich Reiterheere; bei allen Bewegungen, die der
Schlacht bei Fontanetum vorhergingen, wird die Ausdauer der Rosse als ganz
besonders wichtiges Moment besprochen, und Nithard hebt hervor, daß Ludwig
der Deutsche sich in großem Nachtheile Karl dem Kahlen gegenüber befunden
habe, weil letzterm viel stärkere Reitermassen zu Gebote gestanden hätten. Ver¬
maß der westfränkische König sich doch, ein so großes Heer aufzubringen, daß
seine Rosse den Rhein aussaufen würden und er den Strom trocknen Fußes
überschreiten könne. Die Nachrichten über König Arnulfs Kriege endlich, zumal
der Schlachtbericht von der Dyle, lehren, daß zu Ende des 9. Jahrhunderts
auch bei den Ostfranken der Kampf zu Fuße bereits geradezu ungewöhnlich war.

Dies ist der Weg, auf welchem die Reiter oder Ritter*) allmählich zu den
Kriegsmännern xa>r exoellMvö wurden. Bald sind die Ausdrücke Reisiger und
Reiter, rmlös und sans« identisch, während bei den Römern doch iliilss gerade
den Fußgänger im Gegensatze zum 6an«Z8 bezeichnet hatte. Die Zeit des Ritter-
thums ist angebrochen.

Die Betrachtung der kriegerischen Verfassung des Frankenreiches würde aber
unvollständig sein, wenn man nicht auch der Einrichtungen zur Grcuzvertheidigung
gedächte, welche für das mittelalterliche Kriegswesen von großer Wichtigkeit ge¬
worden sind.

Unter den Meruwingern waren mehrfach, durchaus in altrömischer Weise,
barbarische Grenztruppen ans bedrohten Gebieten angesiedelt worden; so nament¬
lich im Bessin ein Sachsenstamm (Laxonks bajoeassim), welchem die Grenzhut
gegen die Bretonen zufiel. Karl der Große gab solchen Einrichtungen eine
systematische Durchbildung. Hielt der Kaiser für die Juncnländer des Reiches
an dem Grundsatze fest, jeden Gau einzeln zur Verwaltung einem Grafen zu¬
zuweisen, um so die bei Vereinigung großer Gebiete in einer Hand mögliche
Entstehung neuer Herzogtümer zu verhüten, so nöthigte das Bedürfniß starker
Widerstandsfähigkeit der Lvcalgewalten an den Grenzen hier zu anderem Ver¬
fahren. Hier wurden größere Landstrecken zu Marken (liinitös) vereinigt und
ganz im Sinne der Römer bestimmten Oberbefehlshabern anvertraut, den Mark¬
grafen, welche völlig den äucss linnenen der antiken rollten äiZnit»tum entsprechen.



*) Altmittelhochdentsch Mg.ro, riwr, riwrs, übt. rZtsr und ritt« — Reiter. Dem ent¬
sprechen das Mittellatein. o-rdu.Ug.rin8, loi. 0-roh.Iisro, span. eickallsra, franz. va.ol>.1ihr im Sinne
von Reiter, otrsvalior in dem von Ritter. Das deutsche Wort „Ritter" steht aber höher als
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157968/162>, abgerufen am 01.09.2024.