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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Drittes Quartal.

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Die Entwicklung der Feuoalität und das deutsche Kriegswesen im frühen Mittelalter.

ersten Abschnitte von den königlichen und den geistlichen Vassallen; erst der dritte
spricht von den Heerbannleuteu. Und um kam die wirrenreiche Zeit der Bruder¬
kriege der Söhne Ludwigs des Frommen. Da wurden die Großen von beiden
Seiten wetteifernd mit Versprechungen umworben, und wie sich einst die Karlinger
durch reiche Beneficienvertheilung den Weg zum Throne geebnet, so suchen nun
die feindlichen Brüder durch dasselbe Mittel sich der Treue ihrer Unterthanen
zu versichern. Gab doch die Annahme eines Lehens wegen des mit ihr ver-
bundnen Commendativuseides die beste Gewähr für die nass des Empfängers.
Dem entsprechend gelten aber nun auch den Vassallen die Lehen als solche als
der eigentliche Grund ihrer Anhänglichkeit an den König; sie schwören diesem
den alten Treueid nicht mehr als dem Volksobcrhaupte, sondern als ihrem Senior,
und so tritt der Vassallitätseid an die Stelle des Unterthaneileides. Anfangs
wechselt in den Formeln noch die Bezeichnung rvx mit senior; in den berühmten
Straßburger Eiden jedoch (842) wird der französische König einfach als L^rlns
MK08 Stral'ki.,*) der deutsche als "Ludhuwig min HZrrö"**) aufgeführt. Dem
entspricht es dann durchans, wenn nicht mehr das ganze Volk, sondern nur noch
die Großen den Hnldignngseid schwören, und darum erscheinen eben in den Stra߬
burger Eiden die Ausdrücke xoxulus und primorvs xopuli als gleichbedeutend.
Die Senioren haben das Volk absorbirt. Wo sie ihre Waffenhilfe weigern,
da ist der Herr ohne Heer. Die Verpflichtung zum Kriegsdienste ist jetzt, zwar
immer noch nicht rechtlich, wohl aber thatsächlich, vorzugsweise an den Besitz
des Lehens geknüpft; ans dem persönlichen Wasserrechte der alten Zeit ist wesentlich
eine Ncallast geworden, und die Heere bestehen, geringe Ausnahmen abgerechnet,
nicht mehr ans persönlich verpflichteten, von ihren Grafen geführten Gemein¬
freien, sondern aus belehnten, von ihren Senioren geführten Vassallen und deren
Ministerialen.

Diesem Entwicklungsgange der Kriegsverfassung entspricht nun Zug für Zug
derjenige der militärischen Technik und Leistungsfähigkeit.

Signatur der Zeit wird die Vorherrschaft der Reiterei. Die kriegerische
Bedeutung dieser Waffe tritt zuerst auffallend hervor in den Kämpfen Karls
des Hammers mit den spanischen Arabern. Der Sieg bei Poitiers (732) war
wesentlich der Reiterei zu danken; da sie denselben jedoch nicht ausbeutete, viel¬
mehr den Rest des Heeres Abdherrcchmans unverfolgt entkommen ließ, so ist zu
vermuthen, daß schon damals der fränkischen Reiterei jene Richtung auf schweren
Massenkampf eigenthümlich war, welche neben der Vorliebe für turuiermäßiges
Eiuzetgefecht der Reiterei des ganzen Mittelalters verhängnißvoll geworden ist,




*) Dies ist die älteste französische Form für das lateinische svnior. Aus "onelro (sourv)
entstand durch starke Znsammenziehuiig siro, während sich direct aus senior das Wort ssixnour
entwickelte.
5") Das Wort stammt von Irvr hehr, herrlich.
Die Entwicklung der Feuoalität und das deutsche Kriegswesen im frühen Mittelalter.

ersten Abschnitte von den königlichen und den geistlichen Vassallen; erst der dritte
spricht von den Heerbannleuteu. Und um kam die wirrenreiche Zeit der Bruder¬
kriege der Söhne Ludwigs des Frommen. Da wurden die Großen von beiden
Seiten wetteifernd mit Versprechungen umworben, und wie sich einst die Karlinger
durch reiche Beneficienvertheilung den Weg zum Throne geebnet, so suchen nun
die feindlichen Brüder durch dasselbe Mittel sich der Treue ihrer Unterthanen
zu versichern. Gab doch die Annahme eines Lehens wegen des mit ihr ver-
bundnen Commendativuseides die beste Gewähr für die nass des Empfängers.
Dem entsprechend gelten aber nun auch den Vassallen die Lehen als solche als
der eigentliche Grund ihrer Anhänglichkeit an den König; sie schwören diesem
den alten Treueid nicht mehr als dem Volksobcrhaupte, sondern als ihrem Senior,
und so tritt der Vassallitätseid an die Stelle des Unterthaneileides. Anfangs
wechselt in den Formeln noch die Bezeichnung rvx mit senior; in den berühmten
Straßburger Eiden jedoch (842) wird der französische König einfach als L^rlns
MK08 Stral'ki.,*) der deutsche als „Ludhuwig min HZrrö"**) aufgeführt. Dem
entspricht es dann durchans, wenn nicht mehr das ganze Volk, sondern nur noch
die Großen den Hnldignngseid schwören, und darum erscheinen eben in den Stra߬
burger Eiden die Ausdrücke xoxulus und primorvs xopuli als gleichbedeutend.
Die Senioren haben das Volk absorbirt. Wo sie ihre Waffenhilfe weigern,
da ist der Herr ohne Heer. Die Verpflichtung zum Kriegsdienste ist jetzt, zwar
immer noch nicht rechtlich, wohl aber thatsächlich, vorzugsweise an den Besitz
des Lehens geknüpft; ans dem persönlichen Wasserrechte der alten Zeit ist wesentlich
eine Ncallast geworden, und die Heere bestehen, geringe Ausnahmen abgerechnet,
nicht mehr ans persönlich verpflichteten, von ihren Grafen geführten Gemein¬
freien, sondern aus belehnten, von ihren Senioren geführten Vassallen und deren
Ministerialen.

Diesem Entwicklungsgange der Kriegsverfassung entspricht nun Zug für Zug
derjenige der militärischen Technik und Leistungsfähigkeit.

Signatur der Zeit wird die Vorherrschaft der Reiterei. Die kriegerische
Bedeutung dieser Waffe tritt zuerst auffallend hervor in den Kämpfen Karls
des Hammers mit den spanischen Arabern. Der Sieg bei Poitiers (732) war
wesentlich der Reiterei zu danken; da sie denselben jedoch nicht ausbeutete, viel¬
mehr den Rest des Heeres Abdherrcchmans unverfolgt entkommen ließ, so ist zu
vermuthen, daß schon damals der fränkischen Reiterei jene Richtung auf schweren
Massenkampf eigenthümlich war, welche neben der Vorliebe für turuiermäßiges
Eiuzetgefecht der Reiterei des ganzen Mittelalters verhängnißvoll geworden ist,




*) Dies ist die älteste französische Form für das lateinische svnior. Aus »onelro (sourv)
entstand durch starke Znsammenziehuiig siro, während sich direct aus senior das Wort ssixnour
entwickelte.
5") Das Wort stammt von Irvr hehr, herrlich.
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[0158] Die Entwicklung der Feuoalität und das deutsche Kriegswesen im frühen Mittelalter. ersten Abschnitte von den königlichen und den geistlichen Vassallen; erst der dritte spricht von den Heerbannleuteu. Und um kam die wirrenreiche Zeit der Bruder¬ kriege der Söhne Ludwigs des Frommen. Da wurden die Großen von beiden Seiten wetteifernd mit Versprechungen umworben, und wie sich einst die Karlinger durch reiche Beneficienvertheilung den Weg zum Throne geebnet, so suchen nun die feindlichen Brüder durch dasselbe Mittel sich der Treue ihrer Unterthanen zu versichern. Gab doch die Annahme eines Lehens wegen des mit ihr ver- bundnen Commendativuseides die beste Gewähr für die nass des Empfängers. Dem entsprechend gelten aber nun auch den Vassallen die Lehen als solche als der eigentliche Grund ihrer Anhänglichkeit an den König; sie schwören diesem den alten Treueid nicht mehr als dem Volksobcrhaupte, sondern als ihrem Senior, und so tritt der Vassallitätseid an die Stelle des Unterthaneileides. Anfangs wechselt in den Formeln noch die Bezeichnung rvx mit senior; in den berühmten Straßburger Eiden jedoch (842) wird der französische König einfach als L^rlns MK08 Stral'ki.,*) der deutsche als „Ludhuwig min HZrrö"**) aufgeführt. Dem entspricht es dann durchans, wenn nicht mehr das ganze Volk, sondern nur noch die Großen den Hnldignngseid schwören, und darum erscheinen eben in den Stra߬ burger Eiden die Ausdrücke xoxulus und primorvs xopuli als gleichbedeutend. Die Senioren haben das Volk absorbirt. Wo sie ihre Waffenhilfe weigern, da ist der Herr ohne Heer. Die Verpflichtung zum Kriegsdienste ist jetzt, zwar immer noch nicht rechtlich, wohl aber thatsächlich, vorzugsweise an den Besitz des Lehens geknüpft; ans dem persönlichen Wasserrechte der alten Zeit ist wesentlich eine Ncallast geworden, und die Heere bestehen, geringe Ausnahmen abgerechnet, nicht mehr ans persönlich verpflichteten, von ihren Grafen geführten Gemein¬ freien, sondern aus belehnten, von ihren Senioren geführten Vassallen und deren Ministerialen. Diesem Entwicklungsgange der Kriegsverfassung entspricht nun Zug für Zug derjenige der militärischen Technik und Leistungsfähigkeit. Signatur der Zeit wird die Vorherrschaft der Reiterei. Die kriegerische Bedeutung dieser Waffe tritt zuerst auffallend hervor in den Kämpfen Karls des Hammers mit den spanischen Arabern. Der Sieg bei Poitiers (732) war wesentlich der Reiterei zu danken; da sie denselben jedoch nicht ausbeutete, viel¬ mehr den Rest des Heeres Abdherrcchmans unverfolgt entkommen ließ, so ist zu vermuthen, daß schon damals der fränkischen Reiterei jene Richtung auf schweren Massenkampf eigenthümlich war, welche neben der Vorliebe für turuiermäßiges Eiuzetgefecht der Reiterei des ganzen Mittelalters verhängnißvoll geworden ist, *) Dies ist die älteste französische Form für das lateinische svnior. Aus »onelro (sourv) entstand durch starke Znsammenziehuiig siro, während sich direct aus senior das Wort ssixnour entwickelte. 5") Das Wort stammt von Irvr hehr, herrlich.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157968/158>, abgerufen am 26.11.2024.