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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Drittes Quartal.

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Die Lnttvicklung der Feudalität und das deutsche Kriegswesen im frühen Mittelalter,

Wollte" sie nämlich die alte, auf dem Unterthanenverbande beruhende Heeres-
gestnltnng ansteche erhalten, so mußten sie die Rechte der Grafen gegen jeden
Eingriff der Bassalie" und JmmnnitätSbcsitzcr schützen; wollten sie dagegen ein
bereitwillig gestelltes starkes Heer haben, so mußten sie die Nassallen als Senioren
als Führer ihrer Aftcrvassallen und Diensimcmneu anerkennen. Dies aber mußte
natürlich die militärische wie die politische Geltung der Vassallcn aufs äußerste
steigern.

Kaiser Lothar hat es noch versucht, die alte Ordnung zu rette" (825 u. Chr.);
aber schou im Vertrage von Mcersen (847) wird der Grundsatz, daß die Senioren
ihre Mannen ins Feld führe" sollen, ganz "nninwnnden anerkannt, ""d ans
der zweiten Hälfte des 9. Jahrhunderts sind sehr viele Beispiele bekannt, daß
Lehnsherren und zwar sowohl geistliche wie weltliche, bei Kriegszügen neben
den Grafen, also neben den königlichen Offizieren, als Befehlshaber auftraten.
Führte """ der Senior seine Ausfallen und Ministerialen und bald auch die
im Bereiche seines Gebietes wohnenden Freisassen dem Aufgebote zu. befehligte
er sie im Kampfe, sorgte er für ihren Unterhalt, ward er für ihre Gesetzes¬
übertretungen verantwortlich gemacht, so lag es sehr nahe, daß man auch im
Friede", schon zur bessern Controle der Wehrpflichtigen, den Senioren die Aus¬
übung gräflicher, d. h. obrigkeitlicher Rechte verlieh. Und ebenso unvermeidlich
war es, daß die Beamten, die Grafen, Hundertmänner, Vicare u. s. w., selbst
Bassallen waren oder wurden. Gestaltete doch die Natnralwirthschaft jener Zeit
überhaupt kaum eine andere Besoldung als persönlichen Unterhalt oder Güter-
verlcihuug. Und nun macht sich sofort wieder, wie bei Benutzung der Im¬
munität, die eigenthümliche Neigung geltend, staatsrechtliche und privatrechtliche
Dinge zu verwechseln oder vielmehr zu verschmelze". Die mit gräfliche" Rechte"
n"d Pflichte" ausgestattete" Senioren bemächtigen sich nach und "ach aller Ge¬
rechtsame, welche irgend Einkommen gewähren, vorerst der Gerichtsbarkeit, die
zunächst als Finanzquelle, nämlich als Grund für die Erhebung der Sporteln
in Betracht gezogen wurde. Andere Hoheitsrechte, wie die auf Zölle, Brücken¬
gelder u. tgi. folgten nach, und allmählich kam man dahin, die Aemter selbst
als Beneficien zu behandeln, d. h. die Beamten übten die Rechte des Staates
für sich selbst aus, erhoben die Einkünfte für sich, boten die Mannschaft für ihre
Privatfehden auf und fanden sich der" Könige lediglich zu Treue und gewissen
Leistungen, namentlich zur Heerfolge verbunden. Wie bald und vollständig die
Aemter selbst als Lehen betrachtet wurden, bezeugt am besten der Umstand, daß
das Wort llonor, welches ursprünglich die Amtswürde des Grafen bezeichnete,
seit der Mitte des 9. Jahrhnnders geradezu synonym mit böiröllvium (Honorar)
gebraucht wird.

Die Folgen dieser Entwicklung für das Kriegswesen liegen nahe. Bald be¬
gehen die Heere in erster Reihe aus der von den Vassallen aufgebrachten Mann¬
schaft. Schon in einem Aufgebote Lothars vom Jahre 825 handeln die beiden


Die Lnttvicklung der Feudalität und das deutsche Kriegswesen im frühen Mittelalter,

Wollte» sie nämlich die alte, auf dem Unterthanenverbande beruhende Heeres-
gestnltnng ansteche erhalten, so mußten sie die Rechte der Grafen gegen jeden
Eingriff der Bassalie» und JmmnnitätSbcsitzcr schützen; wollten sie dagegen ein
bereitwillig gestelltes starkes Heer haben, so mußten sie die Nassallen als Senioren
als Führer ihrer Aftcrvassallen und Diensimcmneu anerkennen. Dies aber mußte
natürlich die militärische wie die politische Geltung der Vassallcn aufs äußerste
steigern.

Kaiser Lothar hat es noch versucht, die alte Ordnung zu rette» (825 u. Chr.);
aber schou im Vertrage von Mcersen (847) wird der Grundsatz, daß die Senioren
ihre Mannen ins Feld führe» sollen, ganz »nninwnnden anerkannt, »»d ans
der zweiten Hälfte des 9. Jahrhunderts sind sehr viele Beispiele bekannt, daß
Lehnsherren und zwar sowohl geistliche wie weltliche, bei Kriegszügen neben
den Grafen, also neben den königlichen Offizieren, als Befehlshaber auftraten.
Führte »»» der Senior seine Ausfallen und Ministerialen und bald auch die
im Bereiche seines Gebietes wohnenden Freisassen dem Aufgebote zu. befehligte
er sie im Kampfe, sorgte er für ihren Unterhalt, ward er für ihre Gesetzes¬
übertretungen verantwortlich gemacht, so lag es sehr nahe, daß man auch im
Friede», schon zur bessern Controle der Wehrpflichtigen, den Senioren die Aus¬
übung gräflicher, d. h. obrigkeitlicher Rechte verlieh. Und ebenso unvermeidlich
war es, daß die Beamten, die Grafen, Hundertmänner, Vicare u. s. w., selbst
Bassallen waren oder wurden. Gestaltete doch die Natnralwirthschaft jener Zeit
überhaupt kaum eine andere Besoldung als persönlichen Unterhalt oder Güter-
verlcihuug. Und nun macht sich sofort wieder, wie bei Benutzung der Im¬
munität, die eigenthümliche Neigung geltend, staatsrechtliche und privatrechtliche
Dinge zu verwechseln oder vielmehr zu verschmelze». Die mit gräfliche» Rechte»
n»d Pflichte» ausgestattete» Senioren bemächtigen sich nach und »ach aller Ge¬
rechtsame, welche irgend Einkommen gewähren, vorerst der Gerichtsbarkeit, die
zunächst als Finanzquelle, nämlich als Grund für die Erhebung der Sporteln
in Betracht gezogen wurde. Andere Hoheitsrechte, wie die auf Zölle, Brücken¬
gelder u. tgi. folgten nach, und allmählich kam man dahin, die Aemter selbst
als Beneficien zu behandeln, d. h. die Beamten übten die Rechte des Staates
für sich selbst aus, erhoben die Einkünfte für sich, boten die Mannschaft für ihre
Privatfehden auf und fanden sich der» Könige lediglich zu Treue und gewissen
Leistungen, namentlich zur Heerfolge verbunden. Wie bald und vollständig die
Aemter selbst als Lehen betrachtet wurden, bezeugt am besten der Umstand, daß
das Wort llonor, welches ursprünglich die Amtswürde des Grafen bezeichnete,
seit der Mitte des 9. Jahrhnnders geradezu synonym mit böiröllvium (Honorar)
gebraucht wird.

Die Folgen dieser Entwicklung für das Kriegswesen liegen nahe. Bald be¬
gehen die Heere in erster Reihe aus der von den Vassallen aufgebrachten Mann¬
schaft. Schon in einem Aufgebote Lothars vom Jahre 825 handeln die beiden


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157968/157>, abgerufen am 26.11.2024.