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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Drittes Quartal.

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besorgte Störung der Ruhe des Landes, wenn die Wahlen sich nach dein Bar-
douxschcn Gesetze vollzögein Bei Einführung des Listenserutiniums hätte Gam-
betta nur einen Hauptgcgner vor sich gehabt, den Prinzen Napoleon, wie denn
überhaupt neben den Gambettisten nur die Bonapartisten von jenem Wahl-
modus Nutzen gezogen haben würden. Der Prinz Napoleon will ebenfalls in
allen Wahlkreisen, wo die Bonapartisten die Oberhand haben, seine Candidatur
durchsetzen, und es würden somit aus den neuen Wahlen nicht nur so und so
viele Bonapartisten neben so und so viel opportunistischen Republikanern her¬
vorgehen, sondern auch neben einem so und so oft gewählten Gambetta ein so
und so oft gewühlter Plon-Plon aus den Wahlurnen springen. Das hieße,
auf Grund des Listenserutiniums würden plötzlich für eine künftige Erledigung
des Präsidentenstuhls statt eines Candidaten zwei vorhanden sein, deren Aus¬
sichten aus den Ergebnissen der nächsten Wahlen zu ersehen wären. Zu wessen
Gunsten die Differenz ausfallen würde, ist nicht schwer zu sagen, aber der Prinz
Napoleon wäre mit einem Male wieder eine Macht geworden, mit der man
rechnen müßte.

Die Ablehnung des Listenserutiniums durch den Senat rief unter den
Gambettisten einen Sturm der Entrüstung hervor. Im "Voltaire" veröffent¬
lichte Rane, Gambettas rechte Hand, einen rücksichtslosen Artikel gegen Grvvh,
von dem geklagt wurde, er habe die Verwerfung des Gesetzentwurfes endgiltig
entschieden. Er habe sich gegen Proust, einen andern Vertrauten Gambettas,
direct gegen denselben ausgesprochen und die Entscheidung des Senats beein¬
flußt. Seine Freunde hätten alles gethan, um der Frage ihren persönlichen
Charakter zu verleihen. Offiziell sei er freilich neutral geblieben. Aber desto
mehr habe er im geheimen Partei genommen. Zu dem Deputirten Herrissvu
habe er gesagt, der größte Dienst, den die Republikaner der Republik leisten
könnten, sei, sechs Jahre ruhig zu bleiben, zu Proust, das Listenserutininm werde
eine Kammer der Union Ropublienine zum Ergebniß haben. "Grövh," so fuhr
der Artikel Neues fort, "war der hartnäckigste Gegner der Amnestie, er opferte
bei verschiednen Anlässen seine Minister; man warf Gambcttn vor, er bilde el"
geheime Regierung, eigentlich übte aber Grövh eine geheime Gewalt aus. Er
hat Gambetta keine Ministerpvrtefcuille angeboten, und dieser würde unter
den jetztigeu Berhnltnisseu auch keins eingenommen haben. Anders wäre es
aber gekommen, wenn die Listenwahl durchgegangen wäre. Deshalb war der
Präsident gegen dieselbe: sie hätte eine reformatorische Kammer ergeben und ihm
einen unbequemen Ministerpräsidenten aufgenöthigt. Aber er irrt sich in seiner
Berechnung, die neue Kammer wird Reformen verlangen, sei es mit Gambetta
oder mit einer andern von der Majorität bezeichneten Persönlichkeit!"

Welche Reformen die Gambettisten im Auge haben, sagte die "Ropubligue
Fmnyaise" in einem Artikel, der das Wahlprogramm der Partei entwickelte.
Obenan steht darin die Reform des Senats. Das Organ Gambettas empfahl


besorgte Störung der Ruhe des Landes, wenn die Wahlen sich nach dein Bar-
douxschcn Gesetze vollzögein Bei Einführung des Listenserutiniums hätte Gam-
betta nur einen Hauptgcgner vor sich gehabt, den Prinzen Napoleon, wie denn
überhaupt neben den Gambettisten nur die Bonapartisten von jenem Wahl-
modus Nutzen gezogen haben würden. Der Prinz Napoleon will ebenfalls in
allen Wahlkreisen, wo die Bonapartisten die Oberhand haben, seine Candidatur
durchsetzen, und es würden somit aus den neuen Wahlen nicht nur so und so
viele Bonapartisten neben so und so viel opportunistischen Republikanern her¬
vorgehen, sondern auch neben einem so und so oft gewählten Gambetta ein so
und so oft gewühlter Plon-Plon aus den Wahlurnen springen. Das hieße,
auf Grund des Listenserutiniums würden plötzlich für eine künftige Erledigung
des Präsidentenstuhls statt eines Candidaten zwei vorhanden sein, deren Aus¬
sichten aus den Ergebnissen der nächsten Wahlen zu ersehen wären. Zu wessen
Gunsten die Differenz ausfallen würde, ist nicht schwer zu sagen, aber der Prinz
Napoleon wäre mit einem Male wieder eine Macht geworden, mit der man
rechnen müßte.

Die Ablehnung des Listenserutiniums durch den Senat rief unter den
Gambettisten einen Sturm der Entrüstung hervor. Im „Voltaire" veröffent¬
lichte Rane, Gambettas rechte Hand, einen rücksichtslosen Artikel gegen Grvvh,
von dem geklagt wurde, er habe die Verwerfung des Gesetzentwurfes endgiltig
entschieden. Er habe sich gegen Proust, einen andern Vertrauten Gambettas,
direct gegen denselben ausgesprochen und die Entscheidung des Senats beein¬
flußt. Seine Freunde hätten alles gethan, um der Frage ihren persönlichen
Charakter zu verleihen. Offiziell sei er freilich neutral geblieben. Aber desto
mehr habe er im geheimen Partei genommen. Zu dem Deputirten Herrissvu
habe er gesagt, der größte Dienst, den die Republikaner der Republik leisten
könnten, sei, sechs Jahre ruhig zu bleiben, zu Proust, das Listenserutininm werde
eine Kammer der Union Ropublienine zum Ergebniß haben. „Grövh," so fuhr
der Artikel Neues fort, „war der hartnäckigste Gegner der Amnestie, er opferte
bei verschiednen Anlässen seine Minister; man warf Gambcttn vor, er bilde el»
geheime Regierung, eigentlich übte aber Grövh eine geheime Gewalt aus. Er
hat Gambetta keine Ministerpvrtefcuille angeboten, und dieser würde unter
den jetztigeu Berhnltnisseu auch keins eingenommen haben. Anders wäre es
aber gekommen, wenn die Listenwahl durchgegangen wäre. Deshalb war der
Präsident gegen dieselbe: sie hätte eine reformatorische Kammer ergeben und ihm
einen unbequemen Ministerpräsidenten aufgenöthigt. Aber er irrt sich in seiner
Berechnung, die neue Kammer wird Reformen verlangen, sei es mit Gambetta
oder mit einer andern von der Majorität bezeichneten Persönlichkeit!"

Welche Reformen die Gambettisten im Auge haben, sagte die „Ropubligue
Fmnyaise" in einem Artikel, der das Wahlprogramm der Partei entwickelte.
Obenan steht darin die Reform des Senats. Das Organ Gambettas empfahl


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157968/15>, abgerufen am 25.11.2024.