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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Drittes Quartal.

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Lugland und Frankreich am Mittelmeere.

jener sich der französische" Oberherrlichkeit factisch unterwarf, verlor er allen
moralischen Einfluß ans seine muslimische" Unterthanen, Zum Ausgleich muß
er nun von den Franzosen mit Waffengewalt gegen diese unterstützt werden,
und wenn um" ihm auch seine Scheinherrschaft noch lange in ähnlicher Weise
läßt, wie die Engländer sie einer Anzahl indischer Nadschas lassen, so wird doch
jedes Jahr deutlicher zeigen, daß Tunis im Grnnde ebenso in französischen
Besitz übergegangen ist wie seinerzeit Algerien.

Der Aufstand Bu Amemas ging dieser Einverleibung voraus, aber es
leidet keinen Zweifel, daß der Geist der Aufsässigkeit, der sich in jenem Luft
machte, ans dem durch die Marabuts von Stamm zu Stamm weitergetragnen
Glauben, daß die muhamedanische Welt in Afrika sich zu einem gewaltigen Kampfe
gegen die Franken aufraffen oder erliegen müsse, fortwährend neue Kraft schöpfen
wird. Die Greuelthaten an der marokkanischen Grenze Algeriens sind wahr¬
scheinlich ebenfalls auf diesen Glauben zurückzuführen, der unter halbbarbarischen
Völkern, die mit Europäer": in Berührung kommen, ziemlich begreiflich ist. Daß
die Pforte unter diesen Umständen in Betreff des Gebietes von Tripolis Be¬
fürchtungen hegt, ist nicht unnatürlich, aber auch die mißtrauischen Blicke, mit
welchen die Franzosen die Absendung von Verstärkung um Truppen und Munition,
die von Stambul nach Tripolis abgingen, betrachten, sind verstündlich. Ist es
doch sehr möglich, um nicht zu sagen sehr wahrscheinlich, daß die Aufständischen
in Sfax vou Sendungen aus Tripolis aufgestachelt und ermuthigt worden sind.

Mit welchen Empfindungen die deutsche Politik diese Vorgänge betrachtet,
haben wir schon früher angedeutet. Sie berühren unser Interesse mir indireet,
und müßten wir unsre Meinung sagen, so würde sie dahin lauten: Wir wünschen
den Franzosen guten Erfolg; denn wir wünschen erstens, daß sie sich zufrieden
fühlen, und zweitens, daß sie als Culturvolk Länder, die einst in hoher Cultur
standen, der Gesittung wiedergewinnen und ertragsfähiger machen, als sie unter
der bisherigen Herrschaft waren. Das erste ist das wichtigste: ein zufriedner
Nachbar wird ein guter Nachbar sein. Italien glaubt Ursache zu haben, die
Sache anders anzusehen. England ist im gleichen Falle. Beide Mächte werden
aber gegenwärtig ihrer Mißstimmung keine Folge geben, sondern abwarten, was
sich aus der Saat in Tunis entwickelt.

Man sollte denken, daß man in Frankreich mit den jetzigen Verlegenheiten
in Nordafrika genug zu thun hätte, um die Augen nicht weiter gehen und nament¬
lich nicht dahin schweifen zu lassen, wo England fühlt, daß es sterblich ist. Die
französische Regierung hat wohl auch solche weitcrschwcifcude Gedanken nicht.
Aber in der Pariser Presse begegnet man ihnen gelegentlich, und dann erfolgt
in der Regel aus den Londoner Redactionen heftiger Protest. Wir gehen nicht
so weit, dergleichen Dinge für das Wetterleuchten vor einem Gewitterstürme zu
halten, glauben sie aber doch auch nicht mit Stillschweigen übergehen zu dürfen,
da sie andeuten, wie weit die Franzosen ihre Macht in Nordafrika nicht aus-


Lugland und Frankreich am Mittelmeere.

jener sich der französische» Oberherrlichkeit factisch unterwarf, verlor er allen
moralischen Einfluß ans seine muslimische» Unterthanen, Zum Ausgleich muß
er nun von den Franzosen mit Waffengewalt gegen diese unterstützt werden,
und wenn um» ihm auch seine Scheinherrschaft noch lange in ähnlicher Weise
läßt, wie die Engländer sie einer Anzahl indischer Nadschas lassen, so wird doch
jedes Jahr deutlicher zeigen, daß Tunis im Grnnde ebenso in französischen
Besitz übergegangen ist wie seinerzeit Algerien.

Der Aufstand Bu Amemas ging dieser Einverleibung voraus, aber es
leidet keinen Zweifel, daß der Geist der Aufsässigkeit, der sich in jenem Luft
machte, ans dem durch die Marabuts von Stamm zu Stamm weitergetragnen
Glauben, daß die muhamedanische Welt in Afrika sich zu einem gewaltigen Kampfe
gegen die Franken aufraffen oder erliegen müsse, fortwährend neue Kraft schöpfen
wird. Die Greuelthaten an der marokkanischen Grenze Algeriens sind wahr¬
scheinlich ebenfalls auf diesen Glauben zurückzuführen, der unter halbbarbarischen
Völkern, die mit Europäer«: in Berührung kommen, ziemlich begreiflich ist. Daß
die Pforte unter diesen Umständen in Betreff des Gebietes von Tripolis Be¬
fürchtungen hegt, ist nicht unnatürlich, aber auch die mißtrauischen Blicke, mit
welchen die Franzosen die Absendung von Verstärkung um Truppen und Munition,
die von Stambul nach Tripolis abgingen, betrachten, sind verstündlich. Ist es
doch sehr möglich, um nicht zu sagen sehr wahrscheinlich, daß die Aufständischen
in Sfax vou Sendungen aus Tripolis aufgestachelt und ermuthigt worden sind.

Mit welchen Empfindungen die deutsche Politik diese Vorgänge betrachtet,
haben wir schon früher angedeutet. Sie berühren unser Interesse mir indireet,
und müßten wir unsre Meinung sagen, so würde sie dahin lauten: Wir wünschen
den Franzosen guten Erfolg; denn wir wünschen erstens, daß sie sich zufrieden
fühlen, und zweitens, daß sie als Culturvolk Länder, die einst in hoher Cultur
standen, der Gesittung wiedergewinnen und ertragsfähiger machen, als sie unter
der bisherigen Herrschaft waren. Das erste ist das wichtigste: ein zufriedner
Nachbar wird ein guter Nachbar sein. Italien glaubt Ursache zu haben, die
Sache anders anzusehen. England ist im gleichen Falle. Beide Mächte werden
aber gegenwärtig ihrer Mißstimmung keine Folge geben, sondern abwarten, was
sich aus der Saat in Tunis entwickelt.

Man sollte denken, daß man in Frankreich mit den jetzigen Verlegenheiten
in Nordafrika genug zu thun hätte, um die Augen nicht weiter gehen und nament¬
lich nicht dahin schweifen zu lassen, wo England fühlt, daß es sterblich ist. Die
französische Regierung hat wohl auch solche weitcrschwcifcude Gedanken nicht.
Aber in der Pariser Presse begegnet man ihnen gelegentlich, und dann erfolgt
in der Regel aus den Londoner Redactionen heftiger Protest. Wir gehen nicht
so weit, dergleichen Dinge für das Wetterleuchten vor einem Gewitterstürme zu
halten, glauben sie aber doch auch nicht mit Stillschweigen übergehen zu dürfen,
da sie andeuten, wie weit die Franzosen ihre Macht in Nordafrika nicht aus-


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[0146] Lugland und Frankreich am Mittelmeere. jener sich der französische» Oberherrlichkeit factisch unterwarf, verlor er allen moralischen Einfluß ans seine muslimische» Unterthanen, Zum Ausgleich muß er nun von den Franzosen mit Waffengewalt gegen diese unterstützt werden, und wenn um» ihm auch seine Scheinherrschaft noch lange in ähnlicher Weise läßt, wie die Engländer sie einer Anzahl indischer Nadschas lassen, so wird doch jedes Jahr deutlicher zeigen, daß Tunis im Grnnde ebenso in französischen Besitz übergegangen ist wie seinerzeit Algerien. Der Aufstand Bu Amemas ging dieser Einverleibung voraus, aber es leidet keinen Zweifel, daß der Geist der Aufsässigkeit, der sich in jenem Luft machte, ans dem durch die Marabuts von Stamm zu Stamm weitergetragnen Glauben, daß die muhamedanische Welt in Afrika sich zu einem gewaltigen Kampfe gegen die Franken aufraffen oder erliegen müsse, fortwährend neue Kraft schöpfen wird. Die Greuelthaten an der marokkanischen Grenze Algeriens sind wahr¬ scheinlich ebenfalls auf diesen Glauben zurückzuführen, der unter halbbarbarischen Völkern, die mit Europäer«: in Berührung kommen, ziemlich begreiflich ist. Daß die Pforte unter diesen Umständen in Betreff des Gebietes von Tripolis Be¬ fürchtungen hegt, ist nicht unnatürlich, aber auch die mißtrauischen Blicke, mit welchen die Franzosen die Absendung von Verstärkung um Truppen und Munition, die von Stambul nach Tripolis abgingen, betrachten, sind verstündlich. Ist es doch sehr möglich, um nicht zu sagen sehr wahrscheinlich, daß die Aufständischen in Sfax vou Sendungen aus Tripolis aufgestachelt und ermuthigt worden sind. Mit welchen Empfindungen die deutsche Politik diese Vorgänge betrachtet, haben wir schon früher angedeutet. Sie berühren unser Interesse mir indireet, und müßten wir unsre Meinung sagen, so würde sie dahin lauten: Wir wünschen den Franzosen guten Erfolg; denn wir wünschen erstens, daß sie sich zufrieden fühlen, und zweitens, daß sie als Culturvolk Länder, die einst in hoher Cultur standen, der Gesittung wiedergewinnen und ertragsfähiger machen, als sie unter der bisherigen Herrschaft waren. Das erste ist das wichtigste: ein zufriedner Nachbar wird ein guter Nachbar sein. Italien glaubt Ursache zu haben, die Sache anders anzusehen. England ist im gleichen Falle. Beide Mächte werden aber gegenwärtig ihrer Mißstimmung keine Folge geben, sondern abwarten, was sich aus der Saat in Tunis entwickelt. Man sollte denken, daß man in Frankreich mit den jetzigen Verlegenheiten in Nordafrika genug zu thun hätte, um die Augen nicht weiter gehen und nament¬ lich nicht dahin schweifen zu lassen, wo England fühlt, daß es sterblich ist. Die französische Regierung hat wohl auch solche weitcrschwcifcude Gedanken nicht. Aber in der Pariser Presse begegnet man ihnen gelegentlich, und dann erfolgt in der Regel aus den Londoner Redactionen heftiger Protest. Wir gehen nicht so weit, dergleichen Dinge für das Wetterleuchten vor einem Gewitterstürme zu halten, glauben sie aber doch auch nicht mit Stillschweigen übergehen zu dürfen, da sie andeuten, wie weit die Franzosen ihre Macht in Nordafrika nicht aus-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157968/146>, abgerufen am 23.11.2024.