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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Drittes Quartal.

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Zommermärchen.

für den Meistor aus der Schenke holte. Allmählich lernte er mich Seifenschaum
schlagen, Scheermesser abziehen und was sonst zum Handwerk gehört. Sein Meister
war zufrieden mit ihm, nur das Geigenspiel, das Frieder in seiner freien Zeit
mit Eifer pflog, war ihm zuwider, denn es zählte nach des Baders Ansicht zu den
brodlosen Künste".

Ein paar Jahre verstrichen. Da kam der Tag heran, an welchem Frieder sein
Gesellenstück machen sollte. Wenn das zur Zufriedenheit des Meisters ausfiel, dann
durfte er als Wanderbnrsch in die weite Welt ziehen und sein Glück suchen. Das
Gesellenstück bestand aber darin, daß er seinem Herrn den Bart scheeren mußte,
und das war kein Spaß. Der wichtige Tag war da. Der Bader saß auf dem
Stuhl, das weiße Tuch um deu Hals, und lehnte den Kopf zurück. Frieder seiste
ihm das Doppelkinn ein, zog das Messer ans dem Streichriemen ab und begann
daS Werk. Da ertönten plötzlich vor dem Hause Saiten- und Pfeifenklänge; ein
Bärenführer zog des Weges. Dem Baderjnngen, wie er die Musik hörte, fuhr es
in die Hand, und auf der Wange des Meisters saß eine blutige Schramme, die
reichte vom Ohrläppchen bis zum Nasenflügel. O weh, du armer Frieder! Der
Stuhl, darauf der Bader gesessen, fiel rücklings ans den Boden. Wüthend sprang
der Bindende in die Höhe und gab seinem Lehrling eine schallende Ohrfeige. Dann
riß er die Thür ans, deutete mit dem Zeigefinger in die blaue Luft und schrie:
"Geh' zum Kukuk!"

Da packte der Frieder seine Siebensachen zusammen, nahm seine Geige unter
deu Arm und ging zum Kukuk. Der Kukuk wohnte im Walde auf einer Eiche
und war zufällig zu Hause, als Frieder bei ihm vorsprach. Er hörte den Bericht
des Burschen geduldig bis zu Ende an, dann aber zuckte er die Flügel und sprach:
"Junger Freund, wenn ich allen helfen wollte, die zu mir geschickt werden, hätte
ich viel zu thun. Die Zeiten sind schwer, und ich muß froh sein, daß ich meine
eignen Kinder leidlich untergebracht habe. Den ältesten habe ich bei einer Bach¬
stelzenfamilie in Kost gegeben, den zweiten hat der Nachbar Rothschwanz ins Haus
genommen, das dritte Kind, ein Mädel, ist in Pflege bei einer alten Grasmücke,
und für die zwei kleinsten sorgt der Zaunkönig. Ich selbst muß mich regen vom
Morgen bis zum Abend, um anständig auszukommen. Seit vierzehn Tagen nähre
ich mich von haarigen Bärenraupen, und diese Kost ist nichts für deinen Magen.
Nein, ich kaun dir nicht helfen, so leid es mir thut."

Da ließ der Frieder traurig den Kopf hängen, sagte dem Kukuk Valet und
hob sich von hinnen. Er war aber noch nicht weit gegangen, da rief ihr" der Kukuk
nach: "Halt, Frieder! Mir kommt ein guter Gednuke. Vielleicht kann ich dir doch
helfen. Komm mit." Sprachs, reckte die Flügel und flog, den Weg zeigend, vor
dem Frieder her.

Dieser hatte Mühe, seinem Führer zu folgen, denn das Unterholz des Waldes
war dicht, und Dornhecken waren auch reichlich vorhanden. Endlich wurde es licht
zwischeu den Bäumen, und ein Wasser blinkte auf.

"Wir sind zur Stelle," sprach der Kukuk und ließ sich auf einer Erle nieder.
Vor dem jungen Gesellen lag ein dunkelgrüner Weiher, der dnrch einen schäumenden
Wasserfall gespeist wurde. Schilfhalme und gelbe Schwertlilien standen am Ufer,
und weiße Wasserrosen mit großen Blättern schwammen auf der Fläche. "Nun
gieb Acht," sprach der kluge Vogel. "Wenn die Sonne sich neigt und den Staub
des Wasserfalls in sieben Farben leuchten läßt, dann taucht der Reck aus dem Grunde
des Weihers, woselbst er ein krystallnes Schloß hat, und sitzt am Ufer. Dann fürchte
dich nicht, sondern sprich ihn an. Das weitere wird sich finden." Da bedankte


Zommermärchen.

für den Meistor aus der Schenke holte. Allmählich lernte er mich Seifenschaum
schlagen, Scheermesser abziehen und was sonst zum Handwerk gehört. Sein Meister
war zufrieden mit ihm, nur das Geigenspiel, das Frieder in seiner freien Zeit
mit Eifer pflog, war ihm zuwider, denn es zählte nach des Baders Ansicht zu den
brodlosen Künste».

Ein paar Jahre verstrichen. Da kam der Tag heran, an welchem Frieder sein
Gesellenstück machen sollte. Wenn das zur Zufriedenheit des Meisters ausfiel, dann
durfte er als Wanderbnrsch in die weite Welt ziehen und sein Glück suchen. Das
Gesellenstück bestand aber darin, daß er seinem Herrn den Bart scheeren mußte,
und das war kein Spaß. Der wichtige Tag war da. Der Bader saß auf dem
Stuhl, das weiße Tuch um deu Hals, und lehnte den Kopf zurück. Frieder seiste
ihm das Doppelkinn ein, zog das Messer ans dem Streichriemen ab und begann
daS Werk. Da ertönten plötzlich vor dem Hause Saiten- und Pfeifenklänge; ein
Bärenführer zog des Weges. Dem Baderjnngen, wie er die Musik hörte, fuhr es
in die Hand, und auf der Wange des Meisters saß eine blutige Schramme, die
reichte vom Ohrläppchen bis zum Nasenflügel. O weh, du armer Frieder! Der
Stuhl, darauf der Bader gesessen, fiel rücklings ans den Boden. Wüthend sprang
der Bindende in die Höhe und gab seinem Lehrling eine schallende Ohrfeige. Dann
riß er die Thür ans, deutete mit dem Zeigefinger in die blaue Luft und schrie:
„Geh' zum Kukuk!"

Da packte der Frieder seine Siebensachen zusammen, nahm seine Geige unter
deu Arm und ging zum Kukuk. Der Kukuk wohnte im Walde auf einer Eiche
und war zufällig zu Hause, als Frieder bei ihm vorsprach. Er hörte den Bericht
des Burschen geduldig bis zu Ende an, dann aber zuckte er die Flügel und sprach:
„Junger Freund, wenn ich allen helfen wollte, die zu mir geschickt werden, hätte
ich viel zu thun. Die Zeiten sind schwer, und ich muß froh sein, daß ich meine
eignen Kinder leidlich untergebracht habe. Den ältesten habe ich bei einer Bach¬
stelzenfamilie in Kost gegeben, den zweiten hat der Nachbar Rothschwanz ins Haus
genommen, das dritte Kind, ein Mädel, ist in Pflege bei einer alten Grasmücke,
und für die zwei kleinsten sorgt der Zaunkönig. Ich selbst muß mich regen vom
Morgen bis zum Abend, um anständig auszukommen. Seit vierzehn Tagen nähre
ich mich von haarigen Bärenraupen, und diese Kost ist nichts für deinen Magen.
Nein, ich kaun dir nicht helfen, so leid es mir thut."

Da ließ der Frieder traurig den Kopf hängen, sagte dem Kukuk Valet und
hob sich von hinnen. Er war aber noch nicht weit gegangen, da rief ihr» der Kukuk
nach: „Halt, Frieder! Mir kommt ein guter Gednuke. Vielleicht kann ich dir doch
helfen. Komm mit." Sprachs, reckte die Flügel und flog, den Weg zeigend, vor
dem Frieder her.

Dieser hatte Mühe, seinem Führer zu folgen, denn das Unterholz des Waldes
war dicht, und Dornhecken waren auch reichlich vorhanden. Endlich wurde es licht
zwischeu den Bäumen, und ein Wasser blinkte auf.

„Wir sind zur Stelle," sprach der Kukuk und ließ sich auf einer Erle nieder.
Vor dem jungen Gesellen lag ein dunkelgrüner Weiher, der dnrch einen schäumenden
Wasserfall gespeist wurde. Schilfhalme und gelbe Schwertlilien standen am Ufer,
und weiße Wasserrosen mit großen Blättern schwammen auf der Fläche. „Nun
gieb Acht," sprach der kluge Vogel. „Wenn die Sonne sich neigt und den Staub
des Wasserfalls in sieben Farben leuchten läßt, dann taucht der Reck aus dem Grunde
des Weihers, woselbst er ein krystallnes Schloß hat, und sitzt am Ufer. Dann fürchte
dich nicht, sondern sprich ihn an. Das weitere wird sich finden." Da bedankte


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[0132] Zommermärchen. für den Meistor aus der Schenke holte. Allmählich lernte er mich Seifenschaum schlagen, Scheermesser abziehen und was sonst zum Handwerk gehört. Sein Meister war zufrieden mit ihm, nur das Geigenspiel, das Frieder in seiner freien Zeit mit Eifer pflog, war ihm zuwider, denn es zählte nach des Baders Ansicht zu den brodlosen Künste». Ein paar Jahre verstrichen. Da kam der Tag heran, an welchem Frieder sein Gesellenstück machen sollte. Wenn das zur Zufriedenheit des Meisters ausfiel, dann durfte er als Wanderbnrsch in die weite Welt ziehen und sein Glück suchen. Das Gesellenstück bestand aber darin, daß er seinem Herrn den Bart scheeren mußte, und das war kein Spaß. Der wichtige Tag war da. Der Bader saß auf dem Stuhl, das weiße Tuch um deu Hals, und lehnte den Kopf zurück. Frieder seiste ihm das Doppelkinn ein, zog das Messer ans dem Streichriemen ab und begann daS Werk. Da ertönten plötzlich vor dem Hause Saiten- und Pfeifenklänge; ein Bärenführer zog des Weges. Dem Baderjnngen, wie er die Musik hörte, fuhr es in die Hand, und auf der Wange des Meisters saß eine blutige Schramme, die reichte vom Ohrläppchen bis zum Nasenflügel. O weh, du armer Frieder! Der Stuhl, darauf der Bader gesessen, fiel rücklings ans den Boden. Wüthend sprang der Bindende in die Höhe und gab seinem Lehrling eine schallende Ohrfeige. Dann riß er die Thür ans, deutete mit dem Zeigefinger in die blaue Luft und schrie: „Geh' zum Kukuk!" Da packte der Frieder seine Siebensachen zusammen, nahm seine Geige unter deu Arm und ging zum Kukuk. Der Kukuk wohnte im Walde auf einer Eiche und war zufällig zu Hause, als Frieder bei ihm vorsprach. Er hörte den Bericht des Burschen geduldig bis zu Ende an, dann aber zuckte er die Flügel und sprach: „Junger Freund, wenn ich allen helfen wollte, die zu mir geschickt werden, hätte ich viel zu thun. Die Zeiten sind schwer, und ich muß froh sein, daß ich meine eignen Kinder leidlich untergebracht habe. Den ältesten habe ich bei einer Bach¬ stelzenfamilie in Kost gegeben, den zweiten hat der Nachbar Rothschwanz ins Haus genommen, das dritte Kind, ein Mädel, ist in Pflege bei einer alten Grasmücke, und für die zwei kleinsten sorgt der Zaunkönig. Ich selbst muß mich regen vom Morgen bis zum Abend, um anständig auszukommen. Seit vierzehn Tagen nähre ich mich von haarigen Bärenraupen, und diese Kost ist nichts für deinen Magen. Nein, ich kaun dir nicht helfen, so leid es mir thut." Da ließ der Frieder traurig den Kopf hängen, sagte dem Kukuk Valet und hob sich von hinnen. Er war aber noch nicht weit gegangen, da rief ihr» der Kukuk nach: „Halt, Frieder! Mir kommt ein guter Gednuke. Vielleicht kann ich dir doch helfen. Komm mit." Sprachs, reckte die Flügel und flog, den Weg zeigend, vor dem Frieder her. Dieser hatte Mühe, seinem Führer zu folgen, denn das Unterholz des Waldes war dicht, und Dornhecken waren auch reichlich vorhanden. Endlich wurde es licht zwischeu den Bäumen, und ein Wasser blinkte auf. „Wir sind zur Stelle," sprach der Kukuk und ließ sich auf einer Erle nieder. Vor dem jungen Gesellen lag ein dunkelgrüner Weiher, der dnrch einen schäumenden Wasserfall gespeist wurde. Schilfhalme und gelbe Schwertlilien standen am Ufer, und weiße Wasserrosen mit großen Blättern schwammen auf der Fläche. „Nun gieb Acht," sprach der kluge Vogel. „Wenn die Sonne sich neigt und den Staub des Wasserfalls in sieben Farben leuchten läßt, dann taucht der Reck aus dem Grunde des Weihers, woselbst er ein krystallnes Schloß hat, und sitzt am Ufer. Dann fürchte dich nicht, sondern sprich ihn an. Das weitere wird sich finden." Da bedankte

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157968/132>, abgerufen am 25.12.2024.