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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Drittes Quartal.

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Sommermärchen.

sollen. Ein solches durchgeführtes Märchen giebt Banmbach in den "Teufeln
auf der Himmclswiese," einem der hübschesten der ganzen Sammlung. Die
Engclkinder, erzählt er da, sind schulpflichtig wie die Buben und Mädchen auf
der Erde und müssen an den Wochentagen in der Engelschule sitzen. Ihr Lehrer
ist der Doctor Faust. Der war auf Erden Magister, und "wegen einer gewissen
Geschichte, die nicht hierher gehört," muß er dreitausend Jahre im Himmel Schule
halten; dann beginnen auch für ihn einmal die "großen Ferien." Mittwochs
und Samstags Nachmittags, wo keine Schule ist, führt er die Eugelkinder auf
der Milchstraße spazieren, und Sonntags dürfen sie vor dem Himmelsthore auf
der großen blauen Himmelswiese spielen, auf der tausend und abertausend silberne
und goldne Blumen wachsen, welche die Menschen Sterne nennen. Da führt
dann Petrus die Aufsicht über sie und paßt auf, daß es beim Spiele hübsch
ordentlich zugeht und daß sich keiner verläuft und verfliegt; wenn sich aber eiuer
zu weit vom Thore entfernt, so pfeift er auf seinem goldnen Schlüssel. An
einem heißen Sonntag nun, wo Sanct Peter eingeschlafen ist, zerstreuen sich die
Engel immer weiter und kommen endlich an die Stelle, "wo die Welt mit Brettern
zugeschlagen ist." Sie klettern und flattern hinauf und blicken -- in die Hölle,
wo sich eben vor dem Höllenthor eine Menge kleiner schwarzer Teufel herum¬
treibt. Da wird die Jakobsleiter herbeigeschleppt, und eine Anzahl von den ge¬
schwänzten Burschen wird herübergeholt auf die Himmelswiese. Dort betragen
sie sich anfangs recht manierlich, schreiten sittsam einher und "tragen ihre Schwänze
als Schleppen im Arm, wie ihnen das des Teufels Großmutter, die viel auf
Anstand hält, beigebracht hat." Es dauert aber nicht lange, so werden sie aus¬
gelassen, schlagen Räder und Purzelbäume, gröhlen dazu wie echte Teufelsmngcn,
zeigen dem braven Mond die Zunge und machen ihm lange Nasen und fangen
schließlich gar an, die Blumensterne auszuraufen und auf die Erde hinnbzuwerfeu,
bis Petrus erwacht und dem ganzen Spuk ein Ende macht. Die Engel werden
damit bestraft, daß sie drei Sonntage hinter einander gar nicht vor das Himmels-
thor dürfen, und wenn sie spazieren geführt werden, müssen sie zuvor ihre Flügel
losschnallen und den Heiligenschein ablegen. Für einen Engel aber ist es eine
große Schande, wenn er ohne Flügel und Heiligenschein herumlaufen muß. Etwas
gutes aber hat der Unfug der kleine" Teufelskerle doch gehabt. Denn aus den
Sternen, die sie auf die Erde geworfen, wurden die Sternblumen, und weil sie
himmlischen Ursprungs sind, so wohnt ihnen eine ganz besondre Kraft inne.
Wenn nämlich eine Dirne mit Zweifel im Gemüth die weißen Blätter des Blüthen¬
sternes einzeln abzupft und dazu einen gewissen Spruch raunt, "so weiß sie
beim letzten Blättlein ganz sicher, was sie zu wissen begehrt."

Dergleichen ist allerliebst ersonnen, und so wie Baumbach das zu erzählen
weiß, kann sich Jung und Alt herzlich daran erfreuen. Allein dies Märchen
steht ziemlich vereinzelt da; in der Regel schlägt der Dichter einen andern Weg
ein: er verschmilzt das Märchen mit der realistischen Erzählung. Gewöhnlich


Sommermärchen.

sollen. Ein solches durchgeführtes Märchen giebt Banmbach in den „Teufeln
auf der Himmclswiese," einem der hübschesten der ganzen Sammlung. Die
Engclkinder, erzählt er da, sind schulpflichtig wie die Buben und Mädchen auf
der Erde und müssen an den Wochentagen in der Engelschule sitzen. Ihr Lehrer
ist der Doctor Faust. Der war auf Erden Magister, und „wegen einer gewissen
Geschichte, die nicht hierher gehört," muß er dreitausend Jahre im Himmel Schule
halten; dann beginnen auch für ihn einmal die „großen Ferien." Mittwochs
und Samstags Nachmittags, wo keine Schule ist, führt er die Eugelkinder auf
der Milchstraße spazieren, und Sonntags dürfen sie vor dem Himmelsthore auf
der großen blauen Himmelswiese spielen, auf der tausend und abertausend silberne
und goldne Blumen wachsen, welche die Menschen Sterne nennen. Da führt
dann Petrus die Aufsicht über sie und paßt auf, daß es beim Spiele hübsch
ordentlich zugeht und daß sich keiner verläuft und verfliegt; wenn sich aber eiuer
zu weit vom Thore entfernt, so pfeift er auf seinem goldnen Schlüssel. An
einem heißen Sonntag nun, wo Sanct Peter eingeschlafen ist, zerstreuen sich die
Engel immer weiter und kommen endlich an die Stelle, „wo die Welt mit Brettern
zugeschlagen ist." Sie klettern und flattern hinauf und blicken — in die Hölle,
wo sich eben vor dem Höllenthor eine Menge kleiner schwarzer Teufel herum¬
treibt. Da wird die Jakobsleiter herbeigeschleppt, und eine Anzahl von den ge¬
schwänzten Burschen wird herübergeholt auf die Himmelswiese. Dort betragen
sie sich anfangs recht manierlich, schreiten sittsam einher und „tragen ihre Schwänze
als Schleppen im Arm, wie ihnen das des Teufels Großmutter, die viel auf
Anstand hält, beigebracht hat." Es dauert aber nicht lange, so werden sie aus¬
gelassen, schlagen Räder und Purzelbäume, gröhlen dazu wie echte Teufelsmngcn,
zeigen dem braven Mond die Zunge und machen ihm lange Nasen und fangen
schließlich gar an, die Blumensterne auszuraufen und auf die Erde hinnbzuwerfeu,
bis Petrus erwacht und dem ganzen Spuk ein Ende macht. Die Engel werden
damit bestraft, daß sie drei Sonntage hinter einander gar nicht vor das Himmels-
thor dürfen, und wenn sie spazieren geführt werden, müssen sie zuvor ihre Flügel
losschnallen und den Heiligenschein ablegen. Für einen Engel aber ist es eine
große Schande, wenn er ohne Flügel und Heiligenschein herumlaufen muß. Etwas
gutes aber hat der Unfug der kleine» Teufelskerle doch gehabt. Denn aus den
Sternen, die sie auf die Erde geworfen, wurden die Sternblumen, und weil sie
himmlischen Ursprungs sind, so wohnt ihnen eine ganz besondre Kraft inne.
Wenn nämlich eine Dirne mit Zweifel im Gemüth die weißen Blätter des Blüthen¬
sternes einzeln abzupft und dazu einen gewissen Spruch raunt, „so weiß sie
beim letzten Blättlein ganz sicher, was sie zu wissen begehrt."

Dergleichen ist allerliebst ersonnen, und so wie Baumbach das zu erzählen
weiß, kann sich Jung und Alt herzlich daran erfreuen. Allein dies Märchen
steht ziemlich vereinzelt da; in der Regel schlägt der Dichter einen andern Weg
ein: er verschmilzt das Märchen mit der realistischen Erzählung. Gewöhnlich


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157968/124>, abgerufen am 01.09.2024.