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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Drittes Quartal.

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Skizzen aus unserm heutigen Volksleben.

Fabrikwaare nicht besser gelernt. Nun sollte ich eine Säule nach Zeichnung machen.
Das konnte ich nicht, ich konnte Pfeifenspitzen machen, weiter nichts. Das war
also wieder nichts, Nun ziehe ich noch Weißenbrnnn zurück, gebe dein Werkmeister
die himmlisch besten Worte und werde aus Gnade und Barmherzigkeit wieder auf¬
genommen, Drnuf habe ich mit zehn andern ein halbes Jahr lang Hornknöpfe
gedreht, dann wcirs wieder vorbei. Die ganze Welt war voll Hvrnkuöpfe, Um
mir Arbeit zu haben, ging ich in die Schleiferei und schluckte Staub, bis ich nicht
mehr konnte, hernach hatte ich die Beize und habe mir auch noch das bischen Augen¬
licht verdorben. Jetzt wurde ich wieder abgelohnt. Nun konnte ich gehen und was
andres anfangen. Ich frage Sie nnn, was konnte ich andres anfangen? Wie
die Kinder schrien und die Fran heulte, nahm ich mir ein Herz und ging zum
Alten. Da kam ich schön an. Ich hätte meinen Lohn gekriegt, und damit wäre
es gut, eine Peusionsaustalt hüllen Sie uicht. Wie ich darauf nicht ging, warfen
sie mich hinaus. Am andern Tage hieß es, ich könnte Kohlen Schippen, sollte aber
jn nicht vergessen, wie gut man mit nur wäre, Gut, ich schippe Kohlen, Das
war ich aber nicht gewohnt und konnte die Nachtschicht nicht aushalten, besonders
,beim Schichteuwechsel, wo es 24 Stunden hintereinander geht. Folglich fing ich
an Schnaps zu trinken, nur daß ich mich auf den Beinen erhalten wollte. Wenn
man aber erst einmal angefangen hat, das wissen Sie selbst, dann läßt's einen nicht
wieder los. Zu guterletzt erwischt mich der Treibriemen und quetscht mir die
Hacke ab, Sie sagten, ich wäre betrunken gewesen, es ist aber nicht wahr. Hätte
ich in der Nacht mein halbes Quart gehabt, wäre mirs uicht Pnssirt, Nun be¬
zahlten sie mir noch großartig ein paar Thaler Kurkosteu, setzten mich vor die Thür
und wünschten mir alles Wohlergehen, nachdem sie mich cmsgebentelt hatten bis ans
das Augenlicht und die gesunden Knochen. Sehen Sie, das ist Menschenschinderei,"

"Warum haben Sie sich denn nicht auf das Haftpflichtgesetz berufen? Sie
hatten jn ein Recht dazu."

Brnud schlug ein wahres Höllengelächter an. "Recht? Die Reichen haben ein
Recht, wir haben kein Recht.""

"Unsinn! Sprechen Sie doch nicht solche Thorheiten aus.

"Das ist kein Unsinn, lieber Herr, das ist wahrhaftige Wahrheit. Natürlich
habe ich geklagt. Denn warum? Ich dachte, nach dem Gesetze muß der Herr für
deu Schaden aufkommen. Ich bin in seinem Dienste bei der Maschine verunglückt,
folglich muß mich der Besitzer entschädigen. Prost Mahlzeit, nicht einen Pfennig
habe ich gekriegt.""

"Wenn Sie freilich an ihrem Unglück selbst schuld siud --

"Selber schuld? Natürlich. Wein etwas Passirt, der ist allemal selber schuld.
Das kann man schon so machen. Hören Sie nnr weiter. Der Alte nahm den
Justizrnth Klingestein, und ich nahm erst Kleebergen und hernach den Volks¬
nnwalt, Da haben sie mich herumgehetzt mit Kniffen und Finten, daß ich dachte,
ich müßte verrückt werden. Ich dachte gerade so wie Sie: Recht muß Recht bleiben,
setzte den letzten Groschen zu und trieb die Sache aus einer Instanz in die andre.
Das war wirklich zum Lachen, wenn ich mich nur sehen ließ, wurden sie blaß vor
Wuth und schrien Feuerjo. Es half mir aber alles nichts. Ich war und blieb
"n Säufer, ein unzuverlässiger Mensch, und wurde nbgewicseu. Denn warum?
Alle zeugten sie gegen mich. Der Maschinist hatte nichts gesehen, der Heizer wußte
von nichts, und der Factor redete dem Herrn nach dem Munde, Wenn Sie einmal
in die Lage kommen sollten, den Rath will ich Ihnen geben, lassen Sie sich nicht
mit Schaute und Walker ein; das sind die rechten Kunden,"


Skizzen aus unserm heutigen Volksleben.

Fabrikwaare nicht besser gelernt. Nun sollte ich eine Säule nach Zeichnung machen.
Das konnte ich nicht, ich konnte Pfeifenspitzen machen, weiter nichts. Das war
also wieder nichts, Nun ziehe ich noch Weißenbrnnn zurück, gebe dein Werkmeister
die himmlisch besten Worte und werde aus Gnade und Barmherzigkeit wieder auf¬
genommen, Drnuf habe ich mit zehn andern ein halbes Jahr lang Hornknöpfe
gedreht, dann wcirs wieder vorbei. Die ganze Welt war voll Hvrnkuöpfe, Um
mir Arbeit zu haben, ging ich in die Schleiferei und schluckte Staub, bis ich nicht
mehr konnte, hernach hatte ich die Beize und habe mir auch noch das bischen Augen¬
licht verdorben. Jetzt wurde ich wieder abgelohnt. Nun konnte ich gehen und was
andres anfangen. Ich frage Sie nnn, was konnte ich andres anfangen? Wie
die Kinder schrien und die Fran heulte, nahm ich mir ein Herz und ging zum
Alten. Da kam ich schön an. Ich hätte meinen Lohn gekriegt, und damit wäre
es gut, eine Peusionsaustalt hüllen Sie uicht. Wie ich darauf nicht ging, warfen
sie mich hinaus. Am andern Tage hieß es, ich könnte Kohlen Schippen, sollte aber
jn nicht vergessen, wie gut man mit nur wäre, Gut, ich schippe Kohlen, Das
war ich aber nicht gewohnt und konnte die Nachtschicht nicht aushalten, besonders
,beim Schichteuwechsel, wo es 24 Stunden hintereinander geht. Folglich fing ich
an Schnaps zu trinken, nur daß ich mich auf den Beinen erhalten wollte. Wenn
man aber erst einmal angefangen hat, das wissen Sie selbst, dann läßt's einen nicht
wieder los. Zu guterletzt erwischt mich der Treibriemen und quetscht mir die
Hacke ab, Sie sagten, ich wäre betrunken gewesen, es ist aber nicht wahr. Hätte
ich in der Nacht mein halbes Quart gehabt, wäre mirs uicht Pnssirt, Nun be¬
zahlten sie mir noch großartig ein paar Thaler Kurkosteu, setzten mich vor die Thür
und wünschten mir alles Wohlergehen, nachdem sie mich cmsgebentelt hatten bis ans
das Augenlicht und die gesunden Knochen. Sehen Sie, das ist Menschenschinderei,"

„Warum haben Sie sich denn nicht auf das Haftpflichtgesetz berufen? Sie
hatten jn ein Recht dazu."

Brnud schlug ein wahres Höllengelächter an. „Recht? Die Reichen haben ein
Recht, wir haben kein Recht.""

„Unsinn! Sprechen Sie doch nicht solche Thorheiten aus.

„Das ist kein Unsinn, lieber Herr, das ist wahrhaftige Wahrheit. Natürlich
habe ich geklagt. Denn warum? Ich dachte, nach dem Gesetze muß der Herr für
deu Schaden aufkommen. Ich bin in seinem Dienste bei der Maschine verunglückt,
folglich muß mich der Besitzer entschädigen. Prost Mahlzeit, nicht einen Pfennig
habe ich gekriegt.""

„Wenn Sie freilich an ihrem Unglück selbst schuld siud —

„Selber schuld? Natürlich. Wein etwas Passirt, der ist allemal selber schuld.
Das kann man schon so machen. Hören Sie nnr weiter. Der Alte nahm den
Justizrnth Klingestein, und ich nahm erst Kleebergen und hernach den Volks¬
nnwalt, Da haben sie mich herumgehetzt mit Kniffen und Finten, daß ich dachte,
ich müßte verrückt werden. Ich dachte gerade so wie Sie: Recht muß Recht bleiben,
setzte den letzten Groschen zu und trieb die Sache aus einer Instanz in die andre.
Das war wirklich zum Lachen, wenn ich mich nur sehen ließ, wurden sie blaß vor
Wuth und schrien Feuerjo. Es half mir aber alles nichts. Ich war und blieb
«n Säufer, ein unzuverlässiger Mensch, und wurde nbgewicseu. Denn warum?
Alle zeugten sie gegen mich. Der Maschinist hatte nichts gesehen, der Heizer wußte
von nichts, und der Factor redete dem Herrn nach dem Munde, Wenn Sie einmal
in die Lage kommen sollten, den Rath will ich Ihnen geben, lassen Sie sich nicht
mit Schaute und Walker ein; das sind die rechten Kunden,"


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157968/119>, abgerufen am 26.12.2024.