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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Drittes Quartal.

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Die Lntwicklung der Feudalität und das deutsche! Kriegswesen im frühen Mittelalter,

sondern auch große Streitkräfte aufzubringen hatte, um das Abendland vor dem
aus Spanien eindringenden Islam zu schützen. Die umfangreichste und wichtigste
Benefieialverlcihuug aus Kirchengut fällt jedoch in die zweite Hälfte des 8. Jahr¬
hunderts und beginnt mit dem Jahre der Thronbesteigung Pipins (751): es ist
offenbar der Preis, den dieser erste karlingische König für seine Erhebung ge¬
zahlt hat. Uebrigens war die Säkularisation, welche etwa die Hälfte den Kircheu-
gutes betraf, mir der Form nach eine Gewaltthat; sie geschah thatsächlich im
Einvernehmen mit dem Klerus, der durchaus karlingisch gesinnt war. Die aus¬
getheilten Güter hatten auch fernerhin der Kirche den Zehnten zu zahlen und
wurden durchweg nicht als Erbe sondern als Lehen vergeben. Sie hatten, ab¬
gesehen voll ihrer politischen Bedeutung, wesentlich den Zweck, Mittel zum Unter¬
halte allzeit gerüsteter, für den Kriegsdienst bereiter Vassallen aufzubringen, waren
also ganz eigentlich dsiuzüoig. im römischen Staatssiunc wie einst die Grenzer¬
lehen der alten sZ'ri clLoumlckizs. Seit diesen umfassenden Verleihungen lebte,
über das ganze Reich vertheilt, statt der paar Tausend Grafen, Centenare, An-
trustionen und Dvmanialvorsteher, eine zahlreiche Masse von Kronvassalle", ans
der der bisherige Beamtenstand nun erst recht als ein höherer Adel hervorragte.
Pipin wie seine nächsten Vorgänger und Nachfolger machten sich dadurch Zu¬
stände dienstbar, deren Bedenklichkeit sie offenbar erkannten, die sie aber bereits
vorfanden und die zu beseitigen sie gar nicht imstande gewesen wären. Immer¬
hin versuchten sie, diese Zustände der vou ihnen beabsichtigten Reichsordnung
derart einzufügen, daß der Heerbann so wenig wie möglich darunter litte. Zu
dem Ende forderten die Herrscher, daß jeder, der ein Beneficium empfinge, sich
zugleich commentiren, d. h. in die Vnssallität eintreten müsse*), daß ferner das
Benefieialgnt der Hintersassen hinsichtlich der Kriegspflicht dem Allode gleich ge¬
achtet werden solle, d. h. daß der Inhaber persönlich den Dienst leiste und nicht
nur seinem Patrone, sondern unmittelbar auch dem Könige zu Dienst "ut Treue
verpflichtet sei, da der Treueid an den Herrn dem allgemeinen Nnterthanen-
eide keinen Abbruch thun dürfe. Die jährliche Heeresversammlnng endlich wurde
vom März in den Mai verlegt, damit sich das Volk nicht etwa wieder vertiefe,
bevor der Feldzug eröffnet werden könnte.

Diese Verordnungen haben indessen der einmal im Zuge begriffnen Ent¬
wicklung nicht Einhalt gebieten, ja sie kaum verlangsamen können. Kam doch
die nun gesetzlich geforderte Commentation bei Uebernahme eines Benefieinms
weit mehr der Gewalt der Vasfallen über ihre Hintersassen zu Gute als der
Macht der Krone über die Besitzer königlichen BencsieinlguteS. Vor allem ver-
hängnißvoll war jedoch die ununterbrochene Zunahme der Landübertragungeu,
insbesondere der cMe-ig, Main an die Kirche. Die Ohnmacht der Staatsgewalt,



Die Commendntivn (Übergebung) erfolgte durch besonder" symbolischen Act in der
Weise, daß der darum nachsuchende seine Hände gefaltet in die des neuen Schutzherrn legte.
Später kam noch ein Knsz hinzu.
Die Lntwicklung der Feudalität und das deutsche! Kriegswesen im frühen Mittelalter,

sondern auch große Streitkräfte aufzubringen hatte, um das Abendland vor dem
aus Spanien eindringenden Islam zu schützen. Die umfangreichste und wichtigste
Benefieialverlcihuug aus Kirchengut fällt jedoch in die zweite Hälfte des 8. Jahr¬
hunderts und beginnt mit dem Jahre der Thronbesteigung Pipins (751): es ist
offenbar der Preis, den dieser erste karlingische König für seine Erhebung ge¬
zahlt hat. Uebrigens war die Säkularisation, welche etwa die Hälfte den Kircheu-
gutes betraf, mir der Form nach eine Gewaltthat; sie geschah thatsächlich im
Einvernehmen mit dem Klerus, der durchaus karlingisch gesinnt war. Die aus¬
getheilten Güter hatten auch fernerhin der Kirche den Zehnten zu zahlen und
wurden durchweg nicht als Erbe sondern als Lehen vergeben. Sie hatten, ab¬
gesehen voll ihrer politischen Bedeutung, wesentlich den Zweck, Mittel zum Unter¬
halte allzeit gerüsteter, für den Kriegsdienst bereiter Vassallen aufzubringen, waren
also ganz eigentlich dsiuzüoig. im römischen Staatssiunc wie einst die Grenzer¬
lehen der alten sZ'ri clLoumlckizs. Seit diesen umfassenden Verleihungen lebte,
über das ganze Reich vertheilt, statt der paar Tausend Grafen, Centenare, An-
trustionen und Dvmanialvorsteher, eine zahlreiche Masse von Kronvassalle», ans
der der bisherige Beamtenstand nun erst recht als ein höherer Adel hervorragte.
Pipin wie seine nächsten Vorgänger und Nachfolger machten sich dadurch Zu¬
stände dienstbar, deren Bedenklichkeit sie offenbar erkannten, die sie aber bereits
vorfanden und die zu beseitigen sie gar nicht imstande gewesen wären. Immer¬
hin versuchten sie, diese Zustände der vou ihnen beabsichtigten Reichsordnung
derart einzufügen, daß der Heerbann so wenig wie möglich darunter litte. Zu
dem Ende forderten die Herrscher, daß jeder, der ein Beneficium empfinge, sich
zugleich commentiren, d. h. in die Vnssallität eintreten müsse*), daß ferner das
Benefieialgnt der Hintersassen hinsichtlich der Kriegspflicht dem Allode gleich ge¬
achtet werden solle, d. h. daß der Inhaber persönlich den Dienst leiste und nicht
nur seinem Patrone, sondern unmittelbar auch dem Könige zu Dienst »ut Treue
verpflichtet sei, da der Treueid an den Herrn dem allgemeinen Nnterthanen-
eide keinen Abbruch thun dürfe. Die jährliche Heeresversammlnng endlich wurde
vom März in den Mai verlegt, damit sich das Volk nicht etwa wieder vertiefe,
bevor der Feldzug eröffnet werden könnte.

Diese Verordnungen haben indessen der einmal im Zuge begriffnen Ent¬
wicklung nicht Einhalt gebieten, ja sie kaum verlangsamen können. Kam doch
die nun gesetzlich geforderte Commentation bei Uebernahme eines Benefieinms
weit mehr der Gewalt der Vasfallen über ihre Hintersassen zu Gute als der
Macht der Krone über die Besitzer königlichen BencsieinlguteS. Vor allem ver-
hängnißvoll war jedoch die ununterbrochene Zunahme der Landübertragungeu,
insbesondere der cMe-ig, Main an die Kirche. Die Ohnmacht der Staatsgewalt,



Die Commendntivn (Übergebung) erfolgte durch besonder» symbolischen Act in der
Weise, daß der darum nachsuchende seine Hände gefaltet in die des neuen Schutzherrn legte.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157968/115>, abgerufen am 01.09.2024.