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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Drittes Quartal.

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Die Entwicklung der Feudalität und das deutsche Kriegswesen im frühen Mittelalter,

Gemeindeackers ausgestattet worden war, dessen Ertrag ihn befähigte, seiner
Wehrpflicht zu genügen. Jetzt hatte der freie Mann ein Eigenthum empfangen;
aber er vermochte selten, es zu behaupten. Ohne wirthschaftliche Sicherheit war
die Kriegsleistung indessen unerschwinglich; fast immer bedürfte der verarmende
kleine Mann ökonomischer wie juristischer Unterstützung, und er sand, eben auf
dem Boden Galliens, in altüberlommnen Formen das Mittel, sich einen solchen
Schutz, solch inulMuili*) zu verschaffen.

Die Masse der Romanen, welche jetzt ja ebenfalls zu den ihr sehr un-
gewohnten Kriegsdienstleistungcn herangezogen wurde, war es von altersher ge¬
wöhnt, unliebsamen Leistungen an den Staat sich durch die Uebertragung des
eignen Gutes an einen mächtigern Mann zu entziehen oder den Druck durch
die Beihilfe eines solchen Patrones wenigstens zu mildern, Sie thaten das auch
jetzt, und je lästiger den fränkischen Bauern die Heerbannpflicht fiel, um so
häufiger ahmten auch diese jenes Verfahren nach. Die kleinen Leute begaben sich
in ein Abhüngigkeitsverhältniß zu angesehenen reichern Männern, verpflichteten
sich ihnen zu gewissen Diensten, vielleicht auch zu Abgaben, und empfingen dafür,
je nach Umständen, entweder bloß Schutz oder auch Unterhalt, Ein Verhältniß
solcher Art wurde mit dem Ausdrucke anium bezeichnet.**)

War der Schutzsuchende noch im Besitze seines Gutes, so übertrug er dies
dem Herrn, um es als Beneficium zurückzuempfangen. Man nannte das jetzt
obliAg-dio tsrrg.6; es ist aber genau dasselbe wie die mnäorum MroeiiM bei
den römischen Galliern, (Vgl. oben S, Gewöhnlich blieb dem Schutz¬
suchenden der Rückkauf (röäsmtio) gegen eine bestimmte Summe vorbehalten,
gegen höhere Summen auch wohl dem Sohne und dem Enkel. Trat aber die
Retentio nicht ein, so verfiel das Eigenthum unwiderruflich der Herrschaft, die
sich dabei ausdrücklich den guten und unversehrte,? Bestand der Wirthschaft aus-
bedang. Solange das Gut aber in den Händen des ursprünglichen Besitzers blieb,
zahlte dieser einen regelmäßigen esusus. Ein Client oder Censnalis, der nicht
mit leerer Hand kam, mußte natürlich höhere Geltung haben als derjenige, welcher
ganz ohne Vermögen aus Gnade oder Ungnade in das Milium eintrat. Und
so lassen sich frühzeitig zwei Klassen abhängiger Leute unterscheiden: die einen
sind öxt,ra,nsi, d. h, sie wohnen außerhalb des Herrenhofes auf ihrem Benefieium,
von dessen Erträgen sie leben; die andern, die eigentlichen tamilmö, sind ent¬
weder Hörige oder besitzlose Freie, welche in das Milium eingetreten sind und
von, Herrn ausgestattet und unterhalten werden. Es sind seine Hofgcnossen
und Hausdiener; sie werden, namentlich so weit sie frei find, mit einer gewissen
Milde behandelt, sind aber durchaus und in weit höherm Grade abhängig als
die Extranei. Aus solchen mir" äomum wohnenden Hvfgenossen setzte sich vor-




5) Abt, man ----- Hand, Schutz, Bevonmmdunn.. Uuirtlmrro ----- Patron,
**) Das Wort anium ist etymolvjiisch wie determinativ unklar.
Die Entwicklung der Feudalität und das deutsche Kriegswesen im frühen Mittelalter,

Gemeindeackers ausgestattet worden war, dessen Ertrag ihn befähigte, seiner
Wehrpflicht zu genügen. Jetzt hatte der freie Mann ein Eigenthum empfangen;
aber er vermochte selten, es zu behaupten. Ohne wirthschaftliche Sicherheit war
die Kriegsleistung indessen unerschwinglich; fast immer bedürfte der verarmende
kleine Mann ökonomischer wie juristischer Unterstützung, und er sand, eben auf
dem Boden Galliens, in altüberlommnen Formen das Mittel, sich einen solchen
Schutz, solch inulMuili*) zu verschaffen.

Die Masse der Romanen, welche jetzt ja ebenfalls zu den ihr sehr un-
gewohnten Kriegsdienstleistungcn herangezogen wurde, war es von altersher ge¬
wöhnt, unliebsamen Leistungen an den Staat sich durch die Uebertragung des
eignen Gutes an einen mächtigern Mann zu entziehen oder den Druck durch
die Beihilfe eines solchen Patrones wenigstens zu mildern, Sie thaten das auch
jetzt, und je lästiger den fränkischen Bauern die Heerbannpflicht fiel, um so
häufiger ahmten auch diese jenes Verfahren nach. Die kleinen Leute begaben sich
in ein Abhüngigkeitsverhältniß zu angesehenen reichern Männern, verpflichteten
sich ihnen zu gewissen Diensten, vielleicht auch zu Abgaben, und empfingen dafür,
je nach Umständen, entweder bloß Schutz oder auch Unterhalt, Ein Verhältniß
solcher Art wurde mit dem Ausdrucke anium bezeichnet.**)

War der Schutzsuchende noch im Besitze seines Gutes, so übertrug er dies
dem Herrn, um es als Beneficium zurückzuempfangen. Man nannte das jetzt
obliAg-dio tsrrg.6; es ist aber genau dasselbe wie die mnäorum MroeiiM bei
den römischen Galliern, (Vgl. oben S, Gewöhnlich blieb dem Schutz¬
suchenden der Rückkauf (röäsmtio) gegen eine bestimmte Summe vorbehalten,
gegen höhere Summen auch wohl dem Sohne und dem Enkel. Trat aber die
Retentio nicht ein, so verfiel das Eigenthum unwiderruflich der Herrschaft, die
sich dabei ausdrücklich den guten und unversehrte,? Bestand der Wirthschaft aus-
bedang. Solange das Gut aber in den Händen des ursprünglichen Besitzers blieb,
zahlte dieser einen regelmäßigen esusus. Ein Client oder Censnalis, der nicht
mit leerer Hand kam, mußte natürlich höhere Geltung haben als derjenige, welcher
ganz ohne Vermögen aus Gnade oder Ungnade in das Milium eintrat. Und
so lassen sich frühzeitig zwei Klassen abhängiger Leute unterscheiden: die einen
sind öxt,ra,nsi, d. h, sie wohnen außerhalb des Herrenhofes auf ihrem Benefieium,
von dessen Erträgen sie leben; die andern, die eigentlichen tamilmö, sind ent¬
weder Hörige oder besitzlose Freie, welche in das Milium eingetreten sind und
von, Herrn ausgestattet und unterhalten werden. Es sind seine Hofgcnossen
und Hausdiener; sie werden, namentlich so weit sie frei find, mit einer gewissen
Milde behandelt, sind aber durchaus und in weit höherm Grade abhängig als
die Extranei. Aus solchen mir» äomum wohnenden Hvfgenossen setzte sich vor-




5) Abt, man ----- Hand, Schutz, Bevonmmdunn.. Uuirtlmrro ----- Patron,
**) Das Wort anium ist etymolvjiisch wie determinativ unklar.
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[0112] Die Entwicklung der Feudalität und das deutsche Kriegswesen im frühen Mittelalter, Gemeindeackers ausgestattet worden war, dessen Ertrag ihn befähigte, seiner Wehrpflicht zu genügen. Jetzt hatte der freie Mann ein Eigenthum empfangen; aber er vermochte selten, es zu behaupten. Ohne wirthschaftliche Sicherheit war die Kriegsleistung indessen unerschwinglich; fast immer bedürfte der verarmende kleine Mann ökonomischer wie juristischer Unterstützung, und er sand, eben auf dem Boden Galliens, in altüberlommnen Formen das Mittel, sich einen solchen Schutz, solch inulMuili*) zu verschaffen. Die Masse der Romanen, welche jetzt ja ebenfalls zu den ihr sehr un- gewohnten Kriegsdienstleistungcn herangezogen wurde, war es von altersher ge¬ wöhnt, unliebsamen Leistungen an den Staat sich durch die Uebertragung des eignen Gutes an einen mächtigern Mann zu entziehen oder den Druck durch die Beihilfe eines solchen Patrones wenigstens zu mildern, Sie thaten das auch jetzt, und je lästiger den fränkischen Bauern die Heerbannpflicht fiel, um so häufiger ahmten auch diese jenes Verfahren nach. Die kleinen Leute begaben sich in ein Abhüngigkeitsverhältniß zu angesehenen reichern Männern, verpflichteten sich ihnen zu gewissen Diensten, vielleicht auch zu Abgaben, und empfingen dafür, je nach Umständen, entweder bloß Schutz oder auch Unterhalt, Ein Verhältniß solcher Art wurde mit dem Ausdrucke anium bezeichnet.**) War der Schutzsuchende noch im Besitze seines Gutes, so übertrug er dies dem Herrn, um es als Beneficium zurückzuempfangen. Man nannte das jetzt obliAg-dio tsrrg.6; es ist aber genau dasselbe wie die mnäorum MroeiiM bei den römischen Galliern, (Vgl. oben S, Gewöhnlich blieb dem Schutz¬ suchenden der Rückkauf (röäsmtio) gegen eine bestimmte Summe vorbehalten, gegen höhere Summen auch wohl dem Sohne und dem Enkel. Trat aber die Retentio nicht ein, so verfiel das Eigenthum unwiderruflich der Herrschaft, die sich dabei ausdrücklich den guten und unversehrte,? Bestand der Wirthschaft aus- bedang. Solange das Gut aber in den Händen des ursprünglichen Besitzers blieb, zahlte dieser einen regelmäßigen esusus. Ein Client oder Censnalis, der nicht mit leerer Hand kam, mußte natürlich höhere Geltung haben als derjenige, welcher ganz ohne Vermögen aus Gnade oder Ungnade in das Milium eintrat. Und so lassen sich frühzeitig zwei Klassen abhängiger Leute unterscheiden: die einen sind öxt,ra,nsi, d. h, sie wohnen außerhalb des Herrenhofes auf ihrem Benefieium, von dessen Erträgen sie leben; die andern, die eigentlichen tamilmö, sind ent¬ weder Hörige oder besitzlose Freie, welche in das Milium eingetreten sind und von, Herrn ausgestattet und unterhalten werden. Es sind seine Hofgcnossen und Hausdiener; sie werden, namentlich so weit sie frei find, mit einer gewissen Milde behandelt, sind aber durchaus und in weit höherm Grade abhängig als die Extranei. Aus solchen mir» äomum wohnenden Hvfgenossen setzte sich vor- 5) Abt, man ----- Hand, Schutz, Bevonmmdunn.. Uuirtlmrro ----- Patron, **) Das Wort anium ist etymolvjiisch wie determinativ unklar.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157968/112>, abgerufen am 01.09.2024.