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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Drittes Quartal.

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Die Entwicklung der Feudalität und das deutsche Kriegswesen im frühen Mittelalter,

Umfange. Um welchen Preis die geistlichen und weltlichen Grüßen den Königen
ihre Hilfe in den fürchterlichen Familienfesten gewährten, das lehrt z. B. der
Inhalt jener UitAim Olmrtii, welche die austrasischen Herren dem Könige Chlvthar II.
abtrotzten und welche das Herrscherthum wesentlich abhängig machte von der Aristo¬
kratie. Bald sind es nicht mehr die Könige, sondern diejenigen Staatsbeamten,
welche das Aemter- und Vesvldungswesen leiten, die den Staat in Wirklichkeit
beherrschen. Als solche Großbeamten stellen sich in den eigentlich fränkischen
Kernländern die königlichen Hausmcier (iriajorss äoinus rsg'ig,") dar, in den später
nnterworfnen Gebieten die Herzoge von Alamannien, Bnjuvaricn und Aquitanien.
Endlich kam es zwischen diesen Großen zum Kampfe, und aus ihm gingen die äuvW
I'rMoorum, d. h. die königlichen Hausmeier als Sieger und Gebieter hervor.
Als Mittel, diese Kämpfe durchzuführen und solche Stellunge" zu behaupten,
dienten den ingM'es äoinus wie den Herzogen ihre persönlichen Gefolgschaften,
mit denen sich inzwischen alle Großen umgeben hatten und die in ihren Ein¬
richtungen wesentlich der königlichen Trüstis entsprachen. Solche Privatgefolg¬
schaften kommen schon im 6. Jahrhundert wieder vor. Ihr Verhältniß zum
Gefolgsherrn war zunächst ein rein persönliches; in kurzer Zeit erhielt es jedoch
einen dinglichen Ncbencharakter, und dazu gaben wieder wirthschaftliche Zu¬
stände und insbesondre das Benefieialwesen Anlaß.

Die freien Franken waren schlechte Oekonomen. In der altdeutschen Heimat
hatte es kein Privateigenthum am Acker gegeben; fristweise war der Boden von
der Gemeinde abwechselnd an die Martgenosscn vertheilt und von diesen bebaut
worden. Jetzt sahen die Franken sich plötzlich in einem zum Theil hochculti-
virten Lande als wirkliche, wenn auch der Mehrzahl nach kleine Grundeigen-
thümer von einer Menge ihnen völlig fremder Rechtsverhältnisse umgeben, die
auch für sie und ihren Besitz Geltung behielten. Durch Urkunden wurden Kauf
und Verlauf geregelt; der Geldverkehr, an und für sich zwar noch gering, war
in dem romanisirten Gallien doch keineswegs ganz bedeutungslos und lag schon
damals zu nicht geringem Theile in den Händen jüdischer Bankiers; fremd waren
den Germanen die in Gallien üblichen Benutzuugsweiseu des Bodens, fremd die
Absatz- und Bezugsquellen, fremd die Sprache des Händlers und der Nachbarn.
In der alten Heimat waren die Nachbarn Markgenossen gewesen, welche die
engste Interessengemeinschaft verband; in Gallien wohnten die Germanen neben
Römern oder romanisirten Kelten, welche die Eingewanderten bei jeder Gelegen¬
heit zu überVortheilen verstanden. Unter solchen Umständen wird ein schneller
wirthschaftlicher Rückgang der kleinen Eigenthümer nur allzu begreiflich. Und
dabei blieb die alte Wehrverfassung, die auf durchaus andern ökonomischen Gruud-
lcigen erwachsen war, nach der Seite der Wichtigkeit unverändert bestehen. Das
System der unentgeltlichen persönlichen Dienstleistung ohne Ersatz für Waffen,
Kleidung und Verpflegung war die naturgemäße Wehrordnung der kleinen Gau¬
staaten der Vorzeit gewesen, als der freie Wehrmann mit einem Theile des


Die Entwicklung der Feudalität und das deutsche Kriegswesen im frühen Mittelalter,

Umfange. Um welchen Preis die geistlichen und weltlichen Grüßen den Königen
ihre Hilfe in den fürchterlichen Familienfesten gewährten, das lehrt z. B. der
Inhalt jener UitAim Olmrtii, welche die austrasischen Herren dem Könige Chlvthar II.
abtrotzten und welche das Herrscherthum wesentlich abhängig machte von der Aristo¬
kratie. Bald sind es nicht mehr die Könige, sondern diejenigen Staatsbeamten,
welche das Aemter- und Vesvldungswesen leiten, die den Staat in Wirklichkeit
beherrschen. Als solche Großbeamten stellen sich in den eigentlich fränkischen
Kernländern die königlichen Hausmcier (iriajorss äoinus rsg'ig,») dar, in den später
nnterworfnen Gebieten die Herzoge von Alamannien, Bnjuvaricn und Aquitanien.
Endlich kam es zwischen diesen Großen zum Kampfe, und aus ihm gingen die äuvW
I'rMoorum, d. h. die königlichen Hausmeier als Sieger und Gebieter hervor.
Als Mittel, diese Kämpfe durchzuführen und solche Stellunge» zu behaupten,
dienten den ingM'es äoinus wie den Herzogen ihre persönlichen Gefolgschaften,
mit denen sich inzwischen alle Großen umgeben hatten und die in ihren Ein¬
richtungen wesentlich der königlichen Trüstis entsprachen. Solche Privatgefolg¬
schaften kommen schon im 6. Jahrhundert wieder vor. Ihr Verhältniß zum
Gefolgsherrn war zunächst ein rein persönliches; in kurzer Zeit erhielt es jedoch
einen dinglichen Ncbencharakter, und dazu gaben wieder wirthschaftliche Zu¬
stände und insbesondre das Benefieialwesen Anlaß.

Die freien Franken waren schlechte Oekonomen. In der altdeutschen Heimat
hatte es kein Privateigenthum am Acker gegeben; fristweise war der Boden von
der Gemeinde abwechselnd an die Martgenosscn vertheilt und von diesen bebaut
worden. Jetzt sahen die Franken sich plötzlich in einem zum Theil hochculti-
virten Lande als wirkliche, wenn auch der Mehrzahl nach kleine Grundeigen-
thümer von einer Menge ihnen völlig fremder Rechtsverhältnisse umgeben, die
auch für sie und ihren Besitz Geltung behielten. Durch Urkunden wurden Kauf
und Verlauf geregelt; der Geldverkehr, an und für sich zwar noch gering, war
in dem romanisirten Gallien doch keineswegs ganz bedeutungslos und lag schon
damals zu nicht geringem Theile in den Händen jüdischer Bankiers; fremd waren
den Germanen die in Gallien üblichen Benutzuugsweiseu des Bodens, fremd die
Absatz- und Bezugsquellen, fremd die Sprache des Händlers und der Nachbarn.
In der alten Heimat waren die Nachbarn Markgenossen gewesen, welche die
engste Interessengemeinschaft verband; in Gallien wohnten die Germanen neben
Römern oder romanisirten Kelten, welche die Eingewanderten bei jeder Gelegen¬
heit zu überVortheilen verstanden. Unter solchen Umständen wird ein schneller
wirthschaftlicher Rückgang der kleinen Eigenthümer nur allzu begreiflich. Und
dabei blieb die alte Wehrverfassung, die auf durchaus andern ökonomischen Gruud-
lcigen erwachsen war, nach der Seite der Wichtigkeit unverändert bestehen. Das
System der unentgeltlichen persönlichen Dienstleistung ohne Ersatz für Waffen,
Kleidung und Verpflegung war die naturgemäße Wehrordnung der kleinen Gau¬
staaten der Vorzeit gewesen, als der freie Wehrmann mit einem Theile des


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[0111] Die Entwicklung der Feudalität und das deutsche Kriegswesen im frühen Mittelalter, Umfange. Um welchen Preis die geistlichen und weltlichen Grüßen den Königen ihre Hilfe in den fürchterlichen Familienfesten gewährten, das lehrt z. B. der Inhalt jener UitAim Olmrtii, welche die austrasischen Herren dem Könige Chlvthar II. abtrotzten und welche das Herrscherthum wesentlich abhängig machte von der Aristo¬ kratie. Bald sind es nicht mehr die Könige, sondern diejenigen Staatsbeamten, welche das Aemter- und Vesvldungswesen leiten, die den Staat in Wirklichkeit beherrschen. Als solche Großbeamten stellen sich in den eigentlich fränkischen Kernländern die königlichen Hausmcier (iriajorss äoinus rsg'ig,») dar, in den später nnterworfnen Gebieten die Herzoge von Alamannien, Bnjuvaricn und Aquitanien. Endlich kam es zwischen diesen Großen zum Kampfe, und aus ihm gingen die äuvW I'rMoorum, d. h. die königlichen Hausmeier als Sieger und Gebieter hervor. Als Mittel, diese Kämpfe durchzuführen und solche Stellunge» zu behaupten, dienten den ingM'es äoinus wie den Herzogen ihre persönlichen Gefolgschaften, mit denen sich inzwischen alle Großen umgeben hatten und die in ihren Ein¬ richtungen wesentlich der königlichen Trüstis entsprachen. Solche Privatgefolg¬ schaften kommen schon im 6. Jahrhundert wieder vor. Ihr Verhältniß zum Gefolgsherrn war zunächst ein rein persönliches; in kurzer Zeit erhielt es jedoch einen dinglichen Ncbencharakter, und dazu gaben wieder wirthschaftliche Zu¬ stände und insbesondre das Benefieialwesen Anlaß. Die freien Franken waren schlechte Oekonomen. In der altdeutschen Heimat hatte es kein Privateigenthum am Acker gegeben; fristweise war der Boden von der Gemeinde abwechselnd an die Martgenosscn vertheilt und von diesen bebaut worden. Jetzt sahen die Franken sich plötzlich in einem zum Theil hochculti- virten Lande als wirkliche, wenn auch der Mehrzahl nach kleine Grundeigen- thümer von einer Menge ihnen völlig fremder Rechtsverhältnisse umgeben, die auch für sie und ihren Besitz Geltung behielten. Durch Urkunden wurden Kauf und Verlauf geregelt; der Geldverkehr, an und für sich zwar noch gering, war in dem romanisirten Gallien doch keineswegs ganz bedeutungslos und lag schon damals zu nicht geringem Theile in den Händen jüdischer Bankiers; fremd waren den Germanen die in Gallien üblichen Benutzuugsweiseu des Bodens, fremd die Absatz- und Bezugsquellen, fremd die Sprache des Händlers und der Nachbarn. In der alten Heimat waren die Nachbarn Markgenossen gewesen, welche die engste Interessengemeinschaft verband; in Gallien wohnten die Germanen neben Römern oder romanisirten Kelten, welche die Eingewanderten bei jeder Gelegen¬ heit zu überVortheilen verstanden. Unter solchen Umständen wird ein schneller wirthschaftlicher Rückgang der kleinen Eigenthümer nur allzu begreiflich. Und dabei blieb die alte Wehrverfassung, die auf durchaus andern ökonomischen Gruud- lcigen erwachsen war, nach der Seite der Wichtigkeit unverändert bestehen. Das System der unentgeltlichen persönlichen Dienstleistung ohne Ersatz für Waffen, Kleidung und Verpflegung war die naturgemäße Wehrordnung der kleinen Gau¬ staaten der Vorzeit gewesen, als der freie Wehrmann mit einem Theile des

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157968/111>, abgerufen am 01.09.2024.